Unser Bayern

Biergott mit Wurstzepter: Ausschnitt aus einem Deckengemälde von Juan Seyfried in der Gasthofbrauerei Knoblach in Schammelsdorf. Die Gesamtansicht finden Sie im Beitrag, lesen Sie über das Bild am Ende des Beitrags. (Foto: Jan Kopp)

06.05.2022

Tiefgründiges Schweigen

Typisch Franken: Allenfalls drei Wesenszüge lassen sich als Verbindendes eines historischen Flickenteppichs ausmachen

Oben im Norden des Freistaats bezeichnen sie sich gerne als einen eigenen Volksstamm. Der Menschenschlag dort sei eigenbrötlerisch und unterscheide sich in seinem Wesen, seinen Tra-ditionen und seiner Alltagskultur kollossal von seinen Nachbarn. Alles nur ein Missverständnis? Oder gibt es das tatsächlich: typisch Franken?

Beginnen wir doch einfach mal mit München. Denn bei dieser Stadt ist es kinderleicht. Sie wird von Machern bewohnt, die es in ihrer Maßlosigkeit als selbstverständlich empfinden, in allen Disziplinen der Lebenskunst zum Primus berufen zu sein. Abgehakt. Bei den Schwaben auch. Permanent am Kommunizieren. 50 Prozent der Wortkaskaden freundlich, 50 Prozent zersetzend. Der Landstrich der Nerds.

Und die Franken? Wenn es für die Stadt des überhöhten Selbstwertgefühls und den Landstrich der Sparsamkeit möglich ist, müsste sich doch auch aus den Extravaganzen und Normabweichungen, die zwischen Pappenheim und Hof, Aschaffenburg und Pegnitz zum guten Ton gehören, ein Katalog regionaler Alleinstellungsmerkmale ableiten lassen. Im Sinn von einzigartig.

Sammelsurium von Einzigartigkeiten

Bratwürste? Sorry, die gibt es auch in Thüringen. Mit Majoran würzt auch der südbayerische Metzger. Den Kult um Biere, die mit einem antiquierten Equipment gebraut werden, sich an vorindustriellen Ritualen, dem Räuchern des Malzes zum Beispiel, oder an einem gemeinschaftlichen Sudhaus festkrallen, teilt man sich mit der Oberpfalz – deren helle Lager dank perfektem Brauwasser obendrein auch noch geschmeidiger über den Gaumen hüpfen. Beim Stichwort Silvaner schnalzt auch der Pfälzer mit der Zunge.

Bleibt also nur das Schäufele! Ohne den Knödel – entschuldigung: ohne den Kloß! Und ohne Soß‘! Die in großer Menge aufzutunken hat man auch drüben in Böhmen auf die Liste der dort auffälligen Gewohnheiten gesetzt. Völlig zu Recht.

Seit Generationen frönen kluge Autoren dem inneren Bedürfnis, Franken als ein Sammelsurium der Einzigartigkeiten zu porträtieren. Man arbeitet sich daran ab, Besonderes auf einen verbindlichen Nenner zu bringen, zu verdichten. Die ers ten, die das taten, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, erfanden mit ihren Beobachtungen aus der Fränkischen Schweiz, die sie bei ihrer berühmten Pfingstwanderung von 1793 gesammelt hatten, nebenbei gleich eine neue literarische Epoche, die Romantik. Die Methodik, die die beiden Pioniere der Regionalanalyse damals aus dem Ärmel schüttelten, eine Wirtshaus-Expedition, sollte auch beim bislang letzten Versuch zum Einsatz kommen.

Vor knapp zehn Jahren vertraute der Münchner Piper Verlag dem Fürther Kabarettisten Matthias Egersdörfer und dem Frankfurter Publizisten Jürgen Roth die Aufgabe an, gemeinsam einen der letzten weißen Flecken auf der Weltkarte mit einer Buchreihe zu schließen, die dem Leser die Arbeit abnimmt, den Wesenskern einer Region herauszuschälen und die immer auch eine „Gebrauchsanweisung“ für Touristen und Zuzügler sein will, mit einem Territorium und dessen Alteingesessenen zurechtzukommen. Egersdörfers und Roths Idee: Selbstaussagen Einheimischer zuforderst dort zu sammeln, wo sie mit einer vom Alkohol gelockerten Zunge getätigt werden. Denn in einem nüchternen Zustand verweigert der Franke den Zutritt in seine innerseelischsten Tiefen.

Warum es den beiden trotz dieser klugen Versuchsanordnung nicht gelingen wollte, bis zu ihrem Ziel vorzudringen? Vielleicht, weil der Franke selbst nicht weiß, wie es in den Untergeschossen seines Selbst überhaupt aussieht. Wenn einer die ureigensten mentalen Kanten des fränkischen Men-schenschlags präzise zu umreißen vermag, dann der Egersdörfer, dachte man. Die Bühnenfigur des in Fürth lebenden Wortjongleurs, die seit 2015 in Gestalt des Leiters der Spurensicherung das Lokalkolorit des Franken-Tatorts absichert, gilt seit nunmehr 20 Jahren als das Surrogat der fränkischen Seele schlechthin. Aber auch der Würzburger Kabarettist Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig scheiterte an dieser Aufgabenstellung. Roth und Egersdörfer waren also nicht die ersten, die sich dem Verlag auf halbem Weg mitzuteilen gezwungen sahen, eine Gebrauchsanweisung für Franken sei ein Ding der Unmöglichkeit. „Die Sichtweisen auf diese Region sind derart disparat“, fasste Roth das Scheitern 2014 in einem Interview zusammen, „dass wir oft nicht mehr wussten, ob es Franken überhaupt gibt.“

Genau diese Unsicherheit – vielleicht ist sie der richtige Ausgangspunkt, von dem aus sich die fränkische Seele mit einem roten Faden markieren, ausmessen und umschnüren lässt. Sie setzt bereits in dem Moment ein, in dem es erst einmal zu definieren gilt, wo dieses Franken denn anfängt und wo es aufhört – wo seine Grenzen verlaufen. Das bayerische Innenministerium geht davon aus, eine eindeutige, sauber in Unter-, Mittel- und Oberfranken untergliederte Antwort liefern zu können. Ob es weiß, dass es der Franke gewohnt ist, dieses Verwaltungskonstrukt nur mit der rationalen Hälfte seines Oberstübchens wahrzunehmen, weil er sie dann um des Friedens willen akzeptieren kann? Dass ein und derselbe Franke diese Grenzdefinition mit der willkürlichen Aufteilung der afrikanischen Landmasse durch die Kolonialmächte gleichsetzt? Am Stammtisch, an dem er gewohnheitsmäßig auf die zweite, für Emotion und Wohlgefühl zuständige Gehirnhälfte umschaltet. Und das sogar in einem noch nüchternen Zustand.

Unter Preußen Kuratel

 Zwar hat der Franke in diesem Moment keinen Zugriff auf historische Details, die in der rationalen Hälfte des Oberstübchens abgelegt werden. Ein Stichtag liegt allerdings in Kopie auch drüben vor: der 15. Januar 1791. Dieses Datum steht für den letzten Tag, an dem ein Flickenteppich aus einer Handvoll größerer und unzählig kleiner staatlicher Gebilde selbstbestimmt über sein Wohl und Wehe entscheiden konnte. Der Tag danach markiert den Beginn eines fast 30 Jahre währenden Chaos. Am 16. Januar unterzeichneten Markgraf Christian Friedrich Carl Alexander und König Friedrich Wilhelm II. jenen Geheimvertrag, (...)

Der Franke hat ein langes Gedächtnis, lautete unsere erste Antwort auf die Frage, was für die Region typisch ist. Dazu kam als zweite eine räumlich eng begrenzte Wahrnehmung. Im Verbund mit einem Hang zur Anarchie, die dem Franken aus der Erfahrung heraus in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass ihm eine staatliche Ordnung viel nehmen, aber nichts zurückgeben will, bildet der Kirchturmblick den Kettfaden, der den gefühlt nie in ein deckendes Rot-Weiß umgefärbten Flickenteppich Franken bis heute zusammenhält. Wer nach weiterreichenden Gemeinsamkeiten sucht, die das rauhe Fichtelgebirge und das liebliche Taubertal, das permanent überarbeitete Nürnberg und das unbekümmert der Kunst der Entspannung frönende Bamberg, das steife Ansbach und die sich vor Lachen schüttelnden Nachbarn Kitzingen und Ochsenfurt als einen in sich geschlossenen, homogenen Kulturraum erscheinen lassen, dem kann es nur wie Egersdörfer und Roth ergehen. ... (Martin Droschke)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in UNSER BAYERN, Ausgabe Mai/Juni 2022 (BSZ Nr. 18 vom 6. Mai 2022)

Abbildung:

Die bacchantischen Ausschweifungen, die sich der Bamberger Fürstbischof in seiner barocken Sommerresidenz Seehof (Gemeinde Memmelsdorf) einst gönnte: Eine Lappalie im Vergleich zum geselligen Treiben im Brauereigasthaus Knoblach des nahen Schammelsdorf, einer Pilgerstatt für Anhänger des Lagerbiers. Für die Decke der Wirtsstube hat Stammgast Juan Seyfried (www.juanseyfried.de) einen Schutzpatron geschaffen, wie er für Bierfranken nicht typischer sein könnte. Gambrinus, der mystische Urvater der Braukunst – ein König mit Wurstzepter und Krug als Herrschaftsinsignien. Inspiriert haben den autodidaktischen Maler tatsächlich die legendären Skulpturen von Ferdinand Tietz im Schlosspark von Seehof. Ob vielleicht Gott Hades (Pluto) Pate stand, der die Proserpina entführte, und die sich daraufhin in eine Quelle verwandelte – oder in Seyfrieds Interpretation in Bier und Wurst? (Foto: Jan Kopp)

 

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