Wirtschaft

In manchen Haushalten sind sie schon installiert: Wasseruhren, die per Funk den Verbrauch an eine zentrale Messstelle übermitteln. (Foto: Schweinfurth)

11.11.2016

Darf man funkende Wasseruhren vorschreiben?

Das Vordringen in private Räume kann auch zu weit gehen

Der vorgesehene Einbau funkender Wasserzähler hat aktuell in mehreren Bundesländern zu solchen Widerständen in der betroffenen Bevölkerung geführt, dass er in einigen Regionen gestoppt wurde. Politik und Wirtschaft wurden darauf aufmerksam, dass ein zwangsweiser Einbau im Zuge der üblichen Digitalisierungsmaßnahmen hier aus Gründen des Datenschutzes letztlich verfassungswidrig ist: Zu deutlich lassen sich personen- beziehungsweise haushaltsbezogene Daten hier unbefugt erheben und auswerten, sodass womöglich Profile über Anwesenheit, Nutzungsverhalten und so weiter erstellt werden könnten, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung brechen.
Was also hat der Staat nun im Interesse nicht etwa der Bürgerschaft, sondern der Industrie und Wirtschaft umgehend zu tun? Er muss sich um eine veränderte Gesetzeslage bemühen, die den ungehinderten Einbau funkender Wasserzähler in Zukunft ermöglichen. Von entsprechenden Bemühungen ist zu hören. Man wird dabei wohl um die Achtung vor einem gewissen Maß an Datenschutz nicht herumkommen, ja vielleicht sogar wie kürzlich bei den digitalen Stromzählern zertifizierte Geräte ab einem bestimmten Datum verpflichtend machen. Die Zeiten gehen jedenfalls zu Ende, in denen es genügte, einmal jährlich eine Postkarte mit dem aktuellen Zählerstand abzuschicken.

Es geht um Selbstbestimmung

Doch nicht der Datenschutz soll hier das Thema sein, sondern ein anderes Thema von Selbstbestimmung, nämlich der Strahlenschutz. Denn an diesem Punkt geht es um etwas sehr Grundsätzliches: Das Persönlichkeitsrecht steht in Frage, sich wenigstens im eigenen Haushalt nach Kräften vor Funkemissionen zu schützen. Der grundrechtlich besonders zu schützende Wohnraum wird jetzt womöglich durch neue Gesetze dem Zugriff digitaler Technokratie geöffnet. Deren Fortschritt wird von vielen Zeitgenossen wie ein Naturgesetz wahr- und hingenommen. Von anderen aber wird sie immer klarer als eine Bedrohung von freiheitlichen Grundrechten und Demokratie begriffen – man denke an die neuen Bücher von Harald Welzer (Smarte Diktatur) und der IT-Chefin Yvonne Hofstetter (Das Ende der Demokratie).
Man kann freilich fragen, ob der Funk von Wasserzählern überhaupt ein diskutables Thema sei. Geht es da nicht um vernachlässigbare Größen und Häufigkeiten? Tatsächlich wäre ein seltenes Funken im Abstand etwa von Tagen oder Wochen wohl hinnehmbar. Aber würde es langfristig dabei bleiben? Geht es doch jetzt schon bei den meisten Firmen um Abfragen, die Funkimpulse im Abstand von einigen Sekunden bedeuten! Und was aus dem Keller bis zum nächsten Mast – oder zum einmal jährlich vorbeifahrenden „Ableseauto“ – gelangen soll, kann nicht ganz „schwach“ eingestellt sein.

Wirkung des Strahlenmix auf den Menschen ist noch nicht erforscht

Gewiss, wer in seinem Haushalt bereits Handys, Tablets und stetig WLAN laufen hat, bei dem kommt es nicht mehr drauf an – könnte man meinen. Doch gerade die Wirkung von immer vielfältigerem Strahlenmix ist noch nicht wirklich erforscht. Schon ganz geringe Dosen hochfrequenter gepulster Funkstrahlung können das zentrale Nervensystem, ja Zellmembranen beeinflussen oder oxidativen Stress auslösen – darauf weist zuverlässige Forschung hin. „Nach wissenschaftlichen Kriterien ausreichend nachgewiesen ist eine Beeinflussung der Hirnströme“, hielt voriges Jahr der Schweizerische Bundesrat, also die Regierung fest. Und im Österreichischen Leitfaden Senderbau heißt es: „Die wissenschaftliche Datenlage weist zunehmend darauf hin, dass intensive und jahrelange Nutzung verschiedener funktechnischer Dienste mit einem erhöhten Krankheitsrisiko (zum Beispiel Hirntumoren) verbunden ist.“
Noch viel mehr ließe sich in dieser Richtung aufführen. Doch die entscheidende Frage ist nicht einmal, in welchem Maß die Studienlage beweiskräftig ist. Es genügt schon, dass heute sicher ein erhebliches Restrisiko besteht; und von daher geht es entscheidend darum, dass diesbezüglich die Meinungsfreiheit in den eigenen vier Wänden Gewicht behält. Darf der Staat wirklich die Akzeptanz von Funkstrahlung – in welcher Menge und Häufigkeit auch immer – selbst dort vorschreiben, wo Eigentumsrecht und der besondere Schutz der Wohnung gelten?
Die staatliche Zudringlichkeit im Zuge der digitalen Revolution bereitet namentlich der wachsenden Minderheit elektrosensibler Mitmenschen Sorge, ja Schmerzen. Wie Bernd Irmfried Budzinski, Richter am Verwaltungsgericht a.D., kürzlich zusammen mit Professor Karl Hecht (ehemals Charité) in der Zeitschrift Natur und Recht erläutert hat, wird Elektrohypersensibilität als echtes Krankheitssyndrom vom Bundesverwaltungsgericht jedenfalls bei Radar-Soldaten nicht mehr ausgeschlossen – und haben renommierte Forscher ein nervliches Krankheitsgeschehen im Zusammenhang mit Funkstrahlung klar ausgemacht. Längst sind etliche Elektrosensible vor der Strahlung in die Keller geflohen. Dort aber würden funkende Wasserzähler sie in besonderer Weise treffen. Auch wer Grund sah, sein Haus gegen Funkstrahlung nach außen hin durch mitunter recht teure Materialien abzuschirmen, wäre schwer geschädigt, zumal dann Strahlung von innen reflektieren würde.

Schlag gegen Vorsorgepflicht

Eine neue, industriefreundliche Gesetzeslage zu Funkzählern würde zudem der staatlich und europarechtlich gebotenen Vorsorgepflicht ins Gesicht schlagen. Jean Paul ließ einst in einem Roman das Schulmeisterlein Wuz aus Auenthal auf seinen Reisen immer einen zweiten Postwagen mit Arm- und Beinschienen, Verbandszeug und dergleichen hinterherfahren, um auf alle Risiken stets vorbereitet zu sein. Dieses kuriose Beispiel wird von Kritikern des Vorsorgeprinzips gern angeführt, um damit deutlich zu machen: Man kann es mit der Vorsorge auch übertreiben. Ist das größte Risiko vielleicht das strikte Vermeiden von Risiken, womit so jeder technische Fortschritt ausgebremst würde? Solche Argumentation führt freilich zu einem Untertreiben der Vorsorge, die doch gerade auch in moderner Gesellschaft sein muss. Ob Chancen die Risiken übersteigen, entscheidet mitnichten schon darüber, ob Risiken einzugehen sind. Ist nicht selbst die rechtliche Unterscheidung zwischen Gefahr, Risiko und Restrisiko dort irrelevant, wo es sich um private Räumlichkeiten handelt? Gilt dies nicht umso mehr, als es sich bei Funkstrahlung – wie Budzinski andernorts verdeutlicht hat – kaum um Restrisiken, ja nicht einmal um Risiken, sondern bereits um Gefahrenabwehr handelt? Schier grenzenlose Grenzwerte können hierüber bei unvoreingenommener Betrachtung der kritischen internationalen Forschungslage nicht länger hinwegtäuschen.
Darum ist es alles andere als belanglos, ob nun in Bälde funkende Wasserzähler in allen Haushalten hingenommen werden müssen. Gesetzliche Regelungen sollten bei digitalen Mess- und Übertragungstechnologien gesundheitlich unproblematische Technologien wie Ethernet-Lan, Festnetz-DSL oder Glasfaser als Wahlmöglichkeit vorschreiben. Gesellschaftspolitisch wäre es wichtig, genau darauf zu achten, dass nicht zunehmend die Ideologie des Posthumanismus traditionellen Humanismus ablöst. (Werner Thiede)

Appell gegen Zwang zu funkenden Zählern
1. Die eigene Wohnung ist nach europäischem Recht ein besonders geschützter Raum; bereits in Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es, niemand dürfe will­kürlichen Eingriffen in seine Wohnung ausgesetzt werden. Hierzu sollte sich niemand in Widerspruch stellen, indem er Bürgerinnen und Bürgern ihr bishe­ri­ges Recht bestreitet, Funkemissionen in ihrem pri­vaten Lebensbereich abzulehnen.
2. Der Bundesrat hat angesichts des vom Deutschen Bundestag am 23. Juni 2016 be­schlos­senen Ge­setzes zur Digitalisierung der Energiewende verlangt, dass doch noch ein Mitspracherecht für die Ver­brau­cher beim Einbau von „Smart Metern“ und bei der Einbindung in Kommuni­ka­tions­netze einzuräumen sei. Dieser Nach­for­derung sollte baldmöglichst konkret in gel­tendes Recht um­gesetzt werden.
3. Digitale Geschäftsmodelle dürfen weder gesetzgeberisch noch firmenpolitisch über gesund­heit­li­che Aspekte und ethisch gebotene Vorsorge gestellt werden. Dem digitalen Imperialis­mus von heute und morgen ist entschieden entgegenzutreten, statt ihm Tür und Tor zu öffnen.
4. Die bislang geltenden Mobilfunk-Grenzwerte orientieren sich ursprünglich bloß an physi­kalischer Wärme­wir­kung. Die Schutzpflicht des Staates umfasst im Grunde auch eine angemes­se­ne Berücksichtigung bio­lo­gi­scher Effek­te, die wissenschaftlich nicht mehr zu leugnen sind, weshalb im Wohn- und Schlafbereich die bereits 2008 vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) empfohlenen, viel niedrigeren Grenz­wer­te festgeschrieben werden sollten.
5. Der Trend zur Vertuschung und Tabuisierung von funkkritischen Forschungser­geb­nis­sen in der Presse wie in den öffentlichen Ämtern muss ein Ende haben und einer neu­tralen Informa­tions­politik für Bürgerinnen und Bürger Platz machen.
6. Das rechtlich und ethisch zu beachtende Vorsorgeprinzip außer Kraft zu setzen, damit tech­nischer „Fortschritt“ nicht be­hin­dert werde, ist eine derzeit öfter laut werdende un­ethische Forderung. Gerade an­ge­sichts der an Tempo zunehmenden Technologisierung unserer Kultur braucht es dringend kriti­sche Reflexionsbereitschaft hinsichtlich der mög­lichen Folgen.
7. Auch unabhängig von aktuellen wissenschaftlichen Beweislagen gilt es, Sorgen, Äng­ste und Be­schwerden von Bürgerinnen und Bürgern spätestens dort zu respektieren, wo ihre Mei­nungs­freiheit mit dem eigenen Lebensstil auch den persönlichen Wohn­raum betrifft.
8. Die bereits eingespielte gesellschaftspolitische Rücksichtslosigkeit gegenüber der Min­derheit elek­trosensibler Mitmenschen muss als verwerfliche Diskriminierung ge­brandmarkt und auf allen Ebe­nen korrigiert werden, zumal hinreichend ärztliche For­schungen und Belege für biolo­gi­sche und keineswegs nur hypochondrische Reaktions­muster bei diesem Krankheits­syndrom vorliegen.
9. Digitale Zähler- und Mess-Systeme funktionieren auch ohne Funk und Powerline. Un­ver­meidbare Vor­schriften und Realisierungen ihres Einbaus sollten deshalb zeitnah verpflichtend mit dem An­gebot alterna­ti­ver Lösungen wie Ethernet-Lan, Festnetz-DSL oder Glasfaser ver­knüpft werden.

(gez. Prof. i.R. Dr. rer. pol. Rüdiger Flick, Prof. Dr. jur. Heinz Albert Friehe, Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard,  Prof. em. Dr. med. Karl Hecht, 
Prof. a.D. Helmuth Kern, Prof. i.R. Dr. phil. Dr. theol. Christoph L. Lorenz, 
Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Prof. Dr. theol. Werner Thiede
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