Die Stromversorgung hierzulande wird angesichts des Atom- und Kohleausstiegs immer herausfordernder – gerade für Bayern. Doch sind die umstrittenen Stromtrassen tatsächlich nötig? Oder wäre mehr Power-to-gas sinnvoll, um den überschüssigen Ökostrom aus Solar- und Windkraftanlagen einzuspeichern? Darüber sprachen wir mit Josef Hasler, Vorstandschef des Regionalversorgers N-ERGIE AG aus Nürnberg.
BSZ: Herr Hasler, Atomausstieg, Kohleausstieg und immer noch keine Stromautobahnen, um den Windstrom von Norddeutschlands Küsten in den Süden zu uns zu transportieren. Woher kommt künftig unser Strom?
Hasler: Bis zum Kohleausstieg vergeht ja noch ein wenig Zeit. 2038 ist Deadline. Auch die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstrassen lassen noch einige Jahre auf sich warten. Sicher ist dagegen, dass wir 2022 aus der Atomkraft aussteigen. Also wird der konventionell erzeugte Strom in den nächsten 10 bis 15 Jahren weiter aus Kohle- und Gaskraftwerken sowie Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen kommen. Letztere werden aufgrund der Ergebnisse der Kohlekommission hoffentlich noch mehr gefördert und gestärkt als bisher. Denn es gibt keine effizientere Energieverwendung als aus Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen.
BSZ: Was ist mit den erneuerbaren Energien?
Hasler: Ich gehe fest von einem weiteren Zubau von Onshore- und Offshore-Windkraftanlagen sowie von PV-Anlagen aus. Und hoffentlich kommt dann auch das Einphasen von Speichertechnologie, um die sogenannte Dunkelflaute zu überbrücken.
BSZ: Wie soll denn in Bayern mit der 10H-Regelung noch mehr Windkraft kommen?
Hasler: Ich glaube, dass trotz 10H-Regelung in den Kommunen noch einmal aktiv für Windkraft geworben werden sollte. Zudem müssten die bisherigen Regelungen auf den Prüfstand. Aktuell sind Anlagen nur bei einer maximalen Ertragsausbeute rentabel. Gewisse Standorte, die zur Netzstabilität beitragen, sollten auch dann bonifiziert werden, wenn dort nicht ganz so hohe Windkraftanlagen entstehen können. Aber auch die PV-Stromerzeugung sollte gerade hier in Bayern noch gestärkt werden.
BSZ: Warum?
Hasler: Wir sind nun einmal ein von der Sonne verwöhntes Bundesland und haben noch viel zu viel ungenutzte Dachflächen.
BSZ: Wie viel Strom wird denn im N-ERGIE-Netzgebiet für Privat- und Gewerbekunden im Jahr benötigt? Hasler: Zirka 6 Milliarden Kilowattstunden.
BSZ: Wie viel davon erzeugt die N-ERGIE selbst?
HASLER Allein unsere KWK-Anlagen erzeugen jährlich über 800.000 Megawattstunden Strom. Hinzu kommt noch der Strom aus den zahlreichen Photovoltaik- und Windkraftanlagen, an den die N-ERGIE über Tochterunternehmen beteiligt ist.
BSZ: Wie steht es denn um die Versorgungssicherheit Bayerns insgesamt?
HASLER Laut Bayerischem Energiedialog – er fand 2014 statt –, reichen die Leitungen von und nach Bayern völlig aus, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. So bemerken wir zum Beispiel auch nicht, wenn das Kernkraftwerk Isar 2 jedes Jahr sechs Wochen in Revision ist. Dann beziehen wir eben Strom aus anderen Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerken. Bei der Vernetzung der Stromerzeugung stehen wir in Deutschland und Europa ja nicht am Beginn, sondern in den letzten 30 Jahren ist viel passiert.
BSZ: Also kein Problem?
Hasler: Kein Problem. Erinnern wir uns nur, als Frankreich vor zwei Wintern große Probleme mit seinen Atomkraftwerken hatte. Deutschland konnte aushelfen. Dabei muss man wissen, dass in Frankreich Häuser und Wohnungen überwiegend mit Strom beheizt werden und das Land schließlich rund 67 Millionen Einwohner hat. Auch das haben wir geschafft. Von daher bin ich, was Versorgungssicherheit und Leitungskapazitäten anbelangt, völlig entspannt.
BSZ: Also brauchen wir die umstrittenen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstrassen, also die HGÜs, gar nicht.
Hasler: Das ist ja schon immer unsere Sicht. Diese Trassen erhöhen die Versorgungssicherheit nicht. Denn selbst bei bester Offshore-Windleistung werden pro Jahr nur 3000 von 8760 Stunden Strom aus Windkraft erzeugt. Hinzu kommt die Frage, ob dieser Strom auch genau dann erzeugt wird, wenn wir ihn in Bayern gerade benötigen. Deshalb sage ich: Wir brauchen dezentral schnell einsetzbare Kraftwerke. Das sind nun einmal Gaskraftwerke.
BSZ: Da drängt sich die Frage auf, was angesichts dieser Lage aus den Gaskraftwerken Irsching 4 und 5, einem potenziell neuen Irsching 6 und dem einst von der N-ERGIE geplanten Gaskraftwerk in Dettelbach bei Würzburg wird?
Hasler: Irsching 4 und 5 sind unter der Netzreserve. Irsching 6 wird vom Übertragungsnetzbetreiber realisiert – nur so viel zum Thema Unbundling, also die Trennung von Netz, Erzeugung und Vertrieb. Die Verteilnetzbetreiber, also die Stadtwerke, setzen Unbundling komplett um, beim Übertragungsnetzbetreiber gibt es eine weitere Ausnahme. Führt man sich vor Augen, dass Irsching 5 im Jahr 2018 rund 30 Stunden gelaufen ist, dann muss man sich einfach die Frage stellen, welchen Sinn Irsching 6 macht.
BSZ: Wohl keinen.
Hasler: Es wird gesagt, dass Irsching 6 dann als die Feuerwehr schlechthin eingesetzt werden kann. Allerdings kostet so ein 300 Megawatt-Block zwischen 150 und 200 Millionen Euro. Für dieses Geld könnte man auch intelligentere Lösungen finden.
BSZ: Welche?
Hasler: Zum Beispiel durch Vertragsgestaltungen mit den Kunden, die eine Kompensation von abschaltbaren Lasten vorsehen. Deswegen ist Irsching 6 für uns ein weiteres Symbol für das Scheitern der Energiewende, das die Haushaltskunden über die umgelegten Netzentgelte zahlen müssen.
BSZ: Somit macht auch Dettelbach null Sinn.
Hasler: Nur wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Ich weiß nicht, was in fünf bis zehn Jahren sein wird. Dann könnten vielleicht wieder neue Gaskraftwerke in den Markt kommen.
BSZ: Ist es denn für Deutschland so klug, sich so sehr von russischem Erdgas oder via Tankschiff geliefertem US-amerikanischem Flüssiggas abhängig zu machen?
Hasler: Was ist die Alternative? In den letzten 40 Jahren war Russland immer ein verlässlicher Partner. Zur Abfederung der Importabhängigkeit wäre Power-to-Gas geeignet. Wir könnten überschüssigen Strom aus regenerativer Erzeugung in Wasserstoff oder Methan, also Gas umwandeln. Dafür stünden hierzulande 500.000 Kilometer Gasleitungen zur Verfügung, um das Gas einzuspeichern. Voraussetzung dafür wären jedoch Anpassungen bei den Rahmenbedingungen. Übrigens wäre diese Alternative auch schonender für die Umwelt.
BSZ: Warum?
HASLER Weil nur noch die Umwandlungsanlagen gebaut werden müssten. Bei den HGÜs hingegen würde man auf Hunderte von Kilometern in die Landschaft eingreifen.
BSZ: Wenn jetzt aber noch mehr E-Mobilität kommt, brauchen wir dann nicht doch mehr Strom?
Hasler: E-Mobilität braucht gar nicht so viel mehr Strom. Eine Million E-Autos benötigen gerade einmal 0,5 Prozent mehr Strom. Wenn Sie bedenken, dass Deutschland 2018 rund 10 Prozent Stromüberschuss erzielt und exportiert hat, ist das nichts. Außerdem sind E-Autos für uns fahrende Stromspeicher.
BSZ: Das heißt?
Hasler: Wenn uns Kunden zu bestimmten Zeitpunkten den Speicher ihres Autos zur Verfügung stellen, entnehmen wir zum Beispiel zwischen 11 und 13 Uhr 30 Prozent Strom und laden diesen dann am nächsten Tag wieder auf. Das wird dem Kunden auch vergütet. Für uns sind dann also E-Autos Stromquellen.
BSZ: Wie sieht es denn bei den städtischen Verkehrsbetrieben, für die Sie ja auch verantwortlich sind, mit E-Mobilität aus? Straßenbahn und U-Bahn fahren ja mit Strom, fehlen nur noch die Busse.
Hasler: Ziel ist es, unsere knapp 200 Busse bis Ende 2030 zu weit über 90 Prozent auf E-Antrieb umzustellen. Derzeit setzen wir den E-Bus eines polnischen Herstellers ein und der läuft prima. Doch es muss sich noch etwas bewegen.
BSZ: Nämlich was?
Hasler: Wir brauchen mehr Konkurrenz bei den E-Bus-Anbietern. Denn Monopolisten diktieren den Preis. Dass E-Busse funktionieren, wissen wir von Nürnbergs chinesischer Partnerstadt Shenzhen. Dort fahren 10.000 E-Busse.
BSZ: Öffentlicher Personennahverkehr ist als Teil der Verkehrswende auch Bestandteil der Energiewende. Wie viel Ausbaupotenzial gäbe es denn in Nürnberg, um noch mehr Menschen zum Umstieg auf Öffentliche zu bewegen?
Hasler: Man müsste das gesamte System anheben, was möglich wäre. Jedoch wäre vor dem Ausbau der Infrastruktur noch die Finanzierungsfrage zu klären. Und das diskutieren wir ja auf landes- und bundespolitischer Ebene in Dauerschleife. Aber das ist nicht alles.
BSZ Sondern?
Hasler: Es müssen mehr Menschen den ÖPNV nutzen, denn die Städte werden immer stärker durch den Autoverkehr belastet – und zwar unabhängig davon, ob Benziner, Diesel oder E-Autos in die Städte fahren. Die verstärkte Nutzung des ÖPNV gelingt nur, wenn es keine Zugangsbarrieren mehr gibt. Kurz: Wir brauchen Möglichkeiten der elektronischen Abrechnung, die dann metergenau erfolgen könnte. Es muss alles total einfach und bequem für den Nutzer werden.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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