Wie viel Potenzial steckt tatsächlich in Biogas?“Auf diese Frage hatten Vertreter der Erneuerbaren-Energien-Verbände von Bund und EU in einem Online-Gespräch eine klare Antwort: (fast) unendlich viel. Nur müsse sich dieses Potenzial frei entfalten können.
Am vergangenen Sonntag hatten sich die Politiker nur so überboten mit Milliardensummen für die Energiezukunft: Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) forderte vom Bund „ein 100-Milliarden-Programm für die heimische Energieversorgung“. Dabei hatte der für Geld zuständige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sogar bereits „200 Milliarden Euro für Klimawende“ versprochen.
Doch einen Tag danach rieben sich sicherlich viele Teilnehmende des besagten Online-Gesprächs die Augen. Denn gefragt, welchen Anteil sich die Biogas-Branche von Lindners 200 Milliarden Euro wünscht, erklärte Horst Seide, der ehrenamtliche Präsident des Fachverbands Biogas (FVB) klipp und klar: „Unsere Maßnahmen kosten eigentlich kein Geld.“ Glaubt man nämlich Seide, dann werden die oft bäuerlichen Betreiber von Biogas-Dorfkraftwerken schlichtweg bürokratisch ausgebremst.
Das Multitalent als Speicher
Dem stimmte Simone Peter ausdrücklich zu. Die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), dem Fachorganisationen für Wind-, Sonnen-, Wasser- und anderen erneuerbaren Energien angehören, hob besonders „das Multitalent Bioenergie als Speicher“ hervor. Damit lasse sich die von Wind- und Solarkraftwerken unstetig gewonnene elektrische Energielieferung wunderbar ausgleichen. Und insgesamt lasse sich „der Verbrauch hierzulande durch einen Energiemix aus allen Erneuerbaren zu 100 Prozent sauber, sicher und bezahlbar decken“, so Peter. Zudem würde im Land gewonnene Energie die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieimporte für Öl, Gas, Kohle, Uran massiv reduzieren.
Die aktuelle, augenscheinlich gefährliche Energie-Importabhängigkeit wird uns allen ja gerade durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich vor Augen geführt. Besonders deshalb appellierte die BEE-Chefin an die verantwortliche Politik, nicht auf „Flüssiggas-Terminals zu setzen, die brauchen über zwei Jahre Bauzeit, sondern auf die Flexibilisierung des bestehenden Biogas-Anlagenparks. Die ist viel schneller umzusetzen.“
Doch statt flexiblem Ausbau „wird heute jede Biogasanlage eingebremst durch ihren individuellen Deckel“, der die maximal mögliche Stromerzeugung verhindere, ergänzte Seide. Würde dieser Deckel weggenommen, „könnten wir sofort 20 Prozent mehr elektrische Arbeit bereitstellen, das entspricht allein 5 Prozent der russischen Gasimporte. Und damit würden wir den Strompreis senken“, denn auch die mehr erzeugten Biogas-Kilowattstunden (kWh) würden weniger kosten als Erdgas-Spitzenstrom.
EEG-Osterpaket
Übrigens wäre laut Horst Seide „mittelfristig Biogaserzeugung in Deutschland in Höhe von 42 Prozent der russischen Gasimporte möglich“. Dazu aber wäre das Gegenteil dessen nötig, als was die rot-grün-gelbe Ampel-Koalition in ihrem sogenannten „EEG-Osterpaket“ verkündet hat. Denn was darin stehe, „das würde eine massive Stilllegung von flexiblen Vor-Ort-Biogasanlagen bedeuten“, stellte Simone Peter klar. Im Gegenteil sei die Renovierung alter sowie der Bau von mehr neuen Anlagen notwendig. Damit meinte sie nicht nur große, die Biomethan ins Erdgasnetz einspeisen, wie sie die Bundesregierung vorschlage.
„Dieser Systemwechsel, wie ihn das Osterpaket vorschlägt, ist nicht richtig. Es geht nicht auf unsere Möglichkeiten ein, entweder flexibel zu fahren oder Biomethan zu erzeugen“, unterstützte Horst Seide. Zudem: „An dörfliche Strukturen wird gar nicht gedacht“, denn oft würden bäuerliche Biogasanlagen für die nachhaltige Wärme kleiner Orte sorgen; die sei durch die Ausrichtung des Osterpakets nun in Gefahr.
Weil „in die lokale Kreislaufwirtschaft eingebunden“, sei „Biogas nicht immer sichtbar“, gab Harmen Dekker zu, der Geschäftsführer des Europäischen Biogas Verbands EBA. Dennoch habe sogar die EU begriffen, dass Biogas die Importabhängigkeit von Erdgasimporten verringern könne. Er erwartete, die Kommission würde einen Tag später vorschlagen, dass bis 2030 zusätzlich 35 Milliarden Kubikmeter Biomethan in der ganzen EU erzeugt werden. „Und sogar die dreifache Menge ist möglich, das wären 50 Prozent des gesamten EU-Gasbedarfs“, sagte Dekker voraus.
Laut Dekkers Einschätzung könne Biomethan dank der wegen der steigenden CO2-Steuer auf Fossilenergien sinkenden Bioenergiepreise bald für etwa 55 Euro pro Megawattstunde (MWh) erzeugt werden, werde damit also „eine langfristige Alternative zu Erdgas. Und die Gärprodukte können als Düngemittel die treibhausgassteigernde Chemie ersetzen.“ Nicht nur deshalb setzte der EBA-Präsident „auf die Unterstützung von allen politischen Ebenen“. Zumal die Branche verspricht, in Zukunft weniger auf Mais und Co, sondern auf Lebensmittelabfälle, Abwasser, landwirtschaftliche Reststoffe als Substrat zu setzen, also „das Ende der Tank-Teller-Diskussion“, wie es Simone Peter formulierte.
Anderer Schwerpunkt
Deshalb schauten am Dienstag dieser Woche, also einen Tag nach der FVB-Veranstaltung, alle nach Brüssel. Es war erwartet worden, dass EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermanns dort eine klare Biogasstrategie der Kommission verkünden würde: 5000 neue Biogasanlagen in der Gemeinschaft, davon 1000 zur Biomethanerzeugung und 4000 mittelgroße sollten bis 2030 dazukommen. Zum Vergleich: In Deutschland sind aktuell insgesamt etwa 6000 Biogasanlagen in Betrieb, aber eben meist kleine am Dorf, nicht nur in Bayern oft von Landwirt*innen betrieben.
Doch bei der EU-Pressekonferenz setzten Timmermanns und EU-Energiekommissarin Kadri Simson trotz des werbewirksamen Titels „REPwerEU – Beseitigung unserer Abhängigkeit von russischem Gas vor 2030“ einen anderen Schwerpunkt: „Diversifizierung der Gasversorgung durch höhere Einfuhren von Erdgas von nichtrussischen Lieferanten in flüssiger Form (LNG) oder über Pipelines.“ Erst danach kamen „die Steigerung der Produktion und der Einfuhren von Biomethan und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen“ ins Gespräch. Konkrete Ziele für den Ausbau der Bioenergie nannten beide nicht, nur die „schrittweise Einsparung von mindestens 155 Milliarden Kubikmeter fossilem Gas“, davon „zwei Drittel binnen eines Jahres“.
Dabei hatte FVB-Präsident Horst Seide am Montag im Vertrauen auf eine klare EU-Entscheidung bereits von der Bundesregierung gefordert, „die Timmermanns-Strategie auf Deutschland herunterzubrechen“.
(Heinz Wraneschitz)
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