Kein Aspekt hat den Nachruhm König Ludwigs II. von Bayern stärker gefördert als die undurchsichtigen Vorgänge seines Todes. Während sich die konkreten Umstände seines Endes trotz aller Mutmaßungen nicht mehr im Detail ermitteln lassen, sind die nicht minder umstrittenen Vorgänge um seine Entmündigung und Absetzung zumindest teilweise entschlüsselbar. Betrachtet man die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenumstände, vor denen sich die relevanten Vorgänge im Juni 1886 abspielten, so erscheint das Handeln der Akteure und ihre Motive vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Handlungsnotwendigkeiten und der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten in einem neuen Licht. Dabei soll vor allem vier Fragstellungen nachgegangen werden:
> Welchen Einfluss hatten die Schulden Ludwig II. auf dessen Entmündigung und Absetzung?
> Unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen handelten die damaligen Akteure?
> Welche Rolle spielte der Geisteszustand Ludwig II. für dessen Entmündigung und Absetzung?
> Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus auf die Motivation der Regierung Lutz und des Prinzen Luitpold, den KönigI zu entmündigen und abzusetzen?
Ludwig II. war König von Bayern, hatte aber keinen freien Zugriff auf die Staatskasse, sondern erhielt eine Zivilliste. Diese Zivilliste war die Throndotation, das heißt, die Gelder, die er als König monatlich vom Fiskus erhielt. Von diesen Geldern hatte der König alle privaten und öffentlichen Ausgaben zu bestreiten, unter anderem „die sämmtlichen Bedürfnisse der Hof- und Haushaltung des Königs", den Aufwand für den Hofstaat inklusive der Gehälter und Pensionen des Hofpersonals und den Bauunterhalt der königlichen Schlösser. Damit umfasste die Zivilliste nicht nur das private Einkommen des Königs, sondern auch das Budget seiner öffentlichen Funktionen sowie die Kosten für Verwaltung und Personal.
Die Zivilliste wurde mit dem Zivillistegesetz am 1. Juli 1834 auf 2 350 580 Gulden fixiert und bei der Währungsumstellung 1876 auf 4 231 044 Mark erhöht. Von diesem Betrag flossen allerdings gut 3 Millionen Mark in die Budgets des Hofes, so dass dem König zur eigenen Verwendung etwa 1 Million Mark jährlich als „Kabinettskasse" zur Bestreitung der eigenen Ausgaben blieben.
Alle Ausgaben Ludwigs II., vor allem die immensen Baukosten der Königsschlösser, der Separatvorstellungen, der Ausstattungen etc. wurden aus der Kabinettskasse bezahlt. Das heißt, die Königsschlösser wurden nicht auf Staatskosten errichtet, sondern aus den privaten Einkünften des Königs. Deshalb waren sie auch sein Privateigentum.
Obwohl diese Einkünfte mehr als das 40fache des Jahresgehalts eines Ministers ausmachten, deckten sie die Ausgaben des Königs nicht. Vor allem die Bauprojekte Ludwig II. erforderten Ausgaben, die die Möglichkeiten der Zivilliste überforderten. Schon die Entwürfe für „Meicost Ettal" im Graswangtal seit 1868 hatten erhebliche Gelder gekostet. Dieser Nachbau von Versailles sollte ab 1873 auf der Herreninsel im Chiemsee errichtet werden. Da das Fundament für ein riesiges Schloss im Uferschlick einer Insel kaum zu legen war, verschlangen alleine die Substruktionen für dieses Projekt Millionen. Und im Graswangtal wurde dennoch gebaut – wenngleich mit Linderhof in bescheidenerem Umfang. Parallel dazu wurde mit Neuschwanstein ein weiteres Projekt von enormer Kostenintensität gebaut.
Die Summe dieser Projekte belastete die Kabinettskasse als Privatschatulle des Monarchen so sehr, dass im Laufe des Jahres 1884 eine Regulierung der Schulden notwendig wurde. Mit großer Mühe gelang es, ein „Kabinetts-Kassa-Darlehen" bei einem Konsortium bayerischer Banken unterzubringen, das alle bis Sommer 1884 aufgelaufenen Schulden von 7 153 827,42 Mark in einem regulären Kredit zusammenfasste.
Doch Ludwig II. nutzte diese Schuldenregulierung nicht zur Konsolidierung seiner Finanzen. Stattdessen plante er weitere Bauten, wie einen byzantinischen Palast, der etwa 4 300 000 Mark verschlingen sollte, einen chinesischen Sommerpalast im Ammerwald, Schloss Falkenstein, etc. Im Ergebnis explodierten die Ausgaben derart, dass Ludwig II. im Juni 1886 zu den bereits vorhandenen über 7 Millionen Mark Passiva weitere 6 590 998,45 Mark Schulden angehäuft hatte. Hinzu kamen Hypotheken von 763 000 Mark, so dass sich die Schulden Ludwig II. bei seinem Tod auf 14 303 825,87 Mark beliefen. Diese Summe entsprach etwa 1192 Jahresgehältern eines Staatsrats und war damit auch für die Privatschatulle eines Königs unerschwinglich geworden. Der rasante Anstieg der Ausgaben kam als Problem hinzu, denn der König hatte in nur zwei Jahren annähernd so viele Schulden gemacht wie in den 20 Jahren zuvor.
Da der König die Forderungen nicht mehr begleichen konnte, hatten im Juni 1886 von den etwa 200 einzelnen Forderungsberechtigten über 100 bereits Anträge auf Zwangsvollstreckung gegen die Zivilliste gestellt. Die Kabinettskasse konnte diese Forderungen nicht bedienen, so dass unmittelbar ein Konkurs der Zivilliste drohte und damit ein Privatkonkurs des Königs selbst. Ein solcher Konkurs hätte eine Staatskrise bedeutet – mit unabsehbaren Folgen für das Ansehen des Königs und der Monarchie.
Trotz der drohenden finanziellen Katastrophe und ihrer Folgen war ein verantwortliches Handeln des Königs für einen einvernehmlichen Weg aus der Krise nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen nicht mehr zu erwarten und ein Appell zum Maßhalten aussichtslos. Obwohl es alleine am König lag, seinen Privatkonkurs zu vermeiden, war er nicht bereit, auf die drohende Zwangsvollstreckung zu reagieren und damit die Staatskrise unabsehbaren Ausmaßes zu verhindern.
Tatsächlich sind keine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Staatregierung sichtbar, wie sie ohne aktives Mitwirken eines handlungsfähigen Königs dessen Privatkonkurs hätten vermeiden können. Denn das Rechtssystem im Königreich Bayern sah stets den König als letztinstanzlich entscheidende Person vor, über dessen Kopf hinweg nicht entschieden werden konnte.
Auch der von der Regierung Lutz eingeschlagene Weg der Entmündigung war rechtlich bedenklich. Allerdings waren die Handlungsoptionen der Regierung Lutz auf der rechtlichen Ebene beschränkt. 1886 galt im Königreich Bayern rechts des Rheins das Bayerische Landrecht von 1756. Cap. VII behandelt die Vormundschaft und nach dem dortigen § 37 ALR konnte ein Erwachsener wegen „Blödsinnigkeit oder Verschwendung halber mit curatoribus versehen" werden. Die Verschwendungssucht war von Alters her ein Hauptanlass für die Entmündigung. Die Ausgabenpolitik Ludwigs II. ließ, die Annahme einer notorischen Verschwendungssucht des Königs zu.
Höchst problematisch aber war die Frage, wer die Entmündigung vornehmen sollte. Entgegen den Annahmen der neueren Literatur war jedenfalls nicht das Amtsgericht München als Vormundschaftsgericht zuständig, denn das Königliche Familienstatut vom 5. August 1819 enthob die Mitglieder des regierenden Hauses von der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit dem dortigen § 2: „Alle Glieder des Königlichen Hauses sind der Hoheit und der Gerichtsbarkeit des Monarchen untergeben, und er übt als Haupt des Hauses eine besondere Aufsicht, mit bestimmten Rechten über sie aus".
Die Richtgewalt über alle Mitglieder des Hauses Bayern lag also beim König. Für den Fall jedoch, dass der König selbst regierungsunfähig wurde, war keine Zuständigkeit begründet. Eine Ersatzzuständigkeit des Amtsgerichts München war ausgeschlossen, denn der König konnte als oberster Gerichtsherr nicht von einer subalternen Instanz gerichtet werden. (Cajetan von Aretin)
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