Unser Bayern

Jedes Jahr strömen mehr als eine Million Menschen in die Standorte des Deutschen Museums. Im Zentrum steht natürlich der Komplex auf der Museumsinsel in München. In diesem Jahr feiert das Technik- und Naturwissenschaftsmuseum seinen 100. Geburtstag. (Foto: Deutsches Museum/Bernd Wackerbauer)

11.05.2025

Als Technik populär wurde

Der Sammlungsbau des Deutschen Museums wird in diesem Jahr 100 Jahre alt – und feiert dieses Jubiläum groß. Die Titelgeschichte in der neuesten Ausgabe des BSZ-Magazins "Unser Bayern" widmet sich der Historie des meistbesuchten Museums in Deutschland

Am 22. Juni 1925 erschien auf der Titelseite der satirischen Zeitschrift Simplicissimus eine Karikatur von Karl Arnold aus der Reihe Münchner Bilder. Diese zeigte bildfüllend eine Frau und drei Männer am Biergartentisch im Stereotyp bayerisch-barocker Beleibtheit und von Skepsis durchtränkter Bierseligkeit. Darunter die Bildunterschrift: „Dees mit dem deutschen Museum wird si aa net halt´n – wer red´t denn heit no vo der Pinakothek!“

Von wegen! Das „Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ ist heute Deutschlands meistbesuchtes Museum und steht im Ranking auf Platz eins. Die hohen Besucherzahlen des Deutschen Museums belegen seine Popularität: 2024 wurden an seinen fünf Standorten (Sammlungsbau auf der Münchner Museumsinsel und Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe, Flugwerft Schleißheim in Oberschleißheim, Zukunftsmuseum in Nürnberg und Deutsches Museum in Bonn) 1.531.646 Besucherinnen und Besucher gezählt. Sehr geschätzt werden auch die vielen Mitmachmöglichkeiten (kleines Foto: Foto: Deutsches Museum/Hubert Czech).

Bereits im Eröffnungsjahr des Sammlungsbaus 1925 bot sich von Mai bis Dezember allein 787.523 Besucherinnen und Besuchern die Gelegenheit, die insgesamt 250 Ausstellungsräume bei einer oberflächlichen Besichtigung (ohne Aufenthalt) in drei Stunden zu durchwandern. Die Führungslinie betrug 14 Kilometer, der Eintrittspreis 50 Pfennige. Seit 1925 hat sich die Ausstellungsfläche von ursprünglich 30.000 Quadratmetern auf fast 66.000 Quadratmeter vergrößert. 

Start mit 2000 Objekten

Der erst als Leibarzt, dann als Bibliothekar in den Diensten des kunstsinnigen bayerischen Herzogs Albrecht V. stehende Samuel Quicchelberg antizipierte mit seiner Idee, Bibliothek und Werkstätten der Sammlung anzufügen, ein Museumsprogramm, das erst Jahrhunderte später im Deutschen Museum verwirklicht werden sollte. Albrechts Instrumente- und Naturaliensammlung, untergebracht im ehemaligen Marstallgebäude (heute das Landesamt für Denkmalpflege in der Alten Münze), wurde später mit den Sammlungen der Akademie der Wissenschaften vereint. Rund 2000 Objekte daraus bildeten den Grundstock für das Deutsche Museum, darunter Originale der Optik und Feinmechanik von Georg Friedrich Brander, Georg von Reichenbach und Joseph Fraunhofer sowie die ersten Papierfotografien von Carl August Steinheil. 

Als Sensationsfund aus dem Archiv des Deutschen Museums wieder ans Tageslicht gekommen ist Deutschlands erste Fotografie des Mineralogen und Verfassers der Populärposse Brandner Kaspar Franz von Kobell. Sein mittels einer von Steinheil entwickelten Camera obscura entstandenes Salzpapier-Negativ zeigt die Münchner Frauenkirche aus der Perspektive seiner Wohnung und ist auf der Rückseite datiert „März 1837“.

Der Erfolg, der von Beginn an den mit Meisterwerken von Naturwissenschaft und Technik bestückten „Tempel der Technik“ begleitete, wäre undenkbar ohne das Engagement jenes Mannes, der nicht nur die Elektrizität nach Bayern brachte, sondern der sich auch mit dem Deutschen Museum seinem Lebenstraum erfüllte. Die Rede ist von dem Bauingenieur, Museumsgründer und Workaholic Oskar von Miller (kleines Foto, Foto: Deusches Museum), ein außerordentlich vitaler Mensch mit komplexem Charakter in bewegten Zeiten. Lion Feuchtwanger, Seismograf des Zeitgeschehens, hat ihm in seinem Justizroman Erfolg von 1930 mit der Figur des Geheimrats Sebastian von Grueber ein literarisches Denkmal gesetzt. 

Ein goldenes Halsband mit Drähten und Isolatoren war wohl das originellste Geschenk, das der aus einem Künstlerhaus stammende Miller für die Frau an seiner Seite, Marie, anlässlich seiner 1891 in Frankfurt stattfindenden Internationalen Elektrizitätsausstellung anfertigen ließ. Marie, die Tochter des Münchner Arztes und Universitätsprofessors Franz von Seitz, war mit dem sechs Jahre älteren Oskar zu diesem Zeitpunkt bereits seit sieben Jahren glücklich verheiratet. Was aber nicht ausschließt – um hier einmal mit dem Miller-Biografen Wilhelm Füßl genüsslich aus dem Nähkästchen zu plaudern –, dass der Ehemann gelegentlich Maries Tagebuch las, Sätze darin durchstrich und seine Version kundtat.

1912 war Oskar von Miller der alleinige Besitzer einer Villa am Ufer des Starnberger Sees, die sich sein Vater im Geburtsjahr seines jüngsten Sohnes Oskar 1855 von dem Architekten Arnold Zenetti hatte bauen lassen. Vater Ferdinand der Ältere, der die Erzgießerei seines Onkels Johann Baptist Stiglmaier nach dessen Tod 1844 leitete, war 1850 mit seinem Bronzeguss der im Auftrag von König Ludwig I. geschaffenen Monumentalstatue der Bavaria international berühmt geworden. Der durch ihn bestehende enge Kontakt zum Königshaus wurde von dem Sohn Oskar weitergepflegt und sicherte ihm finanzielle Unterstützung und Werbewirksamkeit für seine hochgesteckten Ziele. 

Ein Pionier der Elektrotechnik

Nach dem Absolvieren seines Ingenieurstudiums an der Münchner Technischen Hochschule trat Miller 1878 als königlicher Baupraktikant in den Staatsdienst. Mit seiner Internationalen Elektrizitäts-Ausstellung 1882 im Münchner Glaspalast – sie gilt als Erste ihrer Art in ganz Deutschland – hatte der Pionier der Elektrotechnik bereits seine besonderen Talente unter Beweis gestellt. Miller schuf nicht nur Räume für seine Visionen. Er besaß auch die Fähigkeit, Menschen für seine Ideen und Projekte zu gewinnen. Höhepunkt der damals grandiosen Schau war der berühmte Wasserfall, der durch Strom zum Fließen gebracht wurde. Dafür wurde Gleichstrom im 57 Kilometer weit entfernten Miesbach erzeugt und in den Münchner Glaspalast gebracht. Damit wollte Miller demonstrieren, dass man elektrische Energie mit ausreichend hoher Spannung durch dünne Drähte über weite Strecken leiten kann.

1883 berief ihn der Maschinenbauingenieur Emil Rathenau nach Berlin zur Gründung der Deutschen Edison Gesellschaft, der späteren AEG. Es folgten Studienreisen in die Schweiz, nach Frankreich, England und Amerika. Millers Erfahrungen mit technischen Museen im Ausland, wie dem Conservatoire des Arts et Métiers in Paris und dem South-Kensington Museum in London, waren geeignete Voraussetzungen für die spätere Gründung des Deutschen Museums, das eine Bildungsstätte für das ganze Volk werden sollte.

1889 kehrte Miller nach München zurück und gründete ein Ingenieurbüro für die Projektierung von Stromversorgungssystemen durch Wasserkraft. Sprich: grüne Energie. Als seine größte Leistung gilt das berühmte Walchenseespeicherkraftwerk in Kochel am See, das noch nach 100 Jahren in Betrieb ist. Ironie der Geschichte: Einer der ersten Kritiker des Hochdruck-Speicherkraftwerks war sein Architekt und Freund Gabriel von Seidl, Verfechter der bayerischen Naturschutz- und Heimatbewegung und Gründer des Isartalvereins.

Seidls Neubau des Bayerischen Nationalmuseums an der Prinzregentenstraße, sein Lebenswerk, war sicherlich ein entscheidendes Kriterium für seine Wahl zum bauleitenden Architekten des Deutschen Museums. Sein Verzicht auf eine geschlossene Bauweise zugunsten eines aus dem Innenraum abgeleiteten, offenen Gruppenbaus war das Ergebnis einer neuen Entwicklung im Museumbau um 1900. Von Seidl stammte 1905 das erste Modell für den Museumsneubau, das eine Zweiteilung in Sammlungsbau und Bibliothek sowie einen Ehrenhof vorsah.

Als Vorsitzender des Bayerischen Bezirksvereins des Vereins Deutscher Ingenieure hatte Oskar von Miller den in München am 5. Mai 1903 tagenden Ingenieurskongress zum Anlass für ein Rundschreiben genommen, in dem er erstmals schriftlich seine Idee zur Gründung eines technischen Museums den Vertretern staatlicher und städtischer Behörden, Wissenschaftlern und Ingenieuren mitteilte.

Gleichzeitig erhoffte sich Miller deren Zustimmung und finanzielle Unterstützung. Seine Motive formulierte er folgendermaßen: „Es besteht wohl kaum ein Zweifel, daß die Industrie und die technischen Wissenschaften für die ganze Welt eine stets wachsende Bedeutung gewinnen, und daß ihr Einfluß auf allen Kulturgebieten immer mehr und mehr zur Geltung kommt. Es dürfte daher wohl zu erwägen sein, ob nicht, wie für die Meisterwerke der Kunst und des Gewerbes, auch für die Meisterwerke der Wissenschaft und Technik eine Sammlung in Deutschland angelegt werden sollte, wie dies mit großem Erfolg im Conservatoire des Arts et Métiers und im Kensington-Museum geschehen ist. Es wäre gegenwärtig noch möglich, viele Instrumente und Maschinen zu vereinigen, welche wichtige Wendepunkte in der Entwicklung der modernen Technik bezeichnen, bevor dieselben zerstreut, verdorben und vergessen sind.“ 

Gabriel von Seidl, für den Ornament kein Verbrechen war und der stilistisch als Traditionalist einer spezifisch münchnerischen Variante des Historismus galt, hatte beim öffentlich ausgelobten Wettbewerb 1906 den ersten Preis gewonnen. Im Verlauf der Planungen kam es nicht nur zu Grundrissänderungen durch den Bauherrn, sondern auch zur Straffung der Form und Reduktion des bildnerischen Schmuckes, was nicht den Absichten des Baumeisters entsprach.

Gemälde hält Grundsteinlegung fest

Am 13. November 1906 wurde das Deutsche Museum in den provisorischen Räumen des alten Bayerischen Nationalmuseums an der Maximilianstraße (heute Museum Fünf Kontinente) eröffnet. Gleichzeitig wurde auf der ehemaligen Kohleninsel – die so genannt wurde, weil das mit Flößen ankommende Holz vor Ort zu Holzkohle weiterverarbeitet wurde – der Grundstein für den Museumsneubau gelegt. Auf seinem dreiteiligen Gemälde von 1916 hat der akademische Maler Georg Waltenberger diesen historischen Moment festgehalten. Es befand sich ursprünglich im zweiten Obergeschoss des Treppenhauses und wanderte später durch den Umbau des Ehrensaals nach dem Zweiten Weltkrieg ins darunterliegende Stockwerk.

Den Bauplatz von rund 36.000 Quadratmetern in Filetlage auf der südlichen Kohleninsel, dem breitesten Teil der lang gestreckten heutigen Museumsinsel, hatte die Stadt München 1904 in Erbaurecht auf die Dauer des Bestehens des Museums zur Verfügung gestellt. Außerdem spendete die Residenzhauptstadt eine Million Mark, das Königreich Bayern sowie das Deutsche Reich spendeten jeweils 2 Millionen Mark. Weitere 2 Millionen Mark wurden vonseiten der Industrie beigesteuert, sodass die erforderliche Summe von 7 Millionen Mark aufgebracht werden konnte.

Der rasche Zuwachs der Sammlungen durch private und öffentliche Stiftungen machte schon bald eine Erweiterung der Räumlichkeiten des Museums erforderlich, sodass am 1. Januar 1909 einige neue Abteilungen in den früheren Pferdeställen und Mannschaftsstuben der ehemaligen Schwere-Reiter-Kaserne eingerichtet wurden.  Diese befand sich am Westufer der Isar in direkter Nachbarschaft zum geplanten Museumsneubau, wo 1911 im südlichen Bauteil das Richtfest gefeiert wurde. Für das Jahr 1915 war die Eröffnung geplant.

Seit einem Jahrhundert präsentiert sich der auf 8100 Beton- und Eisenbetonpfählen im Isarkies auf der Museumsinsel gegründete Sammlungsbau als eine Art Wasserschloss und ist – wie das benachbarte im Jahr 1911 eröffnete Alpine Museum auf der Praterinsel – nur über Brücken erreichbar. Als Wahrzeichen gehört das Deutsche Museum zu dieser Stadt, wie beispielsweise die Frauenkirche, der Friedensengel oder das Olympiagelände. Dem aufmerksamen Betrachter stechen die verschiedensten Bautypen vom Tempelbau bis zum Barockschloss ins Auge. 

Ein Meisterwerk der Bautechnik

Das heute unter Denkmalschutz stehende Deutsche Museum, in der neuen Bauweise des Stahlbetons errichtet, war zweifellos ein Meisterwerk der modernen Bautechnik. Aber wurde es auch baukünstlerisch dem hohen Anspruch der Bauherrschaft gerecht? Kritische Töne unter den Zeitgenossen wurden laut. Herman Sörgel beschrieb 1925 in seinem Aufsatz „Kritische Streifzüge“ den Baukörper als „eine unbeholfen zusammengekleisterte Pappschachtel“. Auch die Innenraumgestaltung überzeugte Sörgel nicht: „In den Museumsräumen wird man von den zur Schau gestellten Gegenständen voll gefesselt, wie ja glücklicherweise für die meisten Besucher der Bau selbst schon aus Übermüdung am Gesehenen nicht zur Kritik herausfordern wird. Das Museale übertrumpft überall das Baukünstlerische. Das deutsche Museum ist ein typisches Symptom, wie die Baukunst von der Bautechnik übermannt wird, wie sich die mimosenhafte Kunst gegenüber der allgewaltigen Technik trotz der Größe der Gesamtaufgabe zu keiner freien Verselbständigung durchzuringen vermag.“

Kein durchgängiges Grundrissprinzip

Das Deutsche Museum befand sich in einem für die Frühphase des modernen Bauens so typischen Dilemma. Es entstand einerseits aus der Intention, ein seiner Funktion nach adäquates Gebäude in Eisenbeton zu entwickeln. Andererseits wurde an einer retrospektiven Architektur festgehalten und das Gebäude verzichtete nicht auf historische Stilzitate.

Deutlich wird das am Beispiel des 65 Meter hohen Aussichtsturms mit Antennenmast für drahtlose Telegrafie und Telefonie, mit meteorologischen Instrumenten an den Turmaußenwänden und dem Foucault‘schen Pendel im Inneren. Miller verkündete in seinem für die Münchner Neuesten Nachrichten verschriftlichten Vortrag vom 3. Oktober 1912, dass ihm erst vor wenigen Tagen der Erbauer des Eifelturms geschrieben habe, „dass er [Gustave Eiffel] seine reichen Erfahrungen, die er gerade zur Benützung seines Turmes zu wissenschaftlichen Zwecken habe, uns gerne zur Verfügung stellen will“. Für Seidl war „der schlanke schöne Turm“ […] ein Zugeständnis an das Heute“, so Fritz von Ostini in seinem Nachruf auf Gabriel von Seidl. Betrachtet man den Turmkopf genauer, dann entdeckt man in den Loggien dorische Säulenkapitelle nach Vorbild des griechischen Parthenontempels im British Museum, deren genaue Maße Seidl genauestens studiert und in einer Reiseskizze festgehalten hatte.

Nur wenige Monate vor seinem Tod am 27. April 1913 schrieb Gabriel von Seidl dem mittlerweile zum Reichsrat aufgestiegenen Oskar von Miller folgende Zeilen: „Wenn ich an deine und meine Verdienste denke – dann werde ich sehr klein u. die Ehrungen kommen mir dann höchst sonderbar vor. Nimm diesen dankbaren Gruß! Ich kann im Bett nicht besser schreiben – was macht denn der Neubau ohne Architekt??? Dein alter Freund G. Seidl“.

In seinem Neujahrsbrief desselben Jahres hatte Seidl ihm gegenüber auch seinen Gesundheitszustand erwähnt: „[…] wenn ich nur endlich zur Gesundheit u. Arbeit käme! Gerade jetzt, wo die Gestaltung und das Arrangement des Turmes beginnt, wäre ich so ganz und gar in unserem Element, u. ich würde dir gewiß mit immer neue Vorschlägen dienen können u. es wäre mir gerade dies alles die größte Freude. – Aber ich weiß gar nicht, wie´s mit mir gehen wird. – Die Ärzte sagen nichts bestimmtes und dies ist für mich Auskunft genug. – Ich würde dich sehr gern sehen, aber deine Zeit ist zu kostbar […].“

Gestorben vor der Eröffnung

Der Museumsbaumeister erlebte die Eröffnung seines letzten großen Profanbaus 1925 nicht mehr. Ebenso wie sein jüngerer Bruder, der Architekt Emanuel von Seidl, der als bauleitender Architekt auf Wunsch von Gabriel von Seidl die Arbeiten an dem im Rohbau fertiggestellten Sammlungsbau weiterführte – so weit dies während des Ersten Weltkriegs überhaupt möglich war. Bis auch ihn der Tod ereilte. 1919 wurde die Bauleitung Oswald Eduard Bieber übergeben. Mit dem Verwaltungsbau der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft in der Königinstraße hatte sich Bieber bereits einen Namen als Architekt gemacht.

Durch den Ausbruch des Krieges und den damit verbundenen Mangel an Arbeitskräften, Baumaterial und größeren Stiftungen sowie durch die nach dem Krieg herrschende Inflation dauerten die Bauarbeiten zehn Jahre länger als geplant.

Bereits 1906 boten die Eröffnung der provisorischen Sammlungen im alten Bayerischen Nationalmuseum sowie die Grundsteinlegung in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau Auguste Victoria den Münchner Bürgern Anlass zu feierlichen Festzügen. Die Begeisterung der Teilnehmer an diesen Festzügen für Kostümierung und dekorativen Pomp setzte die Tradition der für das 19. Jahrhundert typischen Künstlerfeste fort. 

Der 1,5 Kilometer lange Festzug der Münchner Künstler und Zünfte anlässlich der Eröffnungsfeier des Deutschen Museums fand am 5. Mai 1925 statt. Die künstlerische Leitung hatte der Münchner Architekt und Bauunternehmer Frank Rank. Den Auftakt machten berittene Fahnenbläser und Pauker in mittelalterlichen Kostümen, an die sich eine Schar weiß gekleideter Kinder anschloss, die in ihrer Mitte einen riesigen Blumenstrauß für Oskar von Miller trugen. Es folgten Schauwagen (kleines Foto, Foto: Deutsches Museum) mit allegorischen Darstellungen der Elektrizität, der Farbe, der Münchner Kaufmannschaft, des Bergbaus, des Verkehrs, der Textilien, der Maschinenbauer, der vier Elemente, der Landwirtschaft sowie der Handwerker und Gewerbetreibenden. Insgesamt defilierten bis zum Schlusswagen der Stadt München mit dem Modell des Museumsbaus rund 60 Gruppen vom Alten Nationalmuseum durch die Altstadt bis zu Millers stattlichem Wohnhaus am St.-Benno-Platz. 

Die ganze Innenstadt war an diesem schulfreien Dienstag festlich geschmückt. Das Großereignis schrieb Stadtgeschichte, war Medienspektakel, wurde in Erinnerungsfotos sowie auch im Film von den beiden Filmfabriken Arnold und Richter sowie Martin Kopp unter Mitwirkung von zehn Aufnahmeoperateuren festgehalten. „Diese hochinteressanten und aktuellen Filme werden täglich in den Sendlingertor- und Rathauslichtspielen ab 6. Mai zur Aufführung gebracht“, so die Bayerische Staatszeitung, die zur offiziellen Einweihung des Sammlungsbaus am 7. Mai – Millers 70. Geburtstag – eine reich bebilderte, 16 Seiten umfassende Sonderbeilage einschließlich großem Anzeigenteil der beteiligten Baufirmen herausgab. Auch die Münchner Neuesten Nachrichten nutzten ihrerseits das Mega-Event und brachten gleichzeitig eine achtseitige Sonderausgabe heraus.

Hochrangige Vertreter der Reichsregierung, die bereits am 6. Mai aus Berlin statt mit dem Schnellzug in „Luftfahrzeugen“ zu den mehrtägigen Feierlichkeiten angereist waren, wurden auf dem Flugplatz Oberwiesenfeld von dem Flugzeugbauer Hugo Junkers empfangen.

1500 geladene Gäste

In der Mittelhalle des Museumsneubaus fand am darauffolgenden Tag vor 1500 geladenen Gästen der feierliche Eröffnungsakt statt. Unter den geladenen Damen waren Marie von Miller und die Witwe von Franz von Lenbach. Den Festreden folgten Festmusik, dirigiert von Richard Strauss, und ein von Gerhart Hauptmann gedichtetes Festspiel, das die Entstehungsgeschichte des Deutschen Museums darstellte.

Zu den Prominenten, die an der Ehrentafel des offiziellen Festmahls Platz nahmen, zählten hochrangige, ausschließlich männliche Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Anwesend waren auch internationale Gäste, darunter der Direktor des Kensington-Museums sowie der schwedische Abenteurer, Entdeckungsreisende und Geograf Sven Hedin, der auch als Festredner auftrat. Laut Sitzordnung ihm zur Seite gesellten sich der Großindustrielle und Ehrenpräsident des Deutschen Museums, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, und Kronprinz Rupprecht von Bayern. Hedin gegenüber saß der päpstliche Nuntius Eugenio Parcelli, der wiederum umgeben war von Reichskanzler Hans Luther und dem stellvertretenden Reichspräsidenten Walter Simons. Leider nicht überliefert ist der Smalltalk unter den Honoratioren. 

Ein neuer Bau steht an

Sobald der Sammlungsbau eröffnet war und die Vollendung der noch nicht fertiggestellten Ausstellungsbereiche nicht mehr gefährdet schien, forcierte Miller die Realisierung des Bibliotheksbaus mit Archiv und Plansammlung. Verglichen mit dem Sammlungsbau entstand der Stahlskelettbau nun in Rekordzeit. 1927 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, an dem sich 131 Architekten beteiligten. Mit der Ausführung betraut wurde Geheimrat German Bestelmeyer, ein im In- und Ausland anerkannter Architekt, dessen Entwurf den vierten Preis erzielte. Sein Mitarbeiter Karl Bäßler wurde 1933 Verwaltungsdirektor des Deutschen Museums und leitete später den Wiederaufbau.

Als Berater unterstützend zur Seite gestanden hatten Miller von Anfang an Persönlichkeiten wie der Rektor der Technischen Hochschule, Walther von Dyck, und der Pionier der Kältetechnik, Carl von Linde, der 1921 von dem Pädagogen Georg von Kerschensteiner abgelöst wurde. Dieses ehrenamtlich tätige Trio bildete viele Jahre den Museumsvorstand.

Prägend für das Haus war auch sein Stab kompetenter Mitarbeiter, darunter der Ingenieur Arthur Schönberg, Cousin des berühmten Komponisten Arnold Schönberg und Millers rechte Hand. So wie andere jüdische Mitarbeiter, wurde Schönberg nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1934 aus dem Museum ausgeschlossen. Er und seine Frau wurden ihres Vermögens beraubt, deportiert und starben 1942 im Ghetto Theresienstadt. 

Miller war als Museumschef 1933 freiwillig zurückgetreten. Er hatte diese Aufgabe nominell an den berühmten Münchner Verleger Hugo Bruckmann übergeben, der privat engste Kontakte zu Adolf Hitler pflegte und mit Miller verwandt war. (Ein Neffe heiratete Millers Tochter Marianne.) Zum neuen Vorstand gehörten neben Bruckmann der Physiker Jonathan Zenneck sowie der Technikhistoriker und Direktor des VDI, Conrad Matschoß, die das Deutsche Museum strategisch distanziert bis opportunistisch durch die NS-Zeit navigierten.

Tod nach Herzschlag

Miller und seine Frau erlebten noch die Vollendung der Bibliothek 1932. Der Kongresssaal konnte erst 1935, ein Jahr nach Millers Tod, eingeweiht werden. Miller erlag 1934 einem Herzschlag. Seine Frau starb bereits 1933 infolge eines Autounfalls. Ihr zur Ehre stiftete Miller die prunkvolle Uhr am Uhrturm im Ehrenhof. Ganz anders hatte er sich gegenüber dem Bismarck-Denkmal verhalten. Weil er sein Haus nicht zum Instrument der Politik machen wollte, hatte er strikt die Aufstellung des von einem Industriellen gestifteten Monumentalwerks auf dem Museumsgelände abgelehnt.

Die Nationalsozialisten förderten die Fertigstellung des Kongresssaals. Ebenso wie das Bibliotheksgebäude, das für diffamierende Ausstellungen wie Der ewige Jude (1937/38) und propagandistische Leistungsschauen im Vorgeschmack auf die neue Kraftfahrzeughalle genutzt wurde, beanspruchten sie den Kongresssaal für offizielle Auftritte. 1944 wurde durch Kriegsangriffe das Deutsche Museum zu zwei Dritteln zerstört. (kleines Foto, Foto: Deutsches Museum) Einige der wertvollsten Exponate waren noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden. Nur schrittweise wurden nach dem Krieg die Sammlungen wieder aufgebaut. 1948 schloss das Deutsche Museum unter anderen mit dem Deutschen Patentamt einen Zehnjahresvertrag. Dieser sicherte dem Museum finanzielle Unterstützung beim Wiederaufbau durch die Bundesbehörde zu. Als Gegenleistung wurden dem Patentamt Büroräume innerhalb des Museums zur Verfügung gestellt.

Mit der Abteilung Physik öffnete 1948 der Sammlungsbau wieder seine Tore. Ein Jahr darauf folgte das ikonisch gewordene Bergwerk – wie schade, dass diese Sektion für immer abgebaut wird! Eine der Hauptattraktionen, das kopernikanische Zeiss-Planetarium, wurde 1955/56 wiedereröffnet. Der darunterliegende Ehrensaal hatte ein Zwischenstockwerk sowie eine neue Raumschale erhalten. Ende der 1950er-Jahre gestaltete der Architekt und Akademieprofessor Paolo Nestler die Physik-Ausstellung radikal neu, womit die moderne Bauhaus-Ästhetik ins Museum trat.

Erst Mitte der 1960er-Jahre entsprach das Museum nach Größe und Inhalt wieder dem Vorkriegzustand. Der zentrale Halbrundbau sowie die gesamte Südfassade wurden in den 1970er-Jahren für die Halle für Luft- und Raumfahrt abgetragen. Mit dem Erweiterungsbau wurde der Münchner Architekt Sep Ruf beauftragt, der sich mit dem Kanzlerbungalow in Bonn weltweit einen Namen gemacht hatte.

Das im nationalen wie internationalen Bewusstsein fest verankerte Deutsche Museum mit seiner in die Zukunft weisenden spielerisch-experimentellen Ausstellungsdidaktik wurde zum Vorbild zahlreicher Technischer Museen im Ausland, darunter die Neugründungen Technisches Museum Wien (1918), Museum of Science and Industry in Chicago (1933), das Franklin Institut in Philadelphia (1934) und das Techniska museet in Stockholm (1935). Rückwirkend beeinflusste es auch seine eigenen Vorbilder in Paris und London.

Rudolf von Miller schrieb in Erinnerung an seinen Vater Oskar von Miller: „Dem bayerischen Katholiken, der die alte Tradition der Weihnachtskrippe in seinem Hause mit aller Liebe pflegte und selbst die Krippe noch im hohen Alter für Kinder und Enkel aufstellte, war es selbstverständlich, daß ein gut durchdachtes und künstlerisch ausgeführtes Diorama ansprechend und belehrend auf den Beschauer wirkt, und reichlich machte er hiervon im Deutschen Museum Gebrauch. Überhaupt sind manche der unser Interesse ergreifenden Museumsdemonstrationen aus der bekannten Spiel- und Darstellungskunst des bayerischen Volkscharakters zu erklären.“

Es wird groß gefeiert

Im Jubiläumsjahr 2025 wird es auf der Münchner Museumsinsel neben einem großen Jubiläumsfest an diesem Wochenende (10. und 11.Mai) bei freiem Eintritt auch einen bunten Strauß diverser Veranstaltungen geben, darunter Führungen zur Geschichte des Hauses und Sonderprogramme für Schüler, die auch für den Museumsgründer Oskar von Miller, dessen 170. Geburtstag sich gleich mitfeiern lässt, Hauptzielgruppe waren.

Schon vor den Feierlichkeiten begrüßte das Deutsche Museum, das sich derzeit im zweiten Bauabschnitt seiner Modernisierungsarbeiten fit macht für die Zukunft, den hundertmillionsten Gast seit Eröffnung der ersten Ausstellungen 1906: die neunjährige Sylvia Wiedemann aus München, die mit ihren Eltern das Museum besuchte. (Angelika Irgens-Defregger)

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