Wirtschaft

32,9 Prozent der regenerativen Stromerzeugung im Freistaat stammen aus Wasserkraft. Damit liegt sie vor Solarstrom mit 32,3 Prozent, vor Biomasse mit 25,5 Prozent und vor Windenergie mit 8,2 Prozent. (Foto: BEW)

17.11.2017

„Dezentraler, heimischer und CO2-freier Energieträger“

Branchenexperte Frank Pöhler über die Potenziale der Stromerzeugung aus Wasserkraft

Die Energiewende stockt, weil unter anderem das Problem der sogenannten Dunkelflaute nicht gelöst ist. Es müssten viel mehr Speicher gebaut werden, um die Zeiten, in denen weder der Wind weht, noch die Sonne scheint, zu überbrücken. Ein Ausweg wäre der Ausbau der Stromer-
zeugung aus Wasserkraft. Darüber sprachen wir mit Professor Frank Pöhler, Vorsitzender des Ausschusses für Wasserkraft beim Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) sowie Geschäftsführer der Bayerischen Elektrizitätswerke GmbH (BEW) aus Augsburg.
BSZ: Herr Pöhler, wie wichtig ist die Wasserkraft für die Energiewende in Bayern?
Pöhler: Enorm wichtig. Denn 32,9 Prozent der regenerativen Stromerzeugung im Freistaat stammt aus Wasserkraft. Damit liegt sie vor Solarstrom mit 32,3 Prozent, vor Biomasse mit 25,5 Prozent und vor Windenergie mit 8,2 Prozent. Insgesamt belegt die regenerative Stromerzeugung in Bayern mit 39,6 Prozent Platz zwei hinter der Kernkraft mit 42,5 Prozent (alle Werte für das Jahr 2015).

BSZ: Angesichts dieser Zahlen müsste man in Zukunft doch noch stärker auf die Wasserkraft setzen?
Pöhler: Ja, denn nach dem Abschalten der Kernkraftwerke im Jahr 2023, ist Bayern zu mehr als 50 Prozent von Stromimporten abhängig. Die Wasserkraft zu erhalten, ist also ein Gebot der Vernunft. Wasserkraft leistet mehr als nur regenerative Stromerzeugung. Sie trägt erheblich zur Versorgungssicherheit bei.

BSZ: Warum ist das so?
Pöhler: Weil sie mit 90 Prozent den höchsten Wirkungsgrad und die mit Abstand höchste Anlagenlebensdauer aller Stromerzeugungsarten hat. Einige Wasserkraftwerke produzieren bereits seit mehr als 100 Jahren Strom. Wasserkraft ist außerdem rund um die Uhr einsatzfähig und ist mit etwa 50 Prozent ihrer Leistung grundlastfähig. Sie ist darüber hinaus gut prognostizier- und regelbar und hilft durch ihre dezentrale und stetige Einspeisung die Stromnetze zu stabilisieren – und ganz wichtig: Sie ist schwarzstartfähig.

BSZ: Was heißt das denn?
Pöhler: Viele Kraftwerke brauchen zunächst einmal elektrische Energie, um hochfahren zu können und sind deshalb auf das Stromnetz angewiesen. Wasserkraftwerke hingegen können sofort loslegen – ohne zuerst Strom aus dem Netz zu ziehen. Diese Eigenschaft wird vor allem bei einem größeren Stromausfall zum großen Vorteil der Wasserkraft. Außerdem ist sie speicherfähig. In Speicher- oder Pumpspeicherkraftwerken lässt sich das Wasser zur Stromerzeugung über längere Zeiträume speichern. Die Wirkungsgrade von Pumpspeicherkraftwerken liegen bei bis zu 80 Prozent.

BSZ: Wie lässt sich das Potenzial der Wasserkraft noch besser nutzen?
Pöhler: Für den VBEW liegt der Fokus auf der Modernisierung und Nachrüstung bestehender Anlagen. Damit könnte allein an den großen bayerischen Flüssen Donau, Iller, Lech, Wertach, Isar, Inn und Main eine zusätzliche Stromerzeugung von rund 700 Millionen Kilowattstunden ermöglicht werden.

BSZ: Wie viele Haushalte kann man mit diesen zusätzlichen 700 Millionen Kilowattstunden Strom versorgen?
Pöhler: Immerhin etwa 200.000 Haushalte. Jedoch liegt dieses Potenzial an den großen Anlagen, die mehr als fünf Megawatt Leistung haben, weitestgehend brach, weil Anreize fehlen, dieses Potenzial wirtschaftlich zu erschließen.

BSZ: Wäre der Neubau von Wasserkraftanlagen denn auch eine Möglichkeit?
Pöhler: Das wäre eine wünschenswerte Option. Zumindest an bestehenden Querbauwerken oder in Flüssen, wo wasserbauliche Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Eintiefung der Flusssohle durchgeführt werden müssen, wie etwa an der Salzach, ist ein weiterer Ausbau der Wasserkraft auch ökologisch vertretbar. Als VBEW unterstützen wir deshalb den Neubau von Wasserkraftwerken an bestehenden Querbauwerken, da mit einem Neubau an diesen Stellen gleichzeitig Fischwanderhilfen gebaut und mitfinanziert werden können und somit der ökologische Zustand verbessert werden kann.

BSZ: Naturschützer laufen ja regelmäßig Sturm gegen die Wasserkraft. Welche ökologischen Vorteile bietet sie denn wirklich?
Pöhler: Wasserkraft ist ein dezentraler, heimischer und vor allem CO2-freier Energieträger. Und man darf nicht vergessen, dass sich erst durch den Bau von Staustufen viele Gewässerabschnitte zu ökologisch hochwertigen Gebieten entwickelt haben und deshalb zu Umweltschutzgebieten (FFH, Natura 2000, und so weiter) deklariert wurden. Außerdem ist die Wasserkraftnutzung ein Garant für den Hochwasserschutz und die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Denn neben der Errichtung von Fischwanderhilfen findet auch eine ökologische Umgestaltung der Gewässer statt.

BSZ: Wie läuft das?
Pöhler: Allein die Bayerischen Elektrizitätswerke (BEW), die in Bayerisch-Schwaben an Donau, Lech, Wertach, Iller und Günz 36 Wasserkraftwerke betreiben, sind für den Flussunterhalt an 180 Kilometern Uferlinie zuständig. Das bedeutet zum einen die Durchführung von Pflegemaßnahmen an Dämmen, Deichen und Hinterlandentwässerungen, und zum anderen auch bauliche Maßnahmen zur Sicherung der Standsicherheit dieser Hochwasserschutzeinrichtungen, einschließlich deren Überwachung und Maßnahmen im Hochwasserfall.

BSZ: Das ist ja eine ganze Menge.
Pöhler: Und bei Weitem noch nicht alles. Wasserkraftwerke leisten zusätzlich noch einen erheblichen Beitrag zum Flussunterhalt und zur Flusssanierung wie etwa Sohlstützung, Grundwasseranhebung für die Landwirtschaft und die Wasserversorgung. Außerdem sorgen sie durch die Rechengutentsorgung für Gewässerreinhaltung. Durch Brücken und Wege sorgen die Wasserkraftwerksbetreiber noch für Naherholung und Tourismus. Denn um an all die Bauwerke gelangen zu können, braucht man diese Infrastruktur, die auch weitestgehend von der Öffentlichkeit genutzt werden kann.

BSZ: Somit lassen sich Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen.
Pöhler: Das passt auf alle Fälle zusammen. Bei BEW gehen wir seit vielen Jahren neue Wege in der Zusammenarbeit und zeigen, dass Natur- und Klimaschutz sowie Wasserkraft untrennbar zusammengehören. Dabei arbeiten wir mit allen Stakeholdern, also mit Anwohnern, Umwelt- und Fischereiverbänden, Kommunen, Fachbehörden und der Wissenschaft auf Augenhöhe zusammen. Wir wollen deren Kompetenz und Engagement nutzen, um gemeinsam Best-Practice-Lösungen zu erarbeiten. Das bringt Vorteile für alle Seiten.

BSZ: Haben Sie ein Beispiel?
Pöhler: Aktuelles Beispiel ist das Projekt INADAR an der Donau. In diesem Pilotprojekt kombinieren wir mit den von BEW entwickelten „Ökobermen“ eine Verbesserung des Hochwasserschutzes, also eine effiziente Dammsanierung, mit einer ökologischen Aufwertung der Uferbereiche durch Schaffung hochwertiger Gewässerstrukturen. Derzeit erfolgt die Erprobung und Bewertung dieser ökologischen Bauweise an zwei Stauräumen an der Donau. Das Projekt wird von der EU im Rahmen des Life-Programms gefördert.

BSZ: Das alles kostet aber Geld.
Pöhler: Bei uns verursachen die Zusatzaufgaben neben der Stromerzeugung etwa 30 Prozent der Gesamtkosten. Darum brauchen wir auch in Zukunft stabile Erlöse, um diese Aufgaben erfüllen zu können.

BSZ: Ist das nicht gewährleistet?
Pöhler: Der Börsenpreis war lange Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau und das bereitet uns Sorgen. Im Februar 2016 erreichte der Terminmarktpreis mit zwei Cent pro Kilowattstunde seinen Tiefpunkt; derzeit entspannt sich die Situation langsam. Immerhin: Die vermiedenen Netzentgelte für die Wasserkraftanlagen werden nicht – wie ursprünglich geplant – auf Null abgeschmolzen, sondern lediglich auf dem Niveau des Jahres 2016 eingefroren. Das war ein wichtiger Beitrag zur Sicherung einer nachhaltigen Wasserkraftnutzung von Bestandsanlagen.

BSZ: Bitte was sind vermiedene Netznutzungsentgelte?
Pöhler: Wer stetig dezentral Strom ins Nieder- oder Mittelspannungsnetz einspeist, stabilisiert das regionale Stromnetz und vermeidet Kosten für den sonst notwendigen Netzausbau. Für diese sogenannten vermiedenen Netzentgelte werden Betreiber von Wasserkraftanlagen „belohnt“.

BSZ:
Profitiert denn die Wasserkraft nicht vom EEG, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz?
Pöhler: Nicht generell. Wasserkraftanlagen mit einer Leistung von über fünf Megawatt sind die einzigen regenerativen Stromerzeugungsanlagen, die in Deutschland nicht über das EEG subventioniert werden. Die Betreiber großer Wasserkraftanlagen müssen ihren regenerativ erzeugten Strom zu Marktpreisen verkaufen. Diese liegen derzeit etwas oberhalb von drei Cent pro Kilowattstunde. Die Durchschnittsvergütung aller EEG-geförderten Anlagen beträgt dagegen etwa 13 Cent pro Kilowattstunde.

BSZ: Aber obendrein müssen sie aus der geringeren Vergütung die immensen Kosten für Hochwasserschutz und ökologische Gewässergestaltung schultern.
Pöhler: Richtig. Darum versuchen wir mit Effizienzverbesserungen die Wirtschaftlichkeit der großen Wasserkraft zu erhalten. Aber wir suchen auch das Gespräch mit der Politik, um eine faire Lastenteilung zu erreichen.

BSZ: Was sagt die Politik?
Pöhler: Die bayerische Politik hat durchaus erkannt, dass ein nachhaltiger wirtschaftlicher Betrieb der „großen“ Wasserkraft, die um ein Vielfaches preiswerter ist als jede andere regenerative Stromerzeugungsart, nicht nur essentiell ist für das Gelingen der Energiewende in Bayern, sondern auch für die Erfüllung der Vielzahl der Zusatzaufgaben, die die Wasserkraft für die Gesellschaft leistet. Konkrete Maßnahmen zum Erhalt der „großen“ Wasserkraft bei einem nochmaligen Abdriften der Börsenpreise unter drei Cent pro Kilowattstunde wurden bisher nicht festgelegt. Denkbar wäre ein temporärer Aufschlag auf die Börsenpreise, eine neue, verursachergerechte Lastenteilung der Zusatzleistungen für die Gesellschaft oder eine Kostenübernahme/-beteiligung an den Maßnahmen zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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