Die EU-Kommission hat Mitte Januar einen neuen Anlauf genommen, die reglementierten Berufe zu dereglementieren. Das Wort „liberalisieren“ verwendet sie nicht. Grund für die Maßnahmen ist, dass der grenzüberschreitende Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht vorankommt, trotz mehrerer EU-Richtlinien. Immerhin werden im Durchschnitt rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU durch Dienstleistungen erwirtschaftet und das ist auch in Bayern so (65 Prozent laut bayerischer Statistikbehörde). Zumal hat jeder EU-Bürger das Recht, sich dort beruflich niederzulassen, wo er will. Fraglich ist, ob die Pläne der EU-Kommission der bayerischen Wirtschaft überhaupt etwas bringen. Denn die sucht händeringend nach Facharbeitskräften und ein Bundes- und ein bayerisches Landesgesetz (BayBQFG) erleichtern seit 2012 bzw. 2013 die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen und damit den Zugang von Ausländern (nicht nur EU-Ausländern!) auf den bayerischen Arbeitsmarkt.
Teufel steckt im Detail
Aber der Teufel liegt im Detail. Das bayerische Wirtschaftsministerium, die vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e. V. und die IHK München sind gerade erst dabei, sich ein Bild von den neuen umfangreichen Plänen der EU-Kommission zu machen. Erste Kritik sickerte schon durch. Das Thema Binnenmarkt für Dienstleistungen an sich ist eigentlich nicht neu, aber weiterhin kompliziert. Mehrmals wurde es in der bayerischen Landesvertretung in Brüssel diskutiert.
22 Prozent aller Berufstätigen arbeiten nach Angaben der EU-Kommission in reglementierten Berufen. In Deutschland gibt es 420 reglementierte Berufe, in der gesamten EU (28) 5500. Im EU-Vergleich steht Deutschland nicht gut da. Laut einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Erhebung im Jahre 2015 arbeiten in Deutschland die meisten Menschen in reglementierten Berufen, und zwar 33 Prozent in Bezug auf alle Erwerbspersonen in Deutschland. Österreich liegt bei 22 Prozent und am untersten Ende Dänemark mit 14 Prozent.
Meisterbrief bleibt
Im Visier hat die EU-Kommission baunahe Dienstleistungen, das heißt Architekten, Bauingenieure und Baudienstleister. Der Markt für Baudienstleistungen sei unter allen Dienstleistungsbranchen am wenigsten integriert, so die EU-Kommission. Das handwerkliche Gewerbe, und darunter das bauhandwerkliche, das in Deutschland durch Handwerksordnungen geregelt ist, sei durch die neuen Vorschläge nicht betroffen, versicherte eine Sprecherin der EU-Kommission der Staatszeitung. Die Kommission habe immer wieder betont, den Meisterbrief nicht infrage zu stellen. Ganz im Gegenteil schätze sie das deutsche Duale System. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fühlt sich trotzdem bedroht.
ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke dazu gegenüber der Staatszeitung: „Die Ziele der Kommission richten sich auf die Wirtschaft insgesamt und damit letztlich auch auf das Handwerk. Mit ihren Vorschlägen im Rahmen des geplanten Dienstleistungspaketes greift die Kommission tief in die souveräne Entscheidungsgewalt der Mitgliedstaaten ein. Der Deutsche Bundestag hat sich erst 2016 klar für den Meisterbrief ausgesprochen. Er braucht keine Hilfestellung aus Brüssel.“
Der finnische Vizepräsident der EU-Kommission Jyrki Katainen, zuständig in der EU-Behörde für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit, lobte die Pläne so: „Heute schlagen wir vereinfachte Verfahren für grenzüberschreitende Dienstleister vor, ebenso wie eine neue und moderne Art, wie Mitgliedstaaten bei der Regulierung ihrer Dienstleistungssektoren zusammenarbeiten können.“
„Unsozial und überflüssig“
Das Maßnahmenpaket umfasst vier Initiativen: eine neue Elektronische Europäische Dienstleistungskarte, eine EU-Richtlinie, die die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei neuen nationalen Vorschriften für reglementierte Berufe vorschreibt, Reformvorschläge für bestehende nationale Reglementierungen von bestimmten reglementierten Berufen (Architekten, Bauingenieure, Steuerberater, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Immobilienmakler und Fremdenführer) und strengere Meldeverfahren (Notifizierung) bei nationalen Änderungen.
Die elektronische Dienstleistungskarte hält die EU-SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, die früher einmal als selbstständige Übersetzerin gearbeitet hatte, für „unsozial und überflüssig“. Damit würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit nehmen, grenzüberschreitend tätige Unternehmen, gerade solche aus dem Bauwesen, zu kontrollieren. Die EU-Kommission sieht das anders: Die Karte sei freiwillig. Arbeitgeberpflichten und Arbeitnehmerrechte blieben unberührt.
Auch die Bayerische Architektenkammer (Byak) ist dagegen. „Wir sehen in dieser Karte keinerlei Vorteile. Im Gegenteil, sie würde mit dem grundlegenden Verständnis zum Umgang mit der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen brechen“, so Byak-Rechtsanwalt Fabian Blomeyer auf Anfrage der Staatszeitung. Durch die Dienstleistungskarte würde durch die Hintertür das „Herkunftslandprinzip bei der Anerkennung von Qualifikationen eingeführt“, heißt es in einer zweiseitigen Vorabstellungnahme der Bundesarchitektenkammer. Das „Herkunftslandprinzip“ wurde 2006 auf Druck des EU-Parlaments explizit aus dem Vorschlag der EU-Kommission für eine EU-Dienstleistungsrichtlinie („Bolkestein-Richtlinie“) gestrichen. Auch der Vorrang der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie aus dem Jahre 2005, umgesetzt in deutsches Recht 2012, wäre nicht mehr gegeben, so die Kritik der Architekten. Stören tut die Architektenkammer auch, dass die Dienstleistungskarte von einer zentralen Behörde, also in Deutschland Bundesbehörde, ausgestellt werden soll. Die Berufszulassung von Architekten ist aber Ländersache.
Auch die Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern äußerte sich über die elektronische Dienstleistungskarte nicht erfreut, obwohl sie noch dabei ist, die Details zu bewerten. „Uns stört, dass die EU-Kommission die Zweitniederlassung und die vorübergehende Dienstleistungserstellung im EU-Ausland mit einer Maßnahme regeln will“, sagte Markus Neuner von der IHK München und Oberbayern und dort zuständig für Steuer- und Rechtsfragen auf einer Veranstaltung in der bayerischen Landesvertretung in Brüssel der Staatszeitung. „Zwei Dinge vermischen, daraus kann nichts Gutes werden.“ Neuner stören auch die kurzen Reaktionsfristen im Gastland. Denn würden die nicht eingehalten, würde die elektronische Dienstleistungskarte automatisch ausgestellt. Bayerische Dienstleister können sich übrigens ab Juni 2017 auf der Internetseite der IHK München und Oberbayern auf Deutsch über die Bedingungen im EU-Ausland informieren („Dienstleistungskompass“). „Wir informieren zunächst über die 15 wichtigsten Handelspartner Bayerns“, sagte Alexander Lau von der Kammer und dort zuständig für europäische Angelegenheiten.
Großes Reformpotenzial
Bei sieben Berufsgruppen sieht die EU-Kommission ein großes Reformpotenzial: Architekten, Bauingenieure, Steuerberater, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Immobilienmakler und Fremdenführer. Bei den Architekten stört sie sich an Beschränkungen bezüglich der Rechtsform und der Beteiligungsverhältnisse. So muss in Deutschland das Eigenkapital von Architektenfirmen zur Hälfte von Architekten gehalten werden. Da sieht Rechtsanwalt Fabian Blomeyer von der Bayerischen Architektenkammer aber kein Problem. Das betreffe nur Firmen, die das Wort „Architekten“ in sich tragen. Nur aus Verbraucherschutzgründen sei in Deutschland ein Beteiligungsverhältnis von 50 Prozent vorgeschrieben. Der Verbraucher solle sicher sein, „dass, wo Architekten drauf steht, auch Architekten drin sind“. Es handelt sich demnach nur um ein Scheinproblem, das durch die Namensgebung vermieden werden könnte. Den gleichen Vorwurf wie bei Architekten macht die EU-Kommission bei Bauingenieuren und Rechtsanwälten.
Für die Reglementierung oder Liberalisierung freier Berufe ist die EU nicht zuständig; dies ist nach wie vor ein Vorrecht der Mitgliedstaaten. Allerdings soll ein Mitgliedstaat nachweisen müssen, dass neue nationale Vorschriften für Freiberufler notwendig und angemessen sind. Dem Zentralverband des deutschen Handwerks gefällt das nicht. Der Meistertitel für Fliesenleger ist nach der Reform der Handwerksrolle nicht mehr zwingend vorgeschrieben, um selbstständig einen Handwerksbetrieb im Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk zu führen. Was, wenn er wieder eingeführt werden soll? Auch die Rechtsanwälte sehen keinen Bedarf. In Deutschland fände regelmäßig eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit bestehender und zukünftiger Berufsreglementierungen sowohl für Rechtsanwälte als auch für andere freie Berufe aus verfassungsrechtlichen Gründen statt, und diese Prüfung sei fast deckungsgleich mit den vom EuGH entwickelten Vorgaben, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer.
Es scheint, als sei die EU-Kommission mit ihren gutgemeinten Vorschlägen übers Ziel hinausgeschossen. Positive Kritik war von den Verbänden jedenfalls nicht zu vernehmen. Nützlich für Bayern? Bayerns Wirtschaft demonstriert jedenfalls, dass es auch ohne EU-Vorgaben geht. Allein 2015 wurden dort 3239 von 6688 im Ausland erworbene Berufsabschlüsse anerkannt.
(Rainer Lütkehus)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!