Wirtschaft

Biogasanlagen könnten bald unwirtschaftlich werden und keinen Strom mehr erzeugen. Dabei haben sie allein 2021 mehr als 20 Prozent des erneuerbaren Stroms und mehr als 85 Prozent der erneuerbaren Wärmebereitstellung in Deutschland produziert. (Foto: dpa/Sebastian Kahnert)

11.11.2022

Berlin will Steinkohle statt Biogas stärken

Biogasbranche ist entsetzt über die Pläne aus Berlin – Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger fordert, diese Anlagen von der Gewinnabschöpfung auszunehmen

Auf ihrer Suche nach Alternativem zum russischen Erdgas kam die Bundesregierung spät auf die deutsche Biogasbranche zu, die von Anfang an ihre Bereitschaft und ihr Potenzial zur Lösung der Engpässe angeboten hat. Mit der Aussetzung der Höchstbemessungsleistung und der Anpassung des Güllebonus konnten die Betreiber schließlich mehr Gas liefern. Doch schon kurze Zeit später sickerte die Information einer rückwirkenden Erlösabschöpfung durch, die für viele Anlagen das vorzeitige Ende bedeuten würde.

„Unter den aktuell diskutierten Vorgaben ist es für Betreiber von Biogasanlagen ökonomisch sinnvoller, keinen Strom zu erzeugen“, bringt es der Präsident des Fachverbandes Biogas, Horst Seide, diese Woche bei einer Pressekonferenz zum Start der traditionellen Biogastagung auf den Punkt. „Es herrscht eine bedrückte Stimmung in der Branche, so schlecht wie noch nie.“

Vor drei Wochen gab es noch Aufbruchstimmung

Bis vor drei Wochen habe noch Aufbruchstimmung geherrscht. Das Gesetz sei in der Umsetzung gewesen und die Betreiber hätten investiert, sich gekümmert und Strom verkauft, den es noch nicht gab. Mitten in diesem Prozess sei die Übergewinnabgabe, die in Wirklichkeit eine Umsatzabgabe sei, gekommen. Diese sei so hoch, dass die Betreiber keinen Gewinn, sondern Verlust einfahren würden. Die Zukunftsoption Flexibilisierung sei damit gestorben. Die Betreiber würden die Erlöse aus der Flexibilisierung brauchen, um produzieren zu können. Die Erzeugungskosten von Biogasstrom seien in den letzten Monaten deutlich gestiegen, einige Betreiber hätten ihre Einnahmen bereits reinvestiert, um die flexible Strombereitstellung zu garantieren. Sie hätten viel Geld in die Hand genommen, um bedarfsgerecht einspeisen zu können in Zeiten hoher Nachfrage, in denen natürlich auch der Preis höher sei.

Ein System, dass zu hohe Gewinne umverteile sei gut, doch habe die Politik nicht verstanden, wie Biogasanlagen arbeiten. 90 Prozent des Gases würde auf Termin verkauft. Diese Komplexität habe man wohl nicht durchdrungen. Hier sei eine steuerliche Lösung notwendig, denn die Unternehmen müssten zuerst einmal verdienen. Nur 30 bis 50 Prozent der Anlagen könnten auf Biomethan umgerüstet werden, die anderen würden trotzdem genauso effektiv Energie erzeugen. Die grundsätzliche Bereitschaft der Branche, einen Beitrag zum Ausgleich der hohen Strompreise zu leisten, sei vorhanden – aber mit sinnvollen und realistischen Lösungen.

Würde die Abschöpfung der Gewinne tatsächlich in der geplanten Form umgesetzt, hätte dies sowohl Konsequenzen für die Wärmekunden der Biogasanlagen, die im schlimmsten Fall nicht mehr mit Heizenergie beliefert werden könnten, als auch für den Strompreis. Denn wenn die flexiblen Biogasanlagen wegfallen würden, könnten die Gaskraftwerke am Ende der Erzeugerkette den Strompreis bestimmen und weiter in die Höhe treiben.

Aktuelle Poliltik ist ein Desaster

Auch aus Sicht der Firmen sei die aktuelle Politik ein Desaster, ergänzt Christoph Spurk, Vizepräsident im Fachverband und Geschäftsführer eines Anlagenherstellers. Einer Umfrage unter den Mitgliedsfirmen des Fachverbandes zufolge seien in diesem Jahr rund 400 Millionen Euro nicht investiert worden, weil die Branche durch die angekündigte Abschöpfung extrem verunsichert sei. Im nächsten Jahr erwarte der Verband einen Investitionsstau von rund einer halben Milliarde Euro. „Geld, das jetzt sinnvoll eingesetzt werden könnte und müsste, um uns schneller unabhängig von Energieimporten zu machen und den Klimaschutz voranzubringen“, sagt Spurk. Das führe zu einer Resignation bei den Betreibern.

In den letzten sechs Monaten habe man erkannt, wie wichtig die Flexibilisierung sei. Einige Unternehmen hätten sich das erste Mal mit Strompreismarkt und Strombörse auseinandergesetzt. Man habe dem politischen Wunsch nach mehr Erneuerbaren entsprochen. Die Erlösabschöpfung als Holzhammermethode, unabhängig von der Herstellung sei ein Rückschritt, der vor allem die Erneuerbaren treffe und die Steinkohle stärke. Im Ausland betrachte man Deutschland argwöhnisch: „Energiewende ja, aber nicht wie in Deutschland“, so Spurk.

Unterstützung erhält die Biogasbranche von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Er fordert Bundesminister Robert Habeck (Grüne) in einem Schreiben auf, die Biogasanlagen von der Gewinnabschöpfung auszunehmen. „Es kann doch nicht sein, dass die Anlagenbetreiber, die steuerbare, nachhaltige und erneuerbare Energie gerade jetzt auch für den Winter erzeugen, eine rückwirkende Abschöpfung ihrer Erlöse erfahren. Es versteht kein Mensch, warum die Bundesregierung hier nicht ihren Spielraum ausnutzt und diese Anlagen, soweit EU-rechtlich möglich, von der Abschöpfung ausnimmt“, schimpft Aiwanger. Die „Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6. Oktober 2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise“ ist in Kraft. Mit dieser Verordnung sollen Erlöse über der Erlösobergrenze von 18 ct/kWh gekappt werden. Die EU-Verordnung sieht aber vor, dass Anlagen unter einem Megawatt ganz von der Erlösobergrenze ausgenommen werden können.

Bundesregierung muss Spielraum nutzen

Bei der Betrachtung der Erlösobergrenze kommt hinzu, dass der bislang diskutierte „Anzulegende Wert“ für Biomasse- und Biogasanlagenbetreiber aus Aiwangers Sicht viel zu gering ist, da er weder Boni noch Flexibilitätsprämie oder -zuschlag enthält. Gerade diese Prämien sind aber Teil der Vergütung dieser Anlagen. Gemäß EU-Verordnung können jedoch Investitions- und Betriebskosten berücksichtigt werden. „Dies ist bei den Biomasse- und Biogasanlagen aus meiner Sicht absolut notwendig. Ein Sicherheitsaufschlag von lediglich drei Cent pro Kilowattstunde würde den gestiegenen Kosten nicht ansatzweise gerecht werden. Hier wäre mindestens ein Aufschlag von rund zehn Cent pro Kilowattstunde notwendig, um die gestiegenen Kosten aufzufangen“, fordert Aiwanger.

Auch die Planungen, die Erlöskappung rückwirkend zum 1. September 2022 erfolgen zu lassen, sieht Aiwanger kritisch. „Die EU-Verordnung gibt diese Rückwirkung nicht vor. Mir erscheint es fraglich, ob dies rechtlich überhaupt zulässig wäre. Auf jeden Fall halte ich diese Rückwirkung aus Sicht des Bestands- und Vertrauensschutzes für falsch. Viele Biomasse- und Biogasanlagenbetreiber haben diese Einnahmen zur Deckung der gestiegenen Beschaffungskosten bereits verausgabt. Nicht wenige Anlagenbetreiber müssten die rückwirkende Erlösabführung kreditfinanzieren. Häufig sind diese Einnahmen von den Anlagenbetreibern auch für Umbauten der Anlage eingesetzt worden.“
(Antje Schweinfurth)

 

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