Wirtschaft

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fordert möglichst viel Normalität. (Foto: dpa/Matthias Balk)

12.02.2021

"Der Lockdown kostet pro Woche eine Milliarde Euro"

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) über Lockerungsmöglichkeiten, Verschwörungstheorien und Lieferengpässe

Der Lockdown ist jetzt bis 7. März verlängert worden. Das ist für viele Unternehmen ein riesiges Drama. Dringend benötigte Einnahmen, um überleben zu können, sind weiterhin nicht in Sicht. Doch auch für den Staatssäckel ist der Lockdown nach Meinung von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ein Super-Gau.

BSZ:  Herr Aiwanger, wie könnte Ihrer Ansicht nach ein Weg aus dem Lockdown aussehen?
Hubert Aiwanger: Grundsätzlich sollten wir aus dem Lockdown so herausgehen, wie wir hineingegangen sind: Das heißt, zunächst Friseure und Einzelhandel öffnen, später Gastro, Hotellerie und Veranstaltungen. Unsere Infektionsschutzstandards wie FFP2-Masken, Schnelltests und vermehrt die Impfung sind heute höher als letztes Jahr. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Lockerung. Meine Marschroute: Möglichst viel Normalität ohne das Risiko unverhältnismäßig zu erhöhen.

BSZ:  Es gibt Stimmen, die Lockerungen für die Wirtschaft leichtsinnig finden.
Aiwanger: Die Menschen erwarten von uns Orientierung und Perspektiven für die Zukunft. Dafür wurden wir gewählt. Bei den Infektionsschutzmaßnahmen geht es um erhebliche Grundrechtseingriffe und sogar Existenzen. Dass sich die Menschen frei bewegen und ihr Leben frei gestalten können, ist in unserem Land der Normalzustand. Abweichungen davon müssen wir sehr gut rechtfertigen und ständig überprüfen. Die Rücknahme von Maßnahmen dürfen wir auch nicht den Gerichten überlassen, denn das zerstört Vertrauen in die Politik.

BSZ: Wie sehr nervt es Sie, wenn der Ministerpräsident dagegen hält?
Aiwanger: Meinungsverschiedenheiten in der Sache gehören zu unserer Demokratie. Wir ringen in der Koalition immer gemeinsam um die beste Lösung für Bayern. Das haben wir bisher sehr gut hinbekommen.

BSZ:  Stichwort Verschwörungstheorie: Können Sie diejenigen Menschen verstehen, die den Eindruck gewinnen, dass durch den Lockdown der Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig geschädigt werden soll?
Aiwanger: Verschwörungstheorien entstehen dort, wo politische Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar oder erklärbar sind. Wir müssen uns hier an die eigene Nase fassen und Politik besser vermitteln und unsere Entscheidungen immer wieder hinterfragen. Ein aktuelles Beispiel ist die Ausgangssperre für ganz Bayern: Sie stammt aus einer Zeit, in der der Freistaat mitunter die höchsten Infektionszahlen in Deutschland hatte. Viele Kommunen waren Hotspots mit Werten über 200. Heute bewegen wir uns auf die Inzidenz 50 zu. Viele Städte und Landkreise befinden sich schon längst darunter. Wenn wir heute die flächendeckende Ausgangssperre nicht wieder abschaffen, verstehen das die Menschen nicht. Dann können sich Zweifel bis hin zu den absurdesten Unterstellungen entwickeln.

BSZ: Wie kontraproduktiv sind an dieser Stelle soziale Medien?
Aiwanger: Verschwörungstheorien sind ja grundsätzlich kein neues Phänomen. Ich erinnere nur an die sich seit Jahrzehnten verbreitenden Zweifel an der Mondlandung. Die sozialen Medien erleichtern heute sicherlich die Verbreitung solcher Geschichten. Faktenchecks und auch der seriöse Journalismus sind vor diesem Hintergrund besonders gefragt.

BSZ:  Wie sehr schadet sich der Staat durch den Lockdown, wenn wegen der gesunkenen Wirtschaftsleistung die Steuereinnahmen (Einkommen-, Gewerbe- oder Körperschaftsteuer) einbrechen?
Aiwanger: Der Lockdown ist für gesunde Staatsfinanzen ein Super-Gau. Er ist in vielen Fällen nötig, denn der Schutz der Menschen geht vor. Allerdings geht der Preis für die Maßnahmen pro Woche in Bayern in Richtung einer Milliarde Euro. Über längere Zeit halten wir das aber nicht durch. Deshalb müssen wir die Wirtschaft wieder schneller ins Laufen kriegen, um wieder mehr Steuern einnehmen zu können und weniger Hilfen ausreichen zu müssen. Die Öffnung des Handels und der körpernahen Dienstleistungen ist heute unter Einsatz von Atemschutzmasken leichter vorstellbar als noch letztes Jahr.

BSZ:  Aktuell fehlen Chips für den Elektronikbereich. Im ersten Lockdown fehlte medizinische Ausrüstung. Was müssen Bayern, Deutschland und Europa jetzt so organisieren, damit es keine Lieferengpässe mehr gibt? Und in welchen Bereichen muss wieder eine eigene Produktion aufgebaut werden?
Aiwanger: Die Engpässe bei medizinischen Produkten sind heute weitgehend beseitigt – auch dank bayerischer Unternehmen: Mein Wirtschaftsministerium hat die Entwicklung hochpräziser Corona-Schnelltests unterstützt. In kürzester Zeit ist eine bayerische Produktion von FFP2-Masken hochgelaufen. Die Suche nach Corona-Medikamenten schiebt der Freistaat mit 50 Millionen Euro an. Bei der Impfstoffbeschaffung hoffe ich, dass die EU und der Bund die Engpässe möglichst schnell beseitigen können. Im Bereich Mikroelektronik ist das Bild differenziert: Bei Halbleitern für die Autoindustrie sitzen führende Hersteller in Bayern. Bei anderen Anwendungen ist Europa abgeschlagen. Der Bund geht deshalb den richtigen Weg, wenn er einen zweistelligen Milliardenbetrag zur Förderung der Chipindustrie in Europa mobilisieren will. Wir in Bayern nehmen einen Milliardenbetrag in die Hand, um bei künstlicher Intelligenz und anderen Zukunftsthemen vornedran zu sein. Klar ist: Wir können in Bayern und Deutschland nicht alles selbst produzieren, müssen aber in kritischen Bereichen auf eine sichere Versorgung achten.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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