Beim Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) sieht man die Politik auf allen Ebenen, also Europa, Bund, Freistaat und Kommunen, in der Pflicht, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern. Sie müssen wieder für Verlässlichkeit und Planbarkeit sorgen.
BSZ: Herr Wiegmann, die Arbeitslosigkeit und die Insolvenzen in Bayern steigen. Was kann man dagegen tun?
Jochen Wiegmann: Die wirtschaftliche Lage in Bayern ist angespannt: Unsere Konjunkturumfrage, die größte im Freistaat, zeigt bisher kein Ende der Durststrecke. So rechnen mehr bayerische Unternehmen damit, dass in den kommenden zwölf Monaten die Beschäftigtenzahlen eher sinken anstatt steigen. Nicht nur die offiziellen Statistiken zeigen einen Anstieg der Insolvenzzahlen, auch unsere Insolvenz-Beratungsgespräche bei der IHK haben sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. In Bayern gehen rund fünf von 10.000 Unternehmen insolvent. Damit ist unsere Insolvenzquote aber niedriger als in ganz Deutschland.
BSZ: Warum ist das so?
Wiegmann: Gründe für diese Entwicklung sind aus unserer Sicht unter anderem: Während der Corona-Zeit war die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Somit erleben wir in den Jahren nach der Pandemie eine Nachbereinigung der Zahlen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es viele Firmen zwar durch die Corona-Zeit geschafft haben, aber die anhaltende Stagnation und weitere Einschläge (Energiekosten, Zölle, Bürokratie, Strukturwandel in der Automobilindustrie, geändertes Konsumverhalten während und nach der Pandemie) sie letztendlich in die Knie zwingen. Dazu kommen die Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank seit 2022, die insgesamt konjunkturelle Schwäche in Deutschland, fehlende Aufträge gerade in der Industrie und beim Baugewerbe, Trend zu mehr Lagerhaltung aufgrund von geopolitischen Risiken sowie schwache und in einigen Teilen sogar rückläufige Konsumlaune der Menschen mit Folgen für den (Einzel-)Handel und die Gastronomie.
BSZ: Welche Branchen sind besonders betroffen?
Wiegmann: Wir sehen, dass fast alle Branchen und alle Firmengrößen betroffen sind. Jeder Einzelfall ist für alle Beteiligten dramatisch – ob Belegschaft, Geschäftsführung oder Eigentümer. Vor allem Soloselbstständige und Kleinstbetriebe machen den Großteil der Insolvenzen aus.
BSZ: Was fordert der BIHK?
Wiegmann: Das A und O ist, dass wir aus der Stagnation herauskommen. Wir müssen wieder wachsen! Dazu ist die Politik – Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik gleichermaßen – in der Pflicht, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern und wieder für Verlässlichkeit und Planbarkeit in der Wirtschaftspolitik auf allen politischen Ebenen zu sorgen. Gerade bei der ausufernden Bürokratie muss die Politik ins Handeln kommen. Schweden zum Beispiel macht vor, wie ein EU-Land dieselben Vorgaben aus Brüssel deutlich bürokratiearmer und wirtschaftsfreundlicher umsetzt als wir in Deutschland. Das entlastet die Verwaltungen, schenkt den Unternehmen mehr Beinfreiheit und spart Steuergelder – und lässt am Ende auch spürbar die Wirtschaft wachsen. Wir begrüßen alle Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessern, Anreize schaffen, Arbeit aufzunehmen oder mehr zu arbeiten, und die Produktivität der Unternehmen verbessern. Mit Blick auf die Insolvenzen appellieren wir auch an die Betriebe: Erste Warnsignale der Krise erkennen, ernst nehmen und rechtzeitig handeln!
BSZ: Wird mit der neuen Bundesregierung alles besser?
Wiegmann: Im Koalitionsvertrag von Union und SPD finden sich einige Maßnahmen, die der Wirtschaft neuen Schwung verleihen können. Ein grundlegender Neustart in der Wirtschaftspolitik sind die Vereinbarungen aber nicht. Gerade mit Blick auf die sozialen Sicherungssysteme hätte sich die Wirtschaft deutlicheren Reformeifer gewünscht. Wenn hier grundsätzlich am Status quo festgehalten wird, werden die Lohnnebenkosten deutlich steigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts weiter verschlechtern.
BSZ: Das ist aber nicht alles, womit die neue Bundesregierung für Frust sorgt?
Wiegmann: Ebenfalls enttäuschend ist, dass die Stromsteuersenkung – anders als versprochen – doch nicht für alle gilt, sondern nur für das produzierende Gewerbe sowie Forst- und Landwirtschaft. Das sind aber nur etwa 20 Prozent der steuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland – der Rest muss weiterhin die höhere Stromsteuer bezahlen.
BSZ: Gibt es auch etwas Gutes?
Wiegmann: Positiv nimmt die Wirtschaft den Investitionsbooster sowie die gesetzlich verankerte Körperschaftsteuersenkung wahr. Auch Impulse für mehr Wohnungsbau und die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung beim bisherigen Arbeitgeber im Rentenalter sind richtige Maßnahmen. Die neuen Sonderschulden für Infrastruktur und Verteidigung sind an sich nicht falsch, dürfen aber auf gar keinen Fall zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt werden. Sollte das passieren, drohen die höheren Schulden in staatlichem Konsum zu versickern – ohne dass es zu Wirtschaftswachstum kommt. Am Ende zählt: Schulden nur mit Reformen!
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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