Unser Bayern

Angeregt von Humboldt zeichnet Johann Wolfgang Goethe 1807 die Berge Amerikas und Europas als eine zusammenhängende Gebirgslandschaft. (Foto: Archiv)

17.09.2010

Hyperinteressant, göttlich und voller Pyramiden

Humboldt, Goethe und die europäischen Alpen als Modell für die internationale Gebirgsforschung

Von Traunstein in Bayern aus erblickt der junge Humboldt am 4. Oktober 1792 erstmals die Alpen. Das Gebiet ist „hyperinteressant", schwärmt er. Allerdings behindere das Wetter gegenwärtig seine Bergbaustudien – doch: „Die Gegend hier ist göttlich. Ich glaubte noch nie Gebirge gesehen zu haben, so ist hier alles anders. Lauter Alpengebirge, Pyramide auf Pyramide gehäuft." Tatsächlich hat Alexander von Humboldt vorher schon mehrere Berggebiete gesehen, den Harz, das Erzgebirge, das böhmische Mittelgebirge. 1769 als Adliger bei Berlin geboren wird er früh von der Forscher- und Reiselust gepackt. In diesem Jahr 1792 hält ihn sein Vorhaben einer bergmännischen Inspektion nur wenige Wochen am Rande der Alpen. Drei Jahre später unternimmt er aber eine weitläufige Reise durch den Gebirgsbogen: Tirol – Oberitalien – Schweiz – Savoyen – nochmals Schweiz – Bayern und zurück nach Berlin. Erklärte Absicht der Reise ist es, für ein geplantes Buch über die Lagerung und Schichtung der Gebirge im mittleren Europa, das er vor allem aus Studien über deutsche Gruben und Berggebiete her konzipiert hat, eine Reihe von Alpenregionen zu besichtigen. Er will damit seine Ideen über harmonische Gesetzmäßigkeiten im geologischen Aufbau einer Prüfung unterziehen. Doch Humboldt pflegt vor allem auch Freundschaften, und die Reise folgt streckenweise eingespielten Mustern der Zeit mit viel beachteten Destinationen wie dem Grindelwaldgletscher und dem Montblanc. Der dritte Aufenthalt in den Alpen beginnt im Oktober 1797 und dauert – nicht ganz freiwillig – mehr als ein halbes Jahr. Eigentlich drängt es Humboldt, für vulkanologische Studien nach Italien zu ziehen. Die Studien könnten als Vorbereitung für seine beabsichtigte Südamerikareise dienen. Doch die unsichere Lage nach dem Italienfeldzug Napoleons durchkreuzt den Plan. Überhaupt ist eine langfristige Planung in diesen Kriegsjahren schwierig. Der Naturforscher ist bereit, fast jedes mögliche Reiseziel in Erwägung zu ziehen, wenn es ihn nur in die große weite Welt führt. Den Winter 1797/98 verbringt Humboldt also in Salzburg. „Wir sind der schönen Gegend wegen so langsam gereist, dass wir erst zwei Tage hier sind", schrieb er kurz nach der Ankunft an einen Freund. „Hier ist eine Todtenruhe, ich werde gewiss ungestört arbeiten können. Auch habe ich schon einen ganzen Kramladen ausgepackt und bin in voller Arbeit." Dieser „Kramladen" besteht aus den vielen wissenschaftlichen Instrumenten, die er mit sich führt. In Salzburg und Umgebung beschäftig er sich mit Messungen, die vor allem der Einübung in den Instrumentengebrauch dienen. Daneben setzt er seine wissenschaftlichen Arbeiten fort und betreibt Lektüre. „Ich lese und schreibe ununterbrochen fort, laufe in Sturm und Regen mit dem Electrometer in Luftschichten umher und durchblättere alte Reisebeschreibungen, die ich schon sonst gelesen und von denen die Bibliothek des hiesigen Botanikers Baron Moll (der selbst keine Pflanze kennt, leider!) eine Menge enthält." Eines der Werke, das er wieder zur Hand nimmt, sind die Reisebeschreibungen des Genfer Alpenforschers Horace-Bénédict de Saussure, die 1779/1781 in französischer und deutscher Sprache erschienen und schnell Berühmtheit erlangten. Saussure gilt auch weithin als Erstbesteiger des Montblanc – mit 4800 Meter des höchsten Gipfels der Alpen –, obwohl vor ihm andere oben waren. „Sagt dem verehrungswürdigen Saussure", schreibt Humboldt auf Französisch an einen Genfer Kollegen, „dass ich diesen Winter alle seine Werke Wort für Wort wieder gelesen habe und dass ich alle von ihm vorgeschlagenen Experimente markiert habe. Ich liebe es, auf den Spuren eines großen Mannes zu gehen." Später wird Humboldt versuchen, zusammen mit zwei Reisegefährten den Chimborazo in den ecuadorianischen Anden zu besteigen, den man damals für den höchsten Berg der Welt hält. Obwohl er einige hundert Meter unter dem 6300 Meter hohen Gipfel umkehren muss, gilt er nun für einige Zeit als der Mann, der es am weitesten hinauf in die Bergwelt gebracht hat. Doch auch in der Stunde des Triumphs findet er schmeichelhafte Worte für Saussure. Die Stelle, die er selber auf dem Chimborazo erreichte, scheine höher zu sein „als jede andere, die Menschen auf dem Rücken der Berge je erreicht haben; sie liegt elf-hundert Meter über dem Gipfel des Mont-Blanc, den der gelehrteste und kühnste aller Reisenden, Herr de Saussure, unter noch größeren Schwierigkeiten als denen, die wir am Chimborazo zu bewältigen hatten, glücklich erreicht hat". Humboldt ist bekannt für seine großzügigen Komplimente, doch die körperliche Leistung und der gesamte wissenschaftlich-literarische Habitus des Genfer Alpenforschers scheinen ihn bleibend beeindruckt zu haben. Ein Grund dafür ist ihre gemeinsame Liebe zu Höhenmessungen. Trigonometrische und barometrische Höhenangaben für Berggipfel sind an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert noch keine Selbstverständlichkeit, sondern gehören zu den avancierten Techniken der Forschung. Zurück von seiner Aufsehen erregenden Südamerikareise, veröffentlicht Alexander ovn Humboldt Humboldt unter vielen anderen Werken seine Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Darin publiziert er auch eine Liste von 125 Höhenmessungen aus aller Welt. (Jon Mathieu)

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