Wirtschaft

Braucht da noch jemand Geld? EU-Parlamentspräsident David Sassoli mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen. )Foto: dpa/Dimitris Papamitsos)

27.11.2020

Drahtseilakt für EU-Politiker

Soll Deutschland weitere finanzielle Opfer in Brüssel bringen, damit in Rom und Paris keine europafeindlichen Rechtspopulisten an die Macht kommen?

EU-Parlamentspräsident David Sassoli hat für Italien einen Schuldenschnitt ins Gespräch gebracht und gleichzeitig Sympathien bekundet, die neuen Corona-Hilfen in eine dauerhafte Einrichtung umzuwandeln – was faktisch eine Vergemeinschaftung der Schulden wäre. Bayerische Europapolitiker reagieren unterschiedlich auf den Vorstoß.

Für den Corona-Wiederaufbaufonds nimmt die EU 750 Milliarden Euro Schulden auf. Jetzt mehren sich die Stimmen, die Krisenmaßnahme zur Dauereinrichtung zu machen. In Italien wird sogar bereits über einen Schuldenschnitt debattiert – befeuert durch ein Interview des italienischen EU-Kommissionspräsidenten David Sassoli in der Tageszeitung La Repubblica am vergangenen Wochenende. „Überlegenswert“ und „eine interessante Arbeitshypothese“ nennt der seit 2019 amtierende 64-Jährige es. Hintergrund: Die Europäische Kommission erwartet, dass die Staatsverschuldung des Landes in diesem Jahr 160 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen wird. Erfreut sein über den Vorstoß dürfte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der schon seit Längerem dafür wirbt.

Das laute Schweigen der Ursula von der Leyen

Dass sich Sassoli und Macron mit ihren Plänen zum Schuldenschnitt durchsetzen – dafür sieht der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kaum Chancen: „Das würde eine Änderung der EU-Verträge notwendig machen und dies muss einstimmig erfolgen.“ Unter den Mitgliedsländern stünde dem etwa die Gruppe der sparsamen Vier – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden – entgegen. Außerdem würde ein solcher Weg in eine Hyperinflation führen, glaubt Ferber. Zwar würden Frankreich und Italien darauf spekulieren, ihre hohen Schulden auch über eine Inflation loszuwerden – „aber diese Nummer läuft nicht. Zwar ist Geld momentan billig; aber es kann wieder teuer werden.“

Auch die zusätzlich angedachte langfristige Umwandlung des Rettungsfonds in eine dauerhafte Einrichtung sieht der Schwabe als kaum durchführbar an. Auch dieser müssten die anderen Mitgliedsländer zustimmen. Den Vorstoß von Sassoli sieht Ferber vor allem innenpolitisch begründet.

Bemerkenswert findet Ferber in diesem Zusammenhang, dass kein Statement von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zu hören ist. Zwar hat sie formal weder über einen Schuldenschnitt noch eine Schuldengemeinschaft zu entscheiden – aber in der Bevölkerung der Mitgliedsländer würde eine Stellungnahme der bekanntesten Brüsseler Politikerin durchaus als Signal verstanden werden. „Ich will ihr nichts unterstellen – aber ihr Schweigen ist schon sehr laut vernehmbar“, sagt Ferber. Die ehemalige Bundesverteidigungsministerin war 2019 nicht zuletzt durch die Fürsprache von Macron ins Amt gekommen – womit sich der französische Präsident gegen den Wahlsieger, den bayerischen EU-Abgeordneten und EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) gestellt hatte.

Deutlich zugeknöpfter gibt sich zu diesem Thema die bayerische SPD-Abgeordnete in Brüssel, Maria Noichl. Auf Anfrage lässt die Rosenheimerin ausrichten, sie sei derzeit „so eingebunden, dass es aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist“ zu antworten. Argumentativ hätte Noichl aber auch einen schweren Stand. In Bayern mögen die Sassoli-Macron-Pläne unpopulär sein – aber die SPD-Parteiführung um Saskia Esken und Kevin Kühnert finden sie gut; der anfangs kritische Bundesfinanzminister Olaf Scholz knickte mit der Nominierung zum Kanzlerkandidaten seiner Partei ebenfalls ein.

Historische Krise

Ulrike Müller, die Europaabgeordnete der Freien Wähler, spricht sich „klar dafür aus, diese historische Krise gemeinsam und solidarisch innerhalb der Europäischen Union zu bewältigen. Der Binnenmarkt darf nicht auseinanderdriften, denn das würde allen Mitgliedstaaten schaden, auch und ganz besonders Deutschland.“ Nach den Worten Müllers gäbe es derzeit „im Parlament wie auch im Rat eine Mehrheit für den Vorschlag. Wenn beide Institutionen letztendlich zustimmen, wäre eine Prüfung des EuGH über die Rechtmäßigkeit der Aufnahme von Schulden wohl die einzige verbleibende Möglichkeit.“

Der für Europaangelegenheiten zuständige bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) legt Wert auf die Feststellung, „dass die Corona-Hilfsmaßnahmen zielgerichtet, aber eben auch zeitlich sowie hinsichtlich der Höhe und des Umfangs begrenzt sind“. Eine dauerhafte Schuldenaufnahme sei damit gerade abgelehnt worden. Und „ein Schuldenschnitt stand nie auf der Tagesordnung und wäre auch aus Sicht betroffener Länder nicht sinnvoll“, so Herrmann weiter. Eine Debatte über eine dauerhafte Schuldenaufnahme sei „wenig hilfreich“, findet der Staatskanzleichef und verweist darauf, dass Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire seinem Präsidenten in dieser Frage kürzlich widersprochen habe.

Kein entschiedener Protest

Das klingt alles zwar grundsätzlich ablehnend – aber noch vor nicht allzu langer Zeit wäre in dieser Frage, zumindest von bürgerlichen Politikern aus dem Freistaat, deutlich entschiedener Protest laut geworden. Womöglich berücksichtigen die Bayern, wie die übrigen deutschen Politiker, die inzwischen ziemlich ungemütliche Umfragesituation in Italien und Frankreich: In Italien, wo demnächst gewählt wird, haben die mit der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung regierenden Sozialdemokraten von Sassoli keine Mehrheit mehr. Es besteht die Möglichkeit, dass die Rechtspopulisten von Oppositionsführer Matteo Salvini gemeinsam mit den Neofaschisten und den Konservativen von Ex-Premier Silvio Berlusconi die nächste Regierung bilden. In Frankreich wiederum droht, dass der immer unbeliebtere Staatspräsident Macron die für Frühjahr 2022 anstehenden Wahlen gegen die Führerin der Rechtsextremen, Marine Le Pen, verlieren könnte.

Die nach dem Austritt Großbritanniens zweit- beziehungsweise drittgrößte Volkswirtschaft der EU in den Händen von nationalistischen Europagegnern, zusätzlich zu deren bereits regierenden Gesinnungsgenossen in Polen und Ungarn: wohl ein Albtraum für deutsche Politiker. Ein Schuldenschnitt beziehungsweise eine Schuldenunion wiederum gäbe den Rechtspopulisten in den Zahl-Ländern – in Deutschland etwa der AfD – weiter Auftrieb. Die Kunst besteht nun darin, einerseits die kritischen Steuerzahler daheim nicht zu verschrecken und andererseits die Brüssel-freundlichen Parteien und Politiker in Paris und Rom nicht zu stark öffentlich zu brüskieren – ein Drahtseilakt.

Rein ökonomisch betrachtet stellt sich die Frage, ob ein Schuldenschnitt für Italien wirklich wünschenswert ist. Die Bonität des Landes an den Finanzmärkten würde – das zeigt das Beispiel Griechenland – weiter sinken, italienische Staatsanleihen rangierten auf Ramsch-Niveau.
(André Paul)

Kommentare (1)

  1. Dakota S am 25.12.2020
    "...Die Kunst besteht nun darin,..." das wird mitten ins Auge gehen! Politiker die glauben das sie die einheimische Bevölkerung in diesem Lande, mit oder ohne Migrationshintergrund alle diejenigen die den " Karren am Laufen halten " also dafür arbeiten und Steuern bezahlen auf Dauer hinters Licht führen können die werden eines Tages brutalen Schiffbruch erleiden und das Land nach dem " großen Knall " in dem dann aktuell gültigen Rechtssystem wohl nicht mehr verlassen können. Was auch absolut verständlich und geschichtlich völlig normal ist. Und das dies in unserem Lande, das sich inzwischen durch eine wohl organisierte Verantwortungslosigkeit auszeichnet, im Moment nicht normal ist muss nicht heißen das es so bleibt wenn der Selbsterhaltungstrieb der einheimischen Bevölkerung wieder erwacht.
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.