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Fotografen und Maler huldigten dem Reichsautobahnbau. Die Aufnahme von der Heuernte an der A8 bei Bernau am Chiemsee unterstreicht die „harmonische“ Verbindung zur Ländlichkeit. (Foto: SZ Photo)

13.01.2023

Alter Stil für neue Bauwerke

Gemälde zur neu entstehenden Reichsautobahn entsprachen meist nicht der Modernität der Straße

Vom Münchner Odeonsplatz starteten im April 1936 gegen 8 Uhr morgens drei Autobusse. An Bord: 90 Malerinnen und Maler, die von der Obersten Bauleitung der Kraftfahrbahnen (OBK) zu einer Besichtigungsfahrt eingeladen worden waren. Ihr Ziel waren Baustellen beziehungsweise fertige Abschnitte der neu entstandenen Reichsautobahn. Der erste Halt galt der Mangfallbrücke, die im Januar 1936 für den Verkehr freigegeben worden war. Danach besichtigte man die Innbrücke am Samerberg, die Auffahrt zum Irschenberg, die Brücke über den Talübergang bei Bergen sowie ein bereits fertiggestelltes Teilstück der deutschen Alpenstraße bei Inzell und Mauthäusl. Während die Künstler und Künstlerinnen – ein Bericht der Münchener Zeitung erwähnt letztere explizit – sich umschauten und die Brückenbauwerke skizzierten, erläuterte ein Mitarbeiter der Baubehörde München Details der Konstruktionen und Streckenführungen, die möglichst naturgetreu und vor allem technisch korrekt in Gemälden wiedergegeben werden sollten.

Die Reichsautobahnen (RAB) sind vermutlich das größte bauliche Erbe des NS-Staates. Die Pläne für das Straßennetz entstanden bereits in den 1920er-Jahren. Die Nationalsozialisten konnten also auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifen, als sie im September 1933 die Bauarbeiten begannen. Geplant waren ungefähr 20 000 Kilometer Straße. Mitte 1943 waren bei der Einstellung der Arbeiten circa 3900 Kilometer angelegt, weitere knapp 3000 befanden sich noch im Bauzustand, fast ausschließlich in den eroberten östlichen Reichsgebieten.

Von Anfang an wurde das Projekt medial vielfältig begleitet. So gab es Fotobände der Arbeit an der Strecke, es wurden Gedichte geschrieben und Lieder ersonnen, Briefmarkenserien und Kalender wurden veröffentlicht, Radiosendungen informierten über die Eröffnung neuer Streckenabschnitte und übertrugen Feierstunden, und es entstanden über 20 Spielfilme, in denen die Autobahnen als Kulisse dienten. Außerdem wurden Baustellen, Großbrücken und in den Augen der NS-Machthaber besonders attraktive Streckenabschnitte malerisch festgehalten: in kleinformatigen Aquarellen und Zeichnungen sowie in größerformatigen, eher altmodischen Ölgemälden. Diese Art der Abbildung entsprach dem „modern-antimodernen“ Kern des NS-Staates. Das hochindustrielle Deutsche Reich wurde von zeitgenössischen – und fast ausschließlich dem Staat genehmen – Malern eher altmeisterlich oder naturalistisch, meist im Stil des 19. Jahrhunderts abgebildet. So erinnern viele Gemälde zu den Autobahnen denn auch eher an Landschaftsdarstellungen, in denen sich wie zufällig ein graues Band durch grüne Auen oder sanfte Hügel zieht. Die Abbildungen der Brückenbaustellen konzentrieren sich meist auf die riesigen Ausmaße des zu entstehenen Bauwerks oder bilden die technische Leistung der Konstruktion naturalistisch ab.

Trotzdem darf man diese scheinbar harmlosen Gemälde nicht unpolitisch sehen. Fritz Todt (1891 bis 1942), als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen für die Reichsautobahnen und später den Bau des Westwalls zuständig, schrieb 1935: „Die Reichsautobahnen, vom Führer selbst geschaffen, haben neben ihrem verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Zweck eine besonders symbolische Bedeutung als Künder einer neuen Zeit und Zeugen einer wiedererkämpften Reichseinheit. Gerade bei diesem Werk müssen sich Technik und Kunst aus der Gemeinsamkeit ihrer Grundaufgaben heraus zu voller Leistung ergänzen. Dabei ist der Künstler nicht nur berufen zur Mitarbeit an der Formung der Straße und Gestaltung der Bauten, sondern ebenso und im Besonderen zur Berichterstattung und Deutung technischen Schaffens als Ringen um neue deutsche Lebensgestaltung.“

Kunst und Propaganda

Todt wiederholt hier die Lüge, dass die Autobahnen eine Idee Hitlers gewesen seien, die dieser während seiner Festhungshaft gehabt haben soll. Diese Aussage fand sich bereits im ersten Geschäftsbericht zu den RAB von 1933, und sie wurde verstärkt durch die Bezeichnung der Autobahnen als „Straßen des Führers“, sowohl in Zeitungsberichten als auch in der Propaganda zur Straße. Todt benennt hier auch die geistige Verbindung von Bau und künstlerischer Abbildung: Die begleitenden Werke zur RAB sollten nicht nur dokumentieren („Berichterstattung“), sondern zugleich eine künstlerische Interpretation der NS-Ideologie sein („Deutung“). Damit kann keine der Abbildungen von einem politischen Inhalt freigesprochen werden.

Todt erwähnt auch die angeblich „wiedererkämpfte Reichseinheit“ sowie die „neue deutsche Lebensgestaltung.“ Die RAB wurden wie selbstverständlich auch für die noch zu erobernden Ostgebiete geplant. Architektin Gerdy Troost (1904 bis 2003) schrieb 1942 in Das Bauen im Neuen Reich, dass die Autobahnen „in alte deutsche Kulturlandschaften [hinüber greifen], die von den Kriegsentscheidungen ins Reich zurückgeführt wurden.“ Sie öffneten „Tore in die große deutsche Heimat“ und seien Teil der „glückhaften Vollendung Deutschlands“.

Diese politischen Implikationen waren vielen Malern und Malerinnen vielleicht nicht einmal bewusst, als sie dem Aufruf Todts folgten, die neuen Bauwerke abzubilden. Die meisten von ihnen entschlossen sich zu diesem Bildmotiv auch erst, als es finanziell einträglich zu werden schien. 1934 malten einige von ihnen im Auftrag Todts kleinformatige Gemälde für die Ausstellung Die Straße in München, wo erstmals im NS-Staat Pläne und Modelle der Autobahnen zu sehen waren und die Gemälde eher dekorativen Charakter hatten. Ende 1935 entstand die Idee, zum Thema eine eigene Kunstausstellung zu veranstalten, die im September 1936 in München eröffnet wurde, bevor sie in kleinerer Form nach Berlin und Ende des Jahres nach Breslau wanderte.

In der Schau Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst waren in München über 500 Werke zu sehen, die überwiegend von NS-Organisationen, RAB-Dienststellen oder den am Bau beteiligten Firmen angekauft wurden. Generell waren diese Verbände die Hauptankäufer der Gemälde zur Autobahn. Der Mitorganisator der Ausstellung, der Münchner Architekt Theo Lechner (1883 bis 1975), wies die Künstler und Künstlerinnen bereits im Vorfeld der Schau darauf hin, größerformatig zu malen, damit die Werke in Sitzungs- und Direktionszimmern zur Geltung kommen könnten. Auch so erklären sich die ausladenden Formate vieler Werke: Sie waren von vornherein auf eine gewisse Käuferschicht und deren räumliche Präsentationsmöglichkeit ausgerichtet, sie  waren eher Auftragskunst als autonome Kunstwerke.

Guter Verdienst mit Propagandakunst

Den Künstlern war ebenfalls bekannt, dass die deutsche Industrie einen Ankaufsfond von 20 000 Reichsmark (RM) zur Ausstellung eingerichtet hatte. Die Chance, ein Bild zu einem guten Preis verkaufen zu können, nahmen viele Maler wahr, die sonst eher Landschaftsdarstellungen anfertigten. Diese Art Auftragskunst wurde in der Presse ideologisch verbrämt. So schrieb das Münchner Abendblatt zur Ausstellung, dass „der Mangel an Aufträgen, an Themenstellungen“ ein „Krebsschaden für die Kunst der letzten Jahrzehnte“ gewesen sei. Der „allzu dogmatische Glaube an die Subjektivität des Künstlers und seine alleinige Abhängigkeit vom persönlichen Erlebnis“ hätten für eine Entfremdung zwischen Künstlern und Betrachtenden gesorgt. Im NS-Staat hingegen würde nun wieder Kunst geschaffen, die dem Publikum „schilderte und deutete, was es bewegte“.

Die Ausstellung wurde, im Gegensatz zur Straße von 1934, nicht mehr von Fritz Todt und der Generalinspektion organisiert, sondern hauptsächlich von der Münchner Künstlergenossenschaft (MKG), einer der ältesten und eher konservativen Künstlervereinigungen der Stadt, sowie der Münchner Ausstellungsleitung. Der Vorsitzende Paul Rosner informierte im Januar 1936 seine Kollegen der MKG. Der Rest der deutschen Künstlerschaft erfuhr erst im Februar von der geplanten Schau, als ein Aufruf Todts, den Rosner formuliert hatte, zum Beispiel im Völkischen Beobachter sowie in diversen lokalen Zeitungen zur Teilnahme aufrief. Ein Rundschreiben an die Mitglieder der MKG, das sich unter anderem im Staatsarchiv München befindet, spezifizierte genauer, was gemalt werden sollte: „In Vorbereitung und fertige Strecken, Brückenbauten, Durchstiche, Aufschüttung, Aushebungsarbeiten (Bagger, Moorwühler, Grundsprengung), Bauvorbereitung, aber auch Arbeitertypen und figürliche Darstellungen, also sämtliche Bauvorgänge, die für die Entstehung der Straßen Adolf Hitlers wichtig sind.“ Teilnahmeberechtigt waren alle deutschen Künstler und Künstlerinnen, die Mitglieder der Reichskammer der bildenden Künste waren. Rosner wies außerdem darauf hin, dass bei fertigen Straßen auf „die harmonische Verbundenheit der Straße mit der anschließenden Landschaft“ zu achten sei.

Vermeintliche Naturidylle

Die Vorgabe einer möglichst unzerstörten Natur beziehungsweise einer harmonischen Einbettung der Fahrbahn in die Landschaft war bereits den Straßenplanern zugegangen, was aber kaum eingehalten werden konnte. Während frühere Straßenbauten sich noch an organisch von Menschen geschaffenen Streckenführungen orientierten, die zunächst zu Fuß und später per Fuhrwerk benutzt wurden, entstanden die Autobahnen bewusst mit langen Geraden und weitgezogenen Kurven in bisher unberührter Natur. Die Einbettung in eine Kulturlandschaft zeigte sich schließlich nur noch an Brücken aus Naturstein – die gleichzeitig kriegswichtigen Stahl einsparten – und gelungenen Ausblicken von Rastplätzen oder Hügelkuppen. So erklärt sich auch, warum fotografische Arbeiten sich eher auf fertige Abschnitte oder Streckenarbeiter konzentrierten: Die Malerei konnte bei der Abbildung von aufgewühltem Land, gerodeten Wäldern und Betonschneisen durch Äcker schlicht beschönigender sein.

Im Rundschreiben Rosners wurden einzelne Brücken und Streckenabschnitte als besonders abbildungswert herausgestellt, die sich dann auch mehrfach als Bildtitel im Ausstellungskatalog wiederfanden. Die langgezogene Abfahrt zum Chiemsee, die Donaubrücke bei Leipheim, der malerische Aufstieg zum Irschenberg oder das massive Viadukt in Bergen waren des Öfteren zu sehen, was die Presse in den generell hymnischen Ausstellungsbesprechungen selten kritisch hervorhob, sondern im Gegenteil das offensichtlich beeindruckende Motiv lobte. Auch die Mangfallbrücke war ein beliebtes Objekt, was Rosner schon in seinem Rundschreiben betonte („bereits mehrfach gemalt“). Eine dieser Abbildungen stammte von Wilhelm Heise (1892 bis 1965) und war sein einziges Werk zum Thema. Sie zeigt in deutlich neusachlicher Manier die massiven Brückenpfeiler ohne die noch zu entstehende Fahrbahn, die brachial in der Landschaft aufragen. Das Werk entstand 1934 im Auftrag des Hochbauamts München und wurde 1935 von der Städtischen Galerie in München im Lenbachhaus angekauft, wo es sich noch heute befindet. Es wurde von Anfang an in der Presse als beispielhaft herausgestellt. So schrieb etwa Ulrich Christoffel etwas irritierend in Die Kunst für alle 1936 über das kühl und distanziert wirkende Gemälde, dass „die Natur [...] nichts von ihrer Urwüchsigkeit und ihrem Charakter verloren [hat], während im Gegenteil die Zeugen der Technik schon Natur geworden sind.“

Die Gemälde entstanden teilweise aus Skizzen, die vor Ort gefertigt wurden. Meist nutzten die Künstler allerdings Fotos als Vorlagen, die ihnen von den örtlichen Stellen der OBK überlassen wurden.

Das Genre der Autobahnmalerei ist wissenschaftlich noch so gut wie unaufgearbeitet; die wenigen Gemälde, die bekannt sind, ähneln sich teilweise so stark, dass fotografische Vorlagen mehr als eine Vermutung sind. Fritz Todt wollte bereits 1934 ein Archiv von RAB-Fotografien anlegen und bat jede Dienststelle der OBK um die Bilder, die auf den Baustellen entstanden. Außerdem mussten Fotografen und Bildagenturen, die an der RAB arbeiten wollten, je einen Abzug jedes Bildes an Todts Behörde abliefern. In den Unterlagen der Generaldirektion im Bundesarchiv Berlin finden sich diese Bilder nicht; es ist unbekannt, ob das geplante Archiv jemals angelegt wurde.

Mit der Staffelei mitten auf der Autobahn

Andere Medien als Ölgemälde, die vielfach alleine wegen ihres Formats nicht vor Ort entstehen konnten, beruhten auf Arbeiten direkt an der Straße. Der Maler Franz Siegele (1885 bis 1955) erstellte mehrere Jahre lang einen Kalender, dessen Bilder Strecken und Brücken aus dem gesamten Reichsgebiet zeigten. Er traf sich 1937 mit Todt in Berlin und bekam anschließend eine Deutschlandkarte zugesandt, auf der sehenswerte Baustellen und Streckenabschnitte gekennzeichnet waren, ähnlich wie Rosners Vorgaben für die Ausstellung 1936. Von der OBK Berlin bekam Siegele einen Ausweis für die Autobahnbaustellen in ganz Deutschland und durfte vor Ort, auch mitten im fahrenden Verkehr, mit einer Staffelei an oder auf der Straße stehen und malen. Seine Frau übernahm dabei eine wichtige Funktion, wie Siegeles Bericht in der Zeitschrift Das Bild“von 1938 zeigt: „Ein freundlicher Straßenmeister in Thüringen gab mir eine schöne rote Fahne, die, an den Wagen gesteckt, Wunder wirkte – gar nie mehr wurde ich gestört, und wenn ich mal die Autobahn überqueren mußte, ging meine Frau mit der roten Fahne in der Hand voraus und es ging alles sehr glatt.“

Siegele beschreibt auch, wie die Generalinspektion auf seine Entwürfe reagierte: „Also in Berlin zeigte ich meine ersten 60 Studien, und da musste ich armer Landschaftsmaler viel hören: ‚Bitte keine Feldwege – Autobahnen; ein solches Brückengeländer gibt’s im Abschnitt Hannover nicht; an dieser Brücke fehlen einige Glieder; dieser Meilenstein ist aus Holz, wird nächste Woche abgerissen; die Überführung ist nicht im Fahrverhältnis,‘ dies und noch viel, viel mehr. Aber zum Schluss einigten sich Kunst und Technik und die Ausarbeitung konnte beginnen.“

Ohne künstlerische Selbstbestimmung

In diesem kurzen Abschnitt wird erneut deutlich, wie wenig die künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Autobahnen autonome Darstellungen sind. Sie mussten sich von Anfang an dem Geschmack von Ingenieuren und Propagandisten unterordnen. Oberbaurat Hans Lorenz (1900 bis 1975) teilte Siegele mit, dass er „der Perspektive und der Wiedergabe der Proportionen noch ein kleines Stückchen mehr [seiner] Künstlerliebe“ zukommen lassen möge. In einer internen Aktennotiz an einen Kollegen wurde Lorenz deutlicher: „Falls er sich in dieser Beziehung nämlich nicht wirklich mehr Disziplin auferlegt, kommt mit Sicherheit der Tag, an dem er von Leuten abgelöst wird, die bei gleich guter Landschaftsdarstellung dem technischen Werk auch wirklich gerecht werden [...] Falls der gute Künstler sich auch an Sie wendet, reden Sie ihm nur ebenfalls ins Gewissen, denn ein Kalender mit dem stolzen Titel ‚Die Straßen Adolf Hitlers‘ verpflichtet.“

Auch die Künstler und Künstlerinnen, die für die Ausstellung Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst Werke einreichten, mussten sich einem Juryurteil beugen. Die MKG übernahm nicht nur die Organisation der Ausstellung, sondern stellte gleich mehrere Juroren. Neben Fritz Todt, Paul Rosner, Theo Lechner und drei weiteren Herren saß auch der Münchner Maler Carl Theodor Protzen (1887 bis 1956) in der Jury und konnte gleich alle seine sieben eingereichten Werke in der Ausstellung unterbringen. Auch Protzen hatte schließlich mit Oberbaurat Lorenz zu tun – allerdings erst 1953, als Lorenz als Oberregierungsrat im Nürnberger Straßenbauamt tätig war und Protzen nun die Bundesautobahn malen wollte. Lorenz beschied ihm brieflich, dass es an der neu zu bauenden Spessartautobahn sicher „reizvolle Baustellen“ geben werde, die es sich zu malen lohne, „falls Auftraggeber dafür zu finden sind.“ Diese blieben allerdings aus; Protzen malte nur bis Anfang 1941 Strecken und Bauten der Reichsautobahn.

Carl Theodor Protzen ist heute vermutlich der bekannteste Maler der Reichsautobahnen. Sein Werk Straßen des Führers wurde beispielhaft in mehreren Ausstellungen zur Kunst aus der NS-Zeit in der Bundesrepublik gezeigt, zum Beispiel in Frankfurt 1974 in der grundlegenden Ausstellung Dokumente der Unterwerfung – Kunst im 3. Reich, in Weimar 1999 bei Aufstieg und Fall der Moderne oder in Bochum, Rostock und Regensburg 2016/17 in der Ausstellung Kunst und Politik im Nationalsozialismus. Das großformatige Werk (169 mal 255 Zentimeter) entstand 1939 und wurde 1940 auf der wichtigsten Werkschau des Dritten Reiches, der Großen Deutschen Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München gezeigt, wo es für 6000 RM für die Reichskanzlei angekauft wurde. Es zeigt die Autobahnbrücke in der Holledau, die zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt war.

Straßen des Führers ist eines der Gemälde, die fotografische Vorlagen nicht nur beschönigen, sondern sie schlichtweg ignorieren. Auf zeitgenössischen Fotografien ist zu sehen, dass in der Nähe der Brücke keineswegs malerische Ansiedlungen zu sehen waren, die in Protzens Werk auftauchen, geschweige denn der Zwiebelturm am linken Bildrand. Protzen wollte offensichtlich den Anforderungen an RAB-Malerei genügen und bettete die Brückenkonstruktion harmonisch in ein üppiges Tal ein. Gleichzeitig versah er das Werk mit einer programmatischen Rahmeninschrift, die einzigartig für diese Art Malerei ist: „Rodet den Forst – Sprenget den Fels – Überwindet das Tal / Zwinget die Ferne – Ziehet die Bahn durch deutsches Land.“ Der Text könnte von einer Aussage Hitlers inspiriert worden sein, die im 1938 eröffneten Ausstellungsteil „Reichsautobahnen“ des Deutschen Museums in München als Wandtext angebracht worden war. Dort sprach Hitler davon, dass die Autobahnen die „deutschen Gaue“ in eine „Einheit [...] zwingen“ werden. Protzen schuf für diese Ausstellung eine wandfüllende Karte, auf der bereits entstandene sowie geplante Strecken abgebildet waren. Der Rahmentext seines Gemäldes und damit das gesamte Werk sind eindeutig Teil nationalsozialistischer Propaganda und keine schlichte Abbildung eines Brückenbauwerks.

Wobei das gesamte Werk Straßen des Führers  bis Anfang 2020 noch nicht einmal bekannt war. Denn Protzen gestaltete das Gemälde als Triptychon, wie in seinem als Kopie bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verwahrten Werkverzeichnis zu lesen ist. Zum Mittelteil kommen noch zwei Seitenflügel, die das Gesamtmaß des dreiteiligen Werkes auf 190 mal 485 Zentimeter ausdehnen. Die Seitenflügel befanden sich bis vor Kurzem noch in einem Servicegebäude der Niederlassung Südbayern der Autobahn GmbH; inzwischen wurden sie als Dauerleihgabe an das Deutsche Historische Museum in Berlin gegeben, das den Mittelteil besitzt. So wurde dieses Werk, das weder zur NS-Zeit noch zu Lebzeiten Protzens jemals vollständig zu sehen gewesen war, im Depot wiedervereint.

Protzen stellte auf der Großen Deutschen Kunstausstellung (GDK) mit sieben Gemälden die meis­ten Werke zu Reichsautobahnen aus. Diese geringe Zahl ist zunächst überraschend. Allerdings fand die Ausstellung Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst auch nur ein einziges Mal statt, eine zweite Schau war geplant, wurde aber nie umgesetzt. In den Folgejahren wurden Werke zur RAB eher auf volkserzieherischen Ausstellungen gezeigt, meist zusammen mit Fotografien, Modellen und Plänen. Für reine Kunstausstellungen war das Motiv vermutlich doch zu banal und als Mittel zur Propaganda taugte das Bauwerk an sich deutlich mehr als seine meist altmodischen Ansichten.

Auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen  waren insgesamt nur 44 Werke zu diesem Thema zu sehen, wovon 18 großformatig waren. Zur Einordnung: Auf den GDK waren in den Jahren 1937 bis 1944 jährlich zwischen 900 und annähernd 1900 Werke ausgestellt. Die meisten RAB-Werke waren 1939 zu sehen (zwölf), 1942 und 1943 waren nur noch je zwei Werke ausgestellt, und 1944 spielte das Thema keine Rolle mehr.

Unbekannt gebliebenes Genre

Auch heute ist die Malerei zu den Autobahnen eher unbekannt und wird in der wenigen Literatur zu den begleitenden Medien der RAB eher belustigt, verständnislos oder abfällig beschrieben, wie viele andere der damals systemkonformen Werke auch. Die Abbildungen von Baustellen, Strecken und Straßen der Reichsautobahn sind aber die einzig genuinen Motive, welche die Malerei zur NS-Zeit hervorbringen konnte – schlicht weil das Bauwerk erst zu dieser Zeit entstand. Die Gemälde waren Teil der nationalsozialistischen Propaganda und damit mehr als simple Landschaftsdarstellungen zur Erbauung von Menschen in Konzernen und Ingenieuren. Daher ist es an der Zeit, sich auch wissenschaftlich mit ihnen zu befassen anstatt sie als minderwerte Dekorationsware zu ignorieren. (Anke Gröner)

Abbildungen (von oben):

Die RAB A8 bei Irschenberg in einem Gemälde von Ernst Vollbehr.(Foto: SZ Photo)

Wilhelm Heises Gemälde Die Mangfallbrücke im Bau (1935). (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)

Die Donaubrücke bei Leipheim, eine Stahlbeton-Hohlkastenbrücke, die als Prestigepropjekt des RAB-Baus galt und 1937 für den Verkehr freigegeben wurde. Hier gemalt von Carl Theodor Protzen 1936. (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Protzens Gemälde der RAB-Baustelle Lahnbrücke bei Limburg (vor 1940). (Foto:  Ehemals Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, 1951 in das KunstInventar der Landeshauptstadt München überführt)

Information:

In der Ausstellung Kunst und Leben 1918 bis 1955 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München (bis 16. April), sind auch zwei Autobahngemälde zu sehen: Wilhelm Heises Mangfallbrücke im Bau (1934) sowie Carl Theodor Protzens Brücke bei Limburg (1938). www.lenbachhaus.de

Quellen:
Fritz Todt, „Vorwort“, in Ernst Vollbehr, Die Straßen Adolf Hitlers, Baujahr 1933/34, Leipzig 1935, Frontispiz.
Gerdy Troost, Das Bauen im Neuen Reich, Band 2, Bayreuth 1942, Seite 6.
Peter Trumm, Technik baut – Kunst schaut. Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst, in Abendblatt, 16. September 1936.
Ulrich Christoffel, „Landschaftsmalerei. Zur Ausstellung ‚Fünfzig Jahre Münchener Landschaftsmalerei und Bildnisplastik‘ in der Neuen Pinakothek“, in Die Kunst für alle 6 (1936), Seiten 145 bis 152.
Franz Siegele, „Der Reichsautobahn-Kalender“, in: Das Bild 1 (1938), Seiten 46 bis 50.

Literatur:
Anke Gröner, ‚Ziehet die Bahn durch deutsches Land.‘ Gemälde zur Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen (1887–1956), Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2022.
Michael Kriest, Die Reichsautobahn. Konzeption, räumliche Struktur und Denkmaleigenschaft eines historischen Verkehrsnetzes, Michael Imhof, Petersberg 2016.
Erhard Schütz/Eckhard Gruber, Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der ‚Straßen des Führers‘ 1933–1941, Ch. Links, Berlin 1996.

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