Wirtschaft

Eine Werbetafel begrüßt die Teilnehmenden des ASEAN-Gipfels. Dem Verband südostasiatischer Staaten gehören zehn Länder an, die auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet zusammenarbeiten. Den Vorsitz hatte heuer Kambodscha. (Foto: dpa/Chris Humphrey)

10.12.2022

Der unbekannte neue Tiger

Kambodscha ist das ökonomisch am schnellsten wachsende Land Südostasiens – was hierzulande nur keiner bemerkt

Bei Kambodscha denken die meisten Deutschen wohl zuerst an die riesige, zum Weltkulturerbe zählende Tempelanlage Angkor Wat; musikalisch durch die 1980er-Jahre Geprägte vielleicht noch an den Popsong Cambodia von Kim Wilde sowie historisch Interessierte an die Terrorherrschaft der Steinzeitkommunisten namens Rote Khmer in den 1970er-Jahren. Und Hollywoodstar Angelina Jolie – Ehrenbürgerin und Adoptivmama eines kambodschanischen Buben – drehte hier ihre Tomb-Raider-Actionfilme. Damit dürfte das Wissen aber auch erschöpft sein.

Einer, der wesentlich mehr zu sagen hat über den südostasiatischen Staat, ist der emeritierte aus dem oberbayerischen Neuburg a.d. Donau stammende Professor für Geodäsie, Holger Magel, einst Ordinarius für Bodenordnung und Landentwicklung an der Technischen Universität und Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie ländlicher Raum. Viele Jahre arbeitete der 78-Jährige als Berater der kambodschanischen Regierung – und möchte nun das Augenmerk lenken auf die rasante wirtschaftliche Entwicklung des Landes, das ihm zur zweiten Heimat geworden ist. Eine seiner Aufgaben: In Kambodscha gab es wegen der im jahrelangen Bürgerkrieg vernichteten Grenz- und Katasterunterlagen keine Landrestitution – wie vor 1989 auch in den neuen Bundesländern: Das Land wird deshalb von der Regierung komplett neu verteilt und dazu musste es neu vermessen und registriert werden – eine Herausforderung für Verwaltung und Vermessungstechnik.


Im Bürgerkrieg starb ein Drittel der Bevölkerung


Doch Kambodscha macht große Fortschritte: Die Welthandelsorganisation stuft den Staat als die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft Südostasiens ein und die internationale Ratingagentur Fitch erwartet für 2022 ein Wachstum von 4,7 Prozent. Auch deshalb durfte das Land heuer den wichtigen ASEAN-Gipfel – einen Zusammenschluss von zehn Staaten Südostasiens, vergleichbar dem EU-Vorgänger namens Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – ausrichten. Kambodscha ist unbestritten der neue wirtschaftliche „Tiger“ in Asien. Das ist umso beeindruckender, als fast zwei Millionen Kambodschaner*innen während des Bürgerkriegs ums Leben kamen – fast ein Drittel der damaligen Einwohnerschaft. Noch heute stellen Abertausende unentdeckte Landminen eine stete Gefahr für die Bevölkerung dar.

Der ökonomische Erfolg ist jedoch kein Wunder: denn die Menschen in Kambodscha arbeiten unheimlich viel und sind sehr fleißig. „Der Arbeitstag beginnt sehr früh und geht bis in den späten Abend“, berichtet Holger Magel – und Urlaub gibt es keinen, nur einige buddhistische Feiertage sowie den Geburtstag des Königs.“ Trotzdem seien die Menschen sehr freundlich und extrem höflich, berichtet der Münchner Professor. Bayern stehe bei den Kambodschanern hoch im Kurs, das Oktoberfest haben die Kambodschaner zumindest schon kopiert.

 

Studiengang nach dem Vorbild der TU München


Nach dem Vorbild der TU München wurde an der Königlichen Hochschule in Phnom Penh ein Studiengang für Landmanagement konzipiert, der bereits mehr als 1300 Absolvent*innen hervorbrachte. Magel selbst konzipierte für die Königliche Hochschule eine sogenannte Summer School für angehende Fach- und Führungskräfte, einige studierten auch bei ihm in München. Darüber hinaus entwickelte er für die Regierung ein mit dem bayerischen Landesentwicklungsprogramm (LEP) vergleichbares Raumordnungsprogramm.

Doch inzwischen stockt die Kooperation ein wenig. Bayern exportierte im Jahr 2021 Waren im Wert von knapp 20,4 Millionen Euro nach Kambodscha, das damit nur Platz 106 unter den wichtigsten Exportmärkten für Waren aus dem Freistaat einnimmt. „Gegenüber dem Jahr 2020 sanken die Exporte nach Kambodscha um 50,4 Prozent“, berichtet Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Die bayerischen Importe aus Kambodscha summierten sich im Jahr 2021 auf knapp über 322 Millionen Euro. „Damit weist Bayern ein Außenhandelsdefizit von rund 301 Millionen Euro auf“, so Bertram Brossardt.


Der Freistaat importiert vor allem Bekleidung


Die wichtigsten Exportgüter Bayerns nach Kambodscha sind nach Angaben des vbw-Chefs Maschinen, gefolgt von Nahrungs- und Futtermitteln sowie Pharmaprodukten. Im Gegenzug importiert der Freistaat vor allem Bekleidung – fast 70 Prozent des Gesamtvolumens und rund das Elffache dessen, was Bayern dorthin exportiert. Vor Ort in Kambodscha sind besonders die beiden fränkischen Sportartikelhersteller Adidas und Puma aktiv, letzteres lässt rund 13 Prozent seiner Produkte in Kambodscha produzieren.

Während die Deutschen Kambodscha in seiner wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung noch nicht recht erkannt haben, steht es für die Bundesrepublik politisch völlig im Schatten. Auf seiner kürzlich stattgefundenen Südostasienreise machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zwar im benachbarten Vietnam Station und auch in Singapur – aber nicht in Phnom Penh. Ein Freihandelsabkommen steht ebenfalls noch aus.

Seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) war in 16 Jahren nicht einmal zu Gast in Kambodscha und auch deren Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) machte in sieben Jahren als Kanzler einen Bogen um das Land. Den höchstrangigen deutschen Regierungsvertreter, den man in Phnom Penh zuletzt empfangen durfte, war der von 2009 bis 2013 amtierende Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP). Andere sind da weitsichtiger. Chinas Staatschef Xi Jinping traf schon sechs Mal seinen kambodschanischen Kollegen Hun Sen. (André Paul)

 

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