Wirtschaft

Bayern geht es nicht mehr so gut. (Foto: dpa/Armin Weigel)

11.03.2024

Bayerns Vorsprung schmilzt

Chronologie eines wirtschaftspolitischen Irrwegs

Das bayerische Wirtschaftswachstum lag bis 1995 noch unter dem Bundesdurchschnitt. Von 1996 bis 2016 übertraf es dann mit 32,8 Prozent den Bundeswert von 21,0 Prozent deutlich. Doch in den letzten fünf Jahren hat sich das drastisch verändert. Von 2018 bis 2022 lag der Zuwachs im Freistaat von 3,4 Prozent nur noch um 0,6 Prozent über dem des Bundesdurchschnitts von 2,8, wie der Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder vermeldet. Die beiden Stärken der bayerischen Wirtschaftskraft, die Exportquote und der Industrieanteil, schwinden laut einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts. Kräftige Exportüberschüsse gehören seit 2019 der Vergangenheit an. Desgleichen fällt die Industrieproduktion in Bayern zurück. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft stellt in ihrem aktuellen Monitoring zur Energiewende vom 7. März 2024 fest, dass der Handlungsbedarf unverändert hoch ist. Neigt sich der lange Erfolgskurs der bayerischen Wirtschaft dem Ende zu?

Eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg des Freistaates vom Agrarland zum führenden Industrie- und Hochtechnologie-Standort in Deutschland war eine konsequente Energiepolitik. Sie wurde maßgebend von herausragenden Wirtschaftsministern geprägt. Pionier war der von 1957 bis 1970 amtierende Otto Schedl, der die Notwendigkeit erkannte, dass sich Bayern von der teuren Ruhrkohle unabhängig macht. Ein erster Schritt waren die  Öl-Pipelines von Triest und Genua zum neuen Raffineriezentrum Ingolstadt. Auf Schedl folgte von 1970 bis 1988 Anton Jaumann, in dessen Amtszeit alle bayerischen Kernkraftwerke errichtet wurden. Sie sicherten dem Standort eine besonders kostengünstige Energieversorgung, die bis zu 60 Prozent des Bedarfs abdeckte. Die Ölkrisen von 1973 und 1985 konnten Bayerns Wirtschaft nichts anhaben. Ministerpräsident Franz Josef Strauß hielt auch nach Tschernobyl an der Kernenergie fest bis hin zum Kampf für die Wiederaufarbeitung in Wackersdorf. Als die rotgrüne Koalition unter Gerhard Schröder 2002 den Atomausstieg bis 2020 beschloss, war Otto Wiesheu, Wirtschaftsminister von 1993 bis 2005, ihr entschiedenster Gegner. Und Ministerpräsident Edmund Stoiber war es, der von der Merkel-Regierung den Ausstieg aus dem Ausstieg forderte, der im Herbst 2010 tatsächlich beschlossen wurde. Doch schon sechs Monate später war alles anders. Es begann eine energiepolitische Geisterfahrt in Bayern.

Harakiri nach Fukushima

Am 11. März 2011 führten ein Erdbeben der Stärke 9 und ein Tsunami zur Zerstörung des Kernkraftwerkes im japanischen Fukushima. Nur wenige Tage später kam es im Freistaat – bekanntlich weder ein Tsunami- noch ein Erdbebenland - ohne Not zum Harakiri an der Wohlstandsquelle des Landes. Bayern wollte angesichts der am 27. März bevorstehenden Landtagswahl im Nachbarland „Speerspitze im Wettbewerb mit Baden-Württemberg“ beim Atomausstieg sein, um dort eine grüne Mehrheit zu verhindern, was bekanntlich nicht gelang. Selbst die Bundeskanzlerin war überrascht, dass ausgerechnet die Vertreter des Landes, dessen Wirtschaft am meisten von der Kernenergie profitierte, ein Ende der Kernkraft schon für 2020 forderten. Einzig der FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil leistete in Bayern Widerstand und sprach sich für das Jahr 2025 als Enddatum aus: Ein Atomausstieg bis 2020 sei völlig unrealistisch und setze die Zukunft des Industrielandes Bayern aufs Spiel. Umweltminister Markus Söder drohte  sogar mit seinem Rücktritt, wenn Zeil sich weiter einem früheren Ausstieg verweigere. Schließlich hat der Deutsche Bundestag am 30. Juni 2011 das Enddatum 31. Dezember 2022 beschlossen.

„Eine Diskussion über die Ursachen der Havarie, über die Vergleichbarkeit mit der Situation in Deutschland und über die Chancen und Risiken alternativer Energie-Strategien fand nicht statt.“ So hat es Otto Wiesheu in einem Positionspapier des Wirtschaftsbeirats der Union 2013 festgestellt. Als Begründung für die historische Fehlentscheidung finden sich in Seehofers Regierungserklärung vom 9. Juni 2011 in der Tat nur allgemeine Erwägungen der Ethikkommission der Bundesregierung zu den Ursachen der Katastrophe von Fukushima: „Durch die Ereignisse in Fukushima ist sichtbar geworden, dass solche Beurteilungen auf bestimmten Annahmen zum Beispiel über die Erdbebensicherheit oder die maximale Höhe eines Tsunamis beruhen, und dass die Realität diese Annahmen widerlegen kann.“ Mehr Gemeinplatz geht nicht.

Bayerns Ausstieg aus der Kernkraft

Ministerpräsident Seehofer erklärte, der Ausstieg sei „unumkehrbar“. Als „endgültigen“ Abschaltplan für die bayerischen Kernkraftwerke nannte er: 2015 Grafenrheinfeld, 2017 Gundremmingen B, 2021 Gundremmingen C und 2022 Isar 2: „In elf Jahren ist in Bayern kein Kernkraftwerk mehr am Netz ­und dies verlässlich und ohne Hintertürchen.“ Ein schneller Ausstieg bis zum Jahr 2022 sei „machbar, wirtschaftspolitisch vertretbar und ethisch geboten“, sagte der Regierungschef. Die Energieversorgung in Bayern bleibe „sicher, bezahlbar und klimafreundlich“. Bayern solle zum Vorreiter für erneuerbare Energien werden mit dem Ausbau von Netzen, von Fotovoltaik und Windenergie, von Biomasse und Wasserkraft und dem Bau neuer Pumpspeicherkraftwerke. Und er kündigte an: „Der Umstieg wird von uns allen große Anstrengungen verlangen“. Den verstärkten Ausbau der Windenergie an Land, bei dem es keine Abstriche geben dürfe, und den offensiven Aufbau der Stromnetze, dessen Tempo das der Energiewende bestimmen werde, hob er besonders hervor.  Beides hat er nur wenige Jahre später ausgebremst.

Faktisches Verbot der Windkraft

Die Wende in der Energiewende begann mit der Regierungserklärung vom 12. November 2013. Horst Seehofer rief die „Koalition mit dem Bürger“ aus. Zur Energiewende stellte er noch fest: „Nachdem Bayern den Aufbruch in ein neues Energiezeitalter in Deutschland aktiv angestoßen hat, will die Staatsregierung in der kommenden Legislaturperiode deren Umsetzung weiter forcieren. Unser Ziel ist es, Bayern zur führenden Region in der Energietechnologie und in der dezentralen Energieversorgung zu machen.“   Doch schon bald beklagte Seehofer eine „ausufernde 'Verspargelung' der Landschaft“, die zunehmend „ihren Reiz und ihren Zauber“ zerstöre. Als Reaktion auf lokale Proteste gegen Windräder trat am 21. November 2014 eine  prohibitive 10-H-Abstandsregel in Kraft. Als Wirtschaftsministerin Ilse Aigner es wagte, einen modernen Windatlas vorzulegen, kam es in der Kabinettssitzung zum Eklat.

Die Abstandsregel wirkte wie ein faktisches Windkraftverbot.  Bis dahin waren in Bayern immerhin 797 Anlagen mit 1,523 MW entstanden. Mit einem Zubau von 412 Anlagen mit 154 Megawatt im Jahr 2014 kam der Freistaat auf den fünften Platz bundesweit. Doch danach sind bis Ende 2022 nur 350 neue Anlagen dazugekommen. Bayern ist heute mit 1.154 Anlagen Schlusslicht in Deutschland. Daran haben auch die von Markus Söder im November 2022 eingeführten Ausnahmeregeln nichts geändert. 2023 war bundesweit ein Spitzenjahr für den Ausbau der Windenergie an Land, nur nicht in Bayern. Gerade einmal sieben neue Windräder wurden hier in Betrieb genommen. Im Vorjahr waren es noch 14 - in Nordrhein-Westfalen 297, in Schleswig-Holstein 221 und in Niedersachsen 178..

Verzögerung von Stromtrassen

Einen zweiten Schlag versetzte Horst Seehofer der Energiewende mit seiner Kampagne gegen den Ausbau der Stromleitungen von Nord nach Süd, die er als „Monstertrassen“ bezeichnete. Schon im April 2014 hatte er sich auf die Seite der Trassengegner gestellt: „Ich persönlich und die bayerische Staatsregierung halten die Stromtrasse nicht für notwendig.“ Das betraf die Leitungen Südlink und Südostlink, die Bundestag und Bundesrat mit Zustimmung Bayerns gebilligt hatten. Jetzt wollte er sie nur noch akzeptieren, wenn sie unter der Erde geführt werden.

Das Bundeskabinett hat sich im Oktober 2015 der Forderung aus Bayern gebeugt und Erdkabel statt Freileitungen ermöglicht – mit fatalen Auswirkungen: Die Kosten für die Leitungen verdoppeln sich. Ihre  Fertigstellung verschiebt sich von 2022 um fünf Jahre auf 2027 und 2028. Da überschüssiger Windstrom bis dahin nicht nach Süden geleitet werden kann, muss er „abgeregelt“ werden. Im Süden müssen dann fossile Energieträger den notwendigen Strom erzeugen.  Im Jahr 2022 mussten laut Statistischem Bundesamt rund 7,2 Milliarden Kilowattstunden Windstrom abgeschaltet werden, um die Netzstabilität zu sichern. Zum Vergleich: Isar 2 brachte 11 Milliarden  Kilowattstunden pro Jahr. Die Kosten des so genannten „Engpassmanagements“ beliefen sich 2022 auf 4,2 Milliarden Euro für den Steuerzahler. Wie heißt es so treffend in einer Pressemitteilung des bayerischen Wirtschaftsministeriums vom 9. November 2022: „Es ist verrückt, dass in vielen Regionen Deutschlands die Windkraft abgeschaltet werden muss, weil die Netze nichts mehr aufnehmen können.“

Abhängigkeit von Putins Gas

Stattdessen setzte der Freistaat auf billiges russisches Gas. Nur wenige Monate nach dem Beschluss über den Atomausstieg wurde die gegen den Willen Polens und der Balten errichtete Gaspipeline Nordstream 1 von Angela Merkel und Wladimir Putin feierlich eingeweiht. Im Februar 2016 kam es zu einem denkwürdigen Besuch von Horst Seehofer im Kreml, als der russische Kriegsherr gerade Aleppo in Schutt und Asche bombardieren ließ. Der Ministerpräsident hat sich freilich nicht etwa über die dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme beschwert, sondern erklärt, es sei „nobel“ von Putin, dass er sich nicht in die deutsche Flüchtlingspolitik einmische. Trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, des Krieges im Donbass und der Kriegsverbrechen in Syrien stellte Seehofer in Moskau den Sanktionskurs der Kanzlerin in Frage. Er plädierte für Lockerungen der seit 2014 gegen Russland bestehenden Auflagen. Zentrales Thema war für ihn eine „engere Energiepartnerschaft“, die in den folgenden Jahren in Bayern gegen jede wirtschaftliche und politische Vernunft noch bis auf  90 Prozent ausgeweitet wurde – gegen „nur“ 55 Prozent im Bund.

Staatsregierung und CSU setzten entgegen allen Warnungen der USA, Polens und der baltischen Staaten – und auch aus der CDU - wirtschaftliche Vorteile über die deutschen Sicherheitsinteressen. Wie die SPD berief man sich auf die Formel vom Wandel durch Handel, die absehbar krachend gescheitert ist.  Schon 2007, während des zehnjährigen Krieges Putins in Tschetschenien, hatte die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung festgestellt, dass Energiepolitik auch Sicherheitspolitik ist. Sie warnte vor einer energiepolitischen Abhängigkeit und Verwundbarkeit Deutschlands und forderte, den von Kanzler Schröder eingeschlagenen Sonderweg der Energiepartnerschaft mit Russland zu verlassen.  Doch erst mit  Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verabschiedete sich der Freistaat von seinem fatalen Irrweg.

Renaissance der Kernkraft in Bayern ?

Dank des russischen Gases hat die bayerische Politik ganze zehn Jahre bis zum Regierungswechsel im Herbst 2021 untätig verstreichen lassen, ohne eine Initiative für eine Verlängerung der Laufzeiten zu ergreifen.  Erst nach dem Abschalten des letzten Atommeilers Mitte April 2023 forderte Markus Söder die Rückkehr zur Kernkraft mit einer eigenen Länderzuständigkeit Bayerns: „Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen“. In der Regierungserklärung vom 5. Dezember 2023 stellte er fest, dass alle Anstrengungen der Energiewende nicht reichen würden, um gleichzeitig niedrigere Energiepreise, eine stabilere Energieversorgung und Klimaneutralität für Wirtschaft und Bürger zu erhalten. Konkret forderte er jetzt den Einsatz von neueren, modernen kleinen Reaktoren, den „Small Modular Reactors“.

Diese SMR-Anlagen mit einer Leistung bis zu 300 Megawatt sind weltweit mit unterschiedlicher Technik in der Planung, aber bisher nur in China und Russland in Betrieb. Anders als die herkömmlichen großen Meiler werden sie als Module vorgefertigt und an den jeweiligen Betriebsort transportiert. Das verkürzt zwar die Bauzeit, erhöht aber die Kosten und vervielfältigt die Risiken. Wie Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, in einem Beitrag dieser Zeitung festgestellt hat,  würde man im Freistaat 30 SMR-Anlagen mit je 30 Megawatt Leistung benötigen, um den  Jahresstromverbrauch von 80 Terawattstunden in Bayern zu decken. Sollte sich der Stromverbrauch bis 2040 verdoppeln, dann wären sogar 60 Mini-Atomkraftwerke nötig. Angesichts der erforderlichen gesetzlichen Regelungen und des Fehlens des notwendigen Fachpersonals für Betrieb und Wartung der Anlagen könnten die ersten Mini-AKWs theoretisch bis 2040 ans Netz gehen.

Dennoch bleibt eine Rückkehr zur Kernenergie in Bayern Illusion. Wenn schon Windräder im Wald abgelehnt werden, wie soll es dann eine Akzeptanz für Hochrisikoanlagen in jedem zweiten Landkreis in Bayern geben? Wobei neben dem möglichen Austritt von Radioaktivität noch die mit dem Ukraine-Krieg gestiegene Gefahr durch Angriffe von Cyberkriminellen und Terroristen drohen würde. Und Brennstäbe müsste man auch aus Russland beziehen. Die ÖDP, die schon beim Volksbegehren zur Rettung der Bienen erfolgreich war, hat bereits eine neue Volksabstimmung angekündigt, sollte die Staatsregierung ihre Ankündigung tatsächlich umsetzen wollen. Realistisch ist stattdessen ein starker europäischer Stromverbund, der den verbleibenden Bedarf weitgehend abdecken kann. Wie das Ifo-Institut in einer Studie für 2040 feststellt, hätte dies auch den größten Effekt für eine Strompreissenkung. Dabei sind Stromimporte nicht neu: Bereits 2018 und 2019, als die Atommeiler in Gundremmingen und Landshut noch am Netz waren, hat Bayern nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Strom für etwa 12,5 bis fast 15 Prozent des Gesamtverbrauchs importiert und damit die Versorgung gesichert.

Früchte des Populismus

Das setzt freilich voraus, dass die erneuerbaren Energieträger in Bayern samt den erforderlichen Stromleitungen endlich konsequent ausgebaut werden, wie es die Wirtschaft fordert. Dabei findet sich der Freistaat beim Ausbau entgegen allen vollmundigen Behauptungen bisher nur im Mittelfeld, berücksichtigt man  Größe, Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft des Landes. 1000 neue Anlagen bis 2030 sollen jetzt dazu beitragen, dass Bayern bei der Windkraft einen Spitzenplatz einnimmt. Zwei Vorzeigeprojekte zur Unterstützung besonders energieintensiver Branchen werden in der jüngsten Regierungserklärung hervorgehoben: die je 40 Anlagen umfassenden Windparks im Frankenwald für die Glasindustrie und im Altöttinger Forst für die Chemieindustrie. Am 28. Januar 2024 haben bei einem Bürgerentscheid in der Gemeinde Mehring 928 Wahlberechtigte gegen die Windräder und 454 dafür gestimmt. Rechtlich bindet das zwar nur die Gemeinde, nicht die Staatsregierung. Doch politisch hat das Bürgervotum eine erhebliche Signalwirkung. Es hinterlässt einen weiteren energiepolitischen Scherbenhaufen. Jetzt rächt sich, dass die Staatsregierung sich immer auf die Seite der Windkraftgegner gestellt hat.

Stoiber wäre das nicht passiert

Sebastian Beck hat in einem Kommentar zur Energiewende in der Süddeutschen Zeitung Ende Januar 2024 festgestellt, dass Edmund Stoiber und seinem Wirtschaftsminister Otto Wiesheu so ein Desaster nicht passiert wäre. Entscheidende Ursache für die historische Fehlentscheidung war der populistisch-opportunistische Irrweg, die Politik an Stimmungen auszurichten, die Interessen Einzelner höher zu gewichten als das Gemeinwohl und jedem lokalen Widerstand sofort nachzugeben. 

Ob man nun Stoiber als Regierungstechnokraten sieht oder als politischen Pragmatiker, entscheidend ist, dass er seine Politik nicht an Demoskopie und Egoismen ausgerichtet hat, sondern an sachlichen Notwendigkeiten: die Wirtschaft als Quelle des Wohlstands zu stärken und eine gute Zukunft für unsere Kinder zu sichern. Sein Beschäftigungspakt mit den Gewerkschaften ist ein Beispiel dafür, die Erweiterung des Nationalparks Bayerischer Wald gegen massive Widerstände ein anderes. In seinen Erinnerungen aus dem Jahr 2011 stellt Stoiber fest, dass es die Energiewende nicht zum Nulltarif gibt. Politik dürfe sich nicht in Meinungsumfragen erschöpfen. Sie solle gestalten, nicht nur verwalten. Das Gegenwartsinteresse müsse gegenüber dem Zukunftsinteresse zurücktreten und das Gemeinschaftsinteresse über dem Eigeninteresse stehen.

Noch konkreter hat sich Otto Wiesheu 2013 geäußert: Als größtes Risiko hat er die Auswirkungen auf den Industriestandort erkannt. Die Argumentation, dass noch niemand seine Firma abgebaut und ins Ausland verlagert habe, gehe daneben. Verlagerungen vollzögen sich in einem schleichenden Prozess. Man müsse sehen, wo die großen Neuinvestitionen stattfinden. Heute zeigt sich: Die   Zukunftsinvestitionen für Elektroautos, Batterien und Halbleiter konzentrieren sich auf den Osten und Norden Deutschlands, wo Windkraft ausreichend grüne Energie bereitstellt. Es bedürfe einer Reihe von politischen Entscheidungen, so Wiesheu zwei Jahre später, um die eingeleiteten Fehlentwicklungen zu korrigieren und eine verlässliche und nachhaltige Strategie zu implementieren.

Auf Otto Wiesheu hat niemand gehört. Stattdessen hat Bayern seit 2018 einen populistischen Wirtschaftsminister, dem die Teilnahme an Demonstrationen wichtiger ist als der Einsatz für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Während Wiesheu gewarnt hat, der Ausbau der Stromtrassen von Nord nach Süd sei unverzichtbar, hat Hubert Aiwanger noch 2020 getönt: „Ich will keine dieser Trassen.“ Ergebnis einer rein dezentralen Energieversorgung wäre die Aufteilung Deutschlands in zwei Zonen: der Norden mit niedrigen, der Süden mit hohen Energiepreisen – wie in der Zeit vor Otto Schedl. Wenn die Staatsregierung nicht bald entschlossen handelt, droht sie, das Erbe der Ministerpräsidenten Goppel, Strauß und Stoiber sowie ihrer Wirtschaftsminister zu verspielen. Bayern wäre dann ein Bundesland wie jedes andere. (Rudolf Hanisch)

(Der Beitrag stammt vom Autor des Buches „CSU in der Krise – eine Volkspartei am Scheideweg“. Er war 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Staatskanzleichef.)

Kommentare (1)

  1. Raimund Kamm am 11.03.2024
    Als für die Energiewende Engagierter stimme ich vielen Aussagen zu. Es ist fatal, dass Bayern die preiswerte und im lichtarmen Winter besonders wichtige Windkraft weiter blockiert. Das Ausbremsen der Nord-Süd-Stromleitungen durch Seehofer und Aiwanger war dumm und kostet uns Milliarden. Doch auch Söder hat dagegen nichts unternommen.
    Eine kleine Korrektur: In der SMR-Modellrechnung müsste es heißen 30 SMR a 300 MW. Dann käme man auf die etwa 80 Terawattstunden pro Jahr. Aber natürlich wäre das teuer und riskant und ohne Atommüllentsorgung erzeugter Strom, der Bayern energiewirtschaftlich ins Hintertreffen brächte.

    Raimund Kamm
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