Unabhängig von den wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund des monatelangen Lockdowns bildete Corona für den Fremdenverkehr im Freistaat auch eine kulturelle Zäsur. Wie unter einem Brennglas wurden Verwerfungen sichtbar: rücksichtslose Ausflügler in beliebten Destinationen, die das Leben für die Einheimischen beinahe unerträglich machen; eine zu geringe Berücksichtigung des Klimawandels bei der Planung künftiger Angebote und ein Modernisierungsdefizit bei zahlreichen Anbietern. Beim diesjährigen Bayerischen Tourismustag in Nürnberg stand deshalb das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.
Doch meint „Nachhaltigkeit“ tatsächlich vor allem Verzicht? Michael Braungart, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg und einer der Gastredner, hatte da so seine eigene Meinung: „Wir sollten weniger auf vermeiden, sondern auf innovative Lösungen setzen“, beschied er dem Publikum. Unter dem Label besagter „Nachhaltigkeit“ habe sich in vielen bayerischen Tourismusorten inzwischen ein Denken breitgemacht, dass „den Gast zum Feind erklärt“. Dem Austragungsort schenkte der Professor auch gleich noch eine ein: „Nürnberg möchte also klimaneutral werden? Das ist Unsinn. Absolut klimaneutral wird man nur beim Ende der Existenz.“
„Mehr amerikanisch“ müsse man denken – schauen, was sich aus dem vorhandenen Potenzial herausholen lässt, statt immer nur ans schlechte Gewissen zu appellieren, forderte Braungart, den „Weltuntergangsdiskussionen“ um die Tourismusbranche nerven.
Einbruch von mehr als 50 Prozent
Die nackten Zahlen klingen aber auch nicht gut. Die Zahl der Gästeankünfte sank 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 50,4 Prozent eingebrochen. Statt 40 Millionen reisten nur rund 19,8 Millionen Personen an. Die Zahl der Übernachtungen sank von rund 101 Millionen in 2019 auf knapp 60 Millionen, das entspricht einem Rückgang von 40,6 Prozent.
Wie gut man heuer abschneidet, vermag auch das bayerische Wirtschaftsministerium noch nicht einzuschätzen. Der Sommer verlief zwar ganz zufriedenstellen – aber die zuletzt dramatisch steigenden Corona-Inzidenzzahlen könnten die Bilanz noch kurzfristig gehörig verhageln. Vor allem das nächste Wintergeschäft ist existenziell für viele gebeutelte Orte und Unterkünfte.
In einigen Kommunen versucht man derweil, das nicht selten konfrontative Nebeneinander von Fremdenverkehr und Bevölkerung zu besänftigen – beispielsweise in Regensburg. Nicht alle in der Altstadt sind erbaut darüber, dass zuletzt immer größere Flusskreuzfahrtschiffe in der oberpfälzischen Bezirkshauptstadt anlegten – mit Gästen, die beim Kurz-Stopp in der Altstadt zwar viel Müll, aber kaum Geld zurück lassen; schließlich werden sie auf den Schiffen mit allem ausreichend versorgt. In Passau bietet sich eine ähnliche Situation – die inzwischen schon soweit eskaliert, dass Gäste öffentlich angepöbelt werden.
Ein Volksfest soll Einheimische und Gäste versöhnen
„Einmal jährlich veranstalten wir auf dem Rathausplatz eine Art Volksfest, bei dem Bevölkerung und Gäste miteinander ins Gespräch kommen“, berichtet die Tourismuschefin der oberpfälzischen Bezirkshauptstadt, Sabine Thiele. Wie stark das bereits wirkt, sagte sie nicht.
Dirk Schmücker, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung, denkt in Sachen Reisen in langfristigen Trendstudien – aktuell in seiner Publikation Urlaubsreisen 2030. Mehr nah der Heimat, weniger in die Ferne, werde es für viele gehen – nicht zuletzt wegen steigender Energie- und damit Transportpreisen –, und der Gast werde ökologisch sensibilisierter sein. Kultur und Brauchtum werden als Attraktionen gegenüber Halligalli an Bedeutung gewinnen.
Einen gewichtigen Grund für die künftige Auswahl des Reiseziels werde aber auch die Handhabung der behördlichen Infektionsschutzmaßnahmen vor Ort bilden – mitunter sogar innerhalb eines Staats. In Schleswig-Holstein etwa handhabte man die Maskenpflicht während Corona stets großzügiger als in Bayern: das OP-Modell war ausreichend, es musste nicht FFP2 sein.
Angst, von Österreich abgehängt zu werden
Auf einen Bewusstseinswandel beim Gast vertrauen wollen freilich nicht alle Branchenvertreter – vor allem nicht im Alpenraum. Dort schaut man neidisch nach Österreich, wo in Sachen neue Schlepplifte und Schneekanonen mehr staatliche Großzügigkeit herrscht. Bayerns Wintersportorte bangen heftig um ihre Konkurrenzfähigkeit.
Manche bayerische Politiker ficht das freilich nicht an – etwa Christian Zwanziger, tourismuspolitischer Sprecher der Landtags-Grünen und von Beruf Geograf: Aufgrund der für den Wintersport im Vergleich zu Österreich ungünstigeren geografischen und klimatischen Ausgangslage könne man „diesen Wettbewerb ohnehin nicht gewinnen“, sagt der Abgeordnete. Also warum nicht jetzt gleich auf sanftere und zukunftsfähigere Alternativen zum traditionellen Skitourismus umsatteln? (André Paul)
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