Wirtschaft

Die Geschäfte wie hier in München sind geschlossen. (Foto: dpa/Matthias Balk)

23.03.2020

Angst vor dem Absturz

Für von der Corona-Krise betroffene Unternehmen gibt es staatliche Hilfen – viele Betroffene sind dennoch in Sorge

Die Nürnberger Innenstadt ist ein Shoppingmagnet für ganz Nordbayern. Doch wenn die Corona-Krise vorbei ist, wird es so manches Traditionsgeschäft nicht mehr geben. So auch den Mode- und Schmuckladen von Franziska B.*: „Wir haben hier für 50.000 Euro Frühjahrsmode hängen, die verkauft werden muss.“ Ihr Geschäft leide schon lange unter dem Boom des Onlinehandels. Langjährige Stammkunden sorgen bis jetzt dafür, dass sie ihren Laden halten und davon leben konnte. Aber die Zwangsschließung durch die Corona-Krise wird dem Laden wohl den Garaus machen.

Daran dürfte auch die unbürokratische Soforthilfe des Freistaats nichts ändern. Denn die 5000 Euro, die sie laut der Kategorisierung des Wirtschaftsministeriums bekommen würde und nicht zurückzahlen müsste, helfen der Ladenbesitzerin bei monatlichen Fixkosten von 3000 Euro (Miete, Versicherung, Strom, Wasser, Beiträge zur Berufsgenossenschaft) nur begrenzt.

Jetzt denk B. darüber nach, zumindest ihre Stammkunden per Mail oder Telefon zu kontaktieren und ihnen anzubieten, Ware vor die Haustür zu liefern. „Das ist aber ein enormer Aufwand für mich.“ Sollte jedoch eine Ausgangssperre kommen wie in Frankreich, Italien und Österreich, ist auch diese Möglichkeit perdu.

Noch nie erlebt

Wie B.* geht es im Moment Tausenden Freiberuflern und Kleinunternehmen im Freistaat. Weil viele Läden, kulturelle und sportliche Einrichtungen – vom Fitnesscenter über Kinos und Theater bis zum Möbelladen – wegen Corona schließen mussten, stehen viele vor dem Aus – so auch Leonhard Seidl. In seinen 13 Jahren als Schriftsteller hat er so etwas noch nie erlebt. Innerhalb kürzester Zeit droht seine gesamte berufliche Existenz vernichtet zu werden. „Alle Lesungen wurden für die kommenden zwei Monate abgesagt“, sagt der 43-jährige Fürther Buchautor. Daher fehlten ihm 80 bis 90 Prozent seiner Einnahmen für diesen Zeitraum. Die Honorare aus den Buchverkäufen reichten ihm ebenso wie vielen anderen Schreibern nicht ansatzweise zum Leben, sagt Seidl, der auch Regionalvorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller in Mittelfranken ist.

Nun lebt er von seinen kargen Rücklagen. Denn Freiberufler wie er sind in der Regel nicht arbeitslosenversichert. Wenn die Misere anhalte, werde er in einigen Wochen seine Krankenkasse und Miete nicht mehr bezahlen können.

Der Freistaat will Menschen wie Franziska B. und Leonhard Seidl nicht im Stich lassen. Die Staatsregierung verkündete in dieser Woche ein zehn Milliarden Euro schweres Unterstützungsprogramm für die aufgrund der Corona-Folgen ins Schlingern geratene bayerische Wirtschaft – im Eiltempo und im Einvernehmen mit allen Landtagsfraktionen wurde deshalb der Nachtragshaushalt für das laufende Jahr geändert.

Sofortige Hilfszusagen

Ein wesentlicher Bestandteil des Pakts sind sofortige Hilfszahlungen für Freiberufler, Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Bis fünf Mitarbeiter kann es 5000 Euro geben, bis zehn Mitarbeiter 7500 Euro, bis 50 Mitarbeiter 15.000 Euro, bis 250 Mitarbeiter 30.000 Euro. Braucht ein Unternehmer dringend Geld, kann er den Antrag bei seiner jeweiligen Bezirksregierung stellen.

Für Stefanie P.* wäre die Maßnahme der Staatsregierung erst einmal ein rettender Anker. Die 40-jährige Alleinerziehende, die als selbstständige Tanzlehrerin und Tanztherapeutin im Münchner Umland arbeitet, hat große Angst, bald auf Hartz IV angewiesen zu sein. „Mein wichtigster Auftraggeber hat alle Aufträge gestrichen“, sagt sie. „Der Großteil meiner Einnahmen ist die kommenden Wochen erst einmal weg“, klagt sie.

Demgegenüber können Fahrzeugbauer und Banken ebenso wie bei der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt wohl mit massiver Hilfe rechnen. Zu Recht, wie Experten finden – zu groß wäre bei Großpleiten die Gefahr, dass Deutschland nicht in eine Rezession, sondern dauerhaft in eine wirtschaftliche Depression stürzen könnte. Bereits heute droht Massenarbeitslosigkeit: Die Exporte und die inländischen Umsätze gehen angesichts geschlossener Geschäfte und des weltweiten Corona-Horrors in vielen Branchen massiv zurück. Immer mehr bayerische Firmen verhängen deshalb Kurzarbeit. Zahlreiche Mittelständler sind betroffen – vom Reiseunternehmen bis zum Autoriesen.

Bänder stehen still

Auch Audi hat in Ingolstadt Kurzarbeit angekündigt. In beiden deutschen Werken stehen die Bänder ab nächster Woche still. „Die durch die Corona-Krise weltweit eingeschränkte Nachfragesituation und bevorstehende Lieferengpässe zwingen uns daher, den Antrag auf Kurzarbeit zu stellen“, so Produktions- und Logistikvorstand Peter Kössler. Auch 30 000 BMW-Mitarbeiter müssen in den nächsten vier Wochen eine Zwangspause einlegen. Kurzarbeit sei möglich, aber zunächst einmal gingen die Arbeitszeitkonten bis zu 300 Stunden ins Minus, so Personalchefin Ilka Horstmeier. BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch betont, ein BMW-Tarifmitarbeiter erhalte bei Kurzarbeit mindestens 93 Prozent seines Nettolohns.

Die Bundesregierung stellt Firmen, die vor Corona in keiner Schieflage waren, massive Kredite in Aussicht. Die Hilfen seien unbegrenzt, versucht Berlin die taumelnden Märkte und Unternehmen zu beruhigen. Auch der Freistaat packt die finanzpolitische Bazooka aus. So stellt die Staatsregierung mittelständischen Unternehmen 500 Millionen Euro für Bürgschaften zur Verfügung.

Braucht ein Mittelständler einen Kredit, soll die jeweilige Hausbank dank der Bürgschaften schnelle Zusagen geben können. Das bayerische Programm hat noch einen dritten Baustein. Wenn Mittelständlern mit einer „Schlüsselfunktion für die Wirtschaft“ Pleiten drohen, sollen staatliche Beteiligungen an „systemrelevanten Betrieben“ möglich sein. Details sind jedoch zurzeit noch offen.

Als der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert derlei Schritte 2019 ins Spiel brachte, hagelte es noch einen Shitstorm. In Zeiten der Corona-Bedrohung sind dagegen viele Mitarbeiter und selbst Unternehmer froh über eine solche Aussicht. Schriftsteller Seidl ist dagegen skeptisch, dass er von den Hilfsmaßnahmen von profitiert: „Ich bin kein Unternehmen.“
(T. Lill/R. Schweinfurth)
(*Namen geändert)

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