Wirtschaft

Der Landkreis Berchtesgadener Land hat nach starkem Regen wegen Hochwasser den Katastrophenfall ausgerufen. (Foto: dpa/Kilian Pfeiffer)

23.07.2021

"Doppelt gemoppelt hält besser"

Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, über die Vorteile analoger Steuerung in Krisenfällen

Sintflutartige Regenfälle haben weite Teile der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zerstört. Während die Stromversorgung im Berchtesgadener Land, wo der Dauerregen auch wütete, wiederhergestellt ist, wird die Reparatur der Netze in Westdeutschland Monate dauern. Besonders schlimm dabei ist, dass die Telekommunikation – sowohl die leitungsgebundene als auch die funkbasierte – zusammengebrochen ist. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung eine fatale Entwicklung.

BSZ: Herr Fischer, wie sicher ist die bayerische Versorgung mit Gas, Strom und Wasser?
Detlef Fischer: In bin jetzt 53 Jahre alt und habe persönlich in meinem ganzen Leben noch keinen lang andauernden Ausfall der öffentlichen Versorgung mit Strom, Gas oder Wasser erlebt. Unsere leitungsgebundene Versorgung in Bayern ist schon sehr sicher und braucht auch keinen Vergleich mit anderen Industrieländern zu scheuen. Daran hat im Übrigen auch der massive Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nichts geändert. Das temporäre Umstellen der Industriebetriebe im Winter von Erdgas auf Mineralöl als Brennstoff ist seit vielen Jahren nicht mehr notwendig. Und von ganz wenigen lokalen Ausnahmen abgesehen, ist in Bayern genügend Wasser für alle da. Unsere Mitgliedsunternehmen tun alles dafür, dass das auch in Zukunft so bleiben wird.

BSZ: Die Versorgungsleitungen werden ja meist digital gesteuert. Ist das angesichts vermehrter Cyberangriffe noch sinnvoll? Müsste man nicht zur guten alten manuellen Steuerung zurückkehren?
Fischer: Zur guten alten manuellen Steuerung kann man gar nicht mehr zurückkehren. Dafür sind unsere Systeme im Normalbetrieb viel zu umfangreich geworden. Das dafür erforderliche Personal steht nicht zur Verfügung und wäre auch viel zu teuer.

BSZ: Was ist also zu tun?
Fischer: Entscheidend für die Aufrechterhaltung der wichtigsten Funktionen im Störungsfall ist, dass die dafür erforderlichen Komponenten unabhängig von der Ansteuerung über Fernwirktechnik auch analog bedient werden können. Beispielsweise muss demzufolge eine sicherheitstechnisch wichtige Armatur auch im Handbetrieb geöffnet und wieder geschlossen werden können.

BSZ: Welche Vorteile haben analoge Systeme gegenüber digitalen Systemen in der Energie- und Wasserwirtschaft?
Fischer: Bei analogen Systemen hat man früher noch darauf geachtet, dass eine Aufgabe mit möglichst wenigen Bauteilen und Prozessschritten erfüllt wird. Die Systeme waren einfacher zu bedienen. Das spielt jetzt häufig keine so entscheidende Rolle mehr. Ein Textverarbeitungsprogramm kann auch viel mehr als eine Schreibmaschine. Das Ergebnis ist aber das Gleiche: ein Brief. Die Digitalisierung führt also zu Systemen, die komplexer sind, als sie von ihrer Funktionsnotwendigkeit eigentlich sein müssten.

BSZ: Welche Folgen hat das?
Fischer: Das kann einem dann im Störungsfall, insbesondere bei Personalknappheit, vor die Füße fallen. Wenn niemand da ist, der weiß, wie das System zu bedienen ist, wird es halt schnell eng. Ein gutes analoges System fällt zudem im Störungsfall in den gesicherten Ruhezustand, in dem es keinen Schaden anrichten kann. Ein schlechtes digitales System lässt sich im Störungsfall nicht mehr steuern und richtet großen Schaden an. Man darf schon gespannt sein, welche guten und schlechten Beispiele das autonome Autofahren zu dieser Logik beisteuern wird.

BSZ: Müssen sich alle Unternehmen die Frage stellen, analog oder digital?
Fischer: Die Frage entweder oder stellt sich nicht. Digital ist Pflicht und analog ist auch Pflicht, zumindest für die Funktionen, die auch ohne digitale Hilfsmittel rund um die Uhr auch im Krisenfall unbedingt zur Verfügung stehen müssen.

BSZ: Haben Sie ein Beispiel?
Fischer: Das Beenden des Füllens eines Behälters mit einer gefährlichen Flüssigkeit muss beispielsweise auch über einen analogen Schwimmerschalter erfolgen und nicht nur über einen digitalen Sensor. Man kann jedem Unternehmen nur raten, in einer ruhigen Phase mal seine Prozesse auf derartige Schwachstellen abzuklopfen. Redundanz und Diversität sind zwei Prinzipien aus der Kerntechnik, die auch im normalen Leben sinnstiftend zur Krisenprävention angewendet werden sollten.

BSZ: Wie sinnvoll ist eine weitergehende Digitalisierung sämtlicher Lebens- und Wirtschaftsbereiche?
Fischer: Die Digitalisierung ist wie gesagt nicht aufzuhalten. Sie bringt uns ja, zumindest gefühlt, auch viele Vorteile. Die totale Abhängigkeit von einem Smartphone ist aber auf alle Fälle keine empfehlenswerte Lösung. Wenn man seine Haustür nur noch über eine digitale Ansteuerung per App geöffnet bekommt, dann hat man es sicher etwas übertrieben mit der Digitalisierung.

BSZ: Handeln Entscheidungsträger verantwortungsbewusst, wenn sie Daten in der Cloud speichern?
Fischer: Diese Frage muss sich jedes Unternehmen und jeder Bürger selbst beantworten. Ich würde mich auf alle Fälle nicht vollständig auf eine Cloud verlassen, sondern die wichtigsten Daten immer redundant über ein anderes System speichern. Sensible Mitglieder- und Kundendaten speichern wir im VBEW in jedem Fall nicht in einer Cloud. Und es kann auch nicht schaden, wenn man von den wichtigsten Unterlagen auch eine Papierversion in den Aktenschränken hat. Doppelt gemoppelt hält eben doch besser.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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