Wirtschaft

Damit Gemeinden lebenswerte Orte bleiben, darf nicht mit staatlichem Dirigismus wie zum Beispiel mit Flächenkontingenten in die kommunale Planungshoheit hineinoperiert werden. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

04.02.2022

"Die Gewerbesteuer abschaffen zu wollen, ist ein Tabu"

Uwe Brandl (CSU), Präsident des Bayerischen Gemeindetages, über Kommunen als Wirtschaftsstandorte, Wohnraummangel, Windkraft und E-Mobilität

Städte und Gemeinden sind Wirtschaftsstandorte. Damit diese funktionieren, muss in ihnen auch das Leben und Wohnen bezahlbar bleiben. Angesichts abrupter Fördermittelstreichung und Klimaschutzauflagen stellt sich die Frage, ob das weiterhin so bleibt.

BSZ: Herr Brandl, was erwarten Sie angesichts der Überraschungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wie KfW-Fördermittelstopp und innovative BIP-Berechnung für die bayerischen Gemeinden hinsichtlich ihrer Funktion als Wirtschaftsstandorte?
Uwe Brandl: Robert Habeck hat die kommunale Seite mit seinen bisherigen Aussagen zwar durchaus überrascht. Allerdings darf ein grüner Wirtschaftsminister gerne auch unerwartete Vorschläge machen und neue Ideen entwickeln. Wir erwarten von ihm eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik, die auch die ländlichen Räume als wichtige Wirtschaftsstandorte mit in den Fokus nimmt. Wir brauchen eine leistungsfähige Wirtschaft, die einen kraftvollen und nachhaltigen Beitrag zur Finanzierung der Kommunen leistet. So muss einerseits die Innovationskraft und Flexibilität der Wirtschaft gestärkt werden, andererseits dürfen angedachte Entlastungen der Wirtschaft nicht zulasten der Kommunen gehen. Aus unserer Sicht ist heute wie auch in Zukunft ein Tabuthema, über eine Abschaffung der Gewerbesteuer nachdenken zu wollen. Die Gemeinden können ihre Funktion als Wirtschaftsstandorte nur dann erfüllen, wenn auch ihre finanzielle Ausstattung mittel- und langfristig gesichert wird.

BSZ: Inwiefern wird die Kaufkraft der bayerischen Bevölkerung mit Blick auf die Klimaschutzvorhaben der Ampel-Regierung in Berlin schrumpfen? Was bedeutet das für die Gemeinden?
Brandl: Egal, wie man es dreht und wendet: Der Klimaschutz kostet Geld und wird die Bürgerinnen und Bürger belasten. Hier hat die neue Bundesregierung vor allem die Aufgabe, diese Lasten gerecht zu verteilen. Zentrale Bedeutung muss dabei der Grundsatz der gleichwertigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse haben. In diesem Zusammenhang muss gesehen werden, dass gerade die ländlichen Räume einen großen Teil der von der Energiewende ausgelösten Belastungen tragen müssen. An der Lösung dieser Aufgabe werden wir nicht nur den Wirtschaftsminister, sondern auch die neue Bundesregierung messen.

BSZ: Nimmt die Ampel in Berlin aus Ihrer Sicht den Wohnraummangel hierzulande, und im Großraum München insbesondere, überhaupt ernst?
Brandl: Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass die Fliehkräfte, die mit der Wohnraumfrage in den Ballungsräumen verbunden sind, in ausreichendem Maße ernst genommen werden. Natürlich hat sich insbesondere die SPD das Thema Wohnen auf die Fahnen geschrieben. Aber die Koalition scheint sich diesbezüglich gegenseitig auszubremsen: Schnell viel bezahlbarer Wohnraum mit hohen energetischen- und Ausgleichsflächenstandards, ohne dabei Fläche zu verbrauchen und ohne den Grundstückseigentümer in seiner Gewinnmaximierungsabsicht zu beschränken: Ich habe die begründete Sorge, dass sich das Projekt des bezahlbaren Wohnens zwischen den ideologischen Linien der Ampelparteien und in Formelkompromissen verheddern wird. Offen zu Tage trat dieses Problem erst vor ein paar Wochen mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema der kommunalen Vorkaufsrechte in von Gentrifizierung bedrohten Lagen.

BSZ: Was fordern Sie von der neuen Bundesregierung, damit die Lebens- und Arbeitswelt Gemeinde auch weiterhin funktioniert?
Brandl: Die Menschen vor Ort, die Stadt- und Dorfgesellschaften müssen befähigt werden, ihre Leben selbst zu gestalten. Dann habe ich keine Sorge vor der Zukunft. Dazu gehört eine tragfähige Finanzausstattung. Dazu gehört aber auch Respekt vor dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht und der Planungshoheit. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land werden nicht gelingen, wenn mit staatlichem Dirigismus wie zum Beispiel mit Flächenkontingenten in die Planungshoheit hineinoperiert wird. Und gleichwertige Lebensverhältnisse werden auch dann nicht gelingen, wenn klassische Aufgaben der Daseinsvorsorge wie beispielsweise das Trinkwasser und unsere Feuerwehren durch eine reine Marktgetriebenheit und luftraubenden Bürokratismus konterkariert werden. Schließlich geht es um den sozialen Kit in unseren örtlichen Gemeinschaften. Wenn es für junge Familien nicht mehr möglich ist, sich in ihrer Heimatgemeinde den Traum vom Wohneigentum zu erfüllen, dann erodiert dadurch mehr als sozialer Zusammenhalt.

BSZ: Wie bewerten Sie die Forderung von Robert Habeck, mehr Windkraftanlagen in Bayern zu realisieren?
Brandl: Die Forderung ist nachvollziehbar. Die Koalition und das Klimaministerium haben sich auf die Fahnen geschrieben, den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen. Die Frage ist jedoch, ob sich in einem Sonnenland nicht eher und wie bereits im Gange der Photovoltaikausbau durchsetzen wird. So oder so: Als Städte und Gemeinde begleiten wir die Energiewende aktiv und konstruktiv. Die Schlagwörter der Enkelgerechtigkeit und der Resilienz sind naturgemäß Leitplanken guter Kommunalentwicklung. Dennoch darf der Windausbau nicht gegen die Menschen vor Ort, sondern er muss mit ihnen geschehen. Und vieles, das von den Ampelkoalitionären geplant ist steckt bereits in der 10H-Regelung drin. Örtliche Wertschöpfung, ein Dialog mit den Menschen vor Ort, die örtliche Entscheidungshoheit. Bei genauerer Betrachtung – und diese Mühe muss man sich machen – ist die 10H-Regelung keine Windkraftverhinderungsregelung, sondern sie möchte den Windenergieausbau mit den Menschen vor Ort gestalten.

BSZ: Wie soll klimaverträgliche Mobilität im ländlichen Raum funktionieren, wenn E-Autos zu geringe Reichweiten haben und Ladesäulen nach wie vor Mangelware sind?
Brandl: Richtig ist, dass den Kommunen beim Aufbau der Ladeinfrastruktur eine Schlüsselrolle zukommt, in dem Sinn, dass die Kommunen beim Finden geeigneter Flächen unterstützen. Bislang fehlt es jedoch an fachlichen Stellen, die die strategische Planung für Bayern erstellen. Auch der Kauf, die Installation und der Betrieb der örtlichen Ladestationen lastet derzeit auf den Kommunen, obwohl die Versorgung des Individualverkehrs mit Treibstoff nie kommunale Aufgabe war. Die Energieversorger haben zwar Geschäftsmodelle entwickelt, wollen aber nicht das wirtschaftliche Risiko tragen. Faktisch ist der Ladesäulenaufbau auf dem Land davon abhängig, dass die teilweise „klammen“ Gemeinden bereit sind, auf lange Sicht defizitäre Ladesäulen zu betreiben!

BSZ: Wie kann man für Abhilfe sorgen?
Brandl: In dieser Situation könnten Stadtwerke eine wesentlich aktivere Rolle spielen, damit, wenn schon die öffentliche Hand den Aufbau des Netzes finanziert, die Ladesäulen langfristig öffentliche Einrichtungen bleiben. Wir haben bereits in der Vergangenheit über unseren Bundesverband gefordert, dass neben Versorgungsauflagen für Tankstellen, Ladeinfrastruktur bereitzustellen, auch der unmittelbare Aufbau eines Schnellladenetzes durch den Bund notwendig ist. Denn ohne solche Einrichtungen sind die Fahrzeuge nur im „Nahbereich“ nutzbar, und da funktioniert es in den ländlichen Räumen, weil derzeit fast ausschließlich in den privaten Garagen, Tiefgaragen, Parkplätzen an der Arbeitsstelle oder in Einkaufszentren oder ähnlichen Standorten geladen wird, selbst wenn Ladestationen im öffentlichen Raum zur Verfügung stehen. Es bedarf einheitlicher Standards mit dem Ziel einer automatischen und transparenten Abrechnung der Ladevorgänge. Solche Vorgaben können nur vom Bund entwickelt werden. Ansonsten wird ein nutzerfreundliches System nicht zu etablieren sein.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
(Foto: dpa/Matthias Balk)

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