Wirtschaft

Ein Kran hebt ein weiteres Teil über den bereits aufgestellten Strommast auf dessen Streben Arbeiter sitzen und darauf warten das Bauteil montieren zu können. (Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert)

14.08.2020

Ein Umweltbericht gibt zu denken

Ökologische Auswirkungen durch den Übertragungsnetzausbau

Der Ausbau des Höchstspannungsübertragungsnetzes ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Energiewende.“ Schon im ersten Satz der „Fact Sheet Bedarfsermittlung 2019-2030“ genannten Kurzfassung bekennt sich die Bundesnetzagentur (BNetzA) uneingeschränkt zu neuen Stromtrassen. Doch wie will die Genehmigungsbehörde von 3600 Kilometern Leitungsneu- und -ausbau mit dem Natur- und Umweltschutz umgehen? Wir haben uns den zweiteiligen Umweltbericht nebst Beilagen angesehen, den die BNetzA im Rahmen ihrer „Strategischen Umweltplanung“ SUP erarbeitet hat.

Die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, Klima und Landschaft, aber auch das sogenannte kulturelle Erbe und einiges andere mehr hat der Bundestag im „Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung“ (UVPG) als schützenswert erklärt. Doch darf dann überhaupt eine der vielen neu geplanten Hochspannungstrassen, vor allem jene besonders umstrittenen für Gleichstromtransport (HGÜ), gebaut werden? Immerhin sollen die Leitungen über Berge, unter Feldern, quer durch Deutschlands blühende Landschaften geführt werden – darunter solche, die ganz besonders geschützt sind. Und überall leben Menschen, Tiere, Pflanzen.

Vorschlagsvarianten und anderweitige Planungsmöglichkeiten

Grundsätzlich geht das, sagt die BNetzA, denn man vergleiche ja Alternativen miteinander, stelle „Vorschlagsvarianten und anderweitige Planungsmöglichkeiten gegenüber. Nach dem Prinzip einer Rangbildung werden die Vergleichsparameter untereinander bewertet“, erläutert die Behörde. Die wiederum gehört zum Bundeswirtschaftsministerium: Das allein ist für die EU-Kommission Grund genug, die Unabhängigkeit der BNetzA anzuzweifeln. Weshalb sie Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat.

Wie aber geht die BNetzA bei der SUP vor? Sie zählt einfach die Rangplätze mehrerer selbst definierter Kriterien zusammen: „Die Alternative mit der niedrigsten Rangsumme ist aus Umweltsicht als vorzugswürdig zu beurteilen, weil mit den vergleichsweise geringsten voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist.“ Wie hoch die in jedem Einzelfall ist, spielt bei dieser rein mathematischen Bewertung der „Konfliktrisikodichte der einzelnen Schutzgüter“ keine erkennbare Rolle.

 Um aber die gröbsten – in der SUP „erheblich“ genannten – Umweltauswirkungen zu verhindern, werden im gesamten Verlauf der Planungen Alternativen ge- und untersucht. Das können entweder „einzelne Maßnahmen“ sein, also die örtliche Verlagerung der Trasse; jedoch „werden auch alternative Gesamtpläne betrachtet“, so die BNetzA. „Alternativen zu entwickeln, die realistisch sind und die mit der Öffentlichkeit diskutiert werden können beziehungsweise im Idealfall sogar von ihr mitgetragen werden“, das sei „eine große Herausforderung“, oder anders ausgedrückt: fast unmöglich. Deshalb schränkt die Behörde die Alternativenprüfung auch gleich deutlich ein, und zwar auf „Vernünftige Alternativen aus dem Netzentwicklungsplan“. Und die wurden „von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) vorgeschlagen“: So steht es auf Seite 331 in Teil 1 des SUP-Berichts.

Ein Beispiel hierfür: die „Maßnahme DC5“, der südliche Teil der „Süd-Ost-Link“ genannten HGÜ-Leitung von Nord nach Süd. Von Beginn an wurde die Verbindung zwischen Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) und Atomkraftwerk Isar (Bayern) dafür favorisiert. Doch in der SUP haben sich 63 581 Konfliktrisikopunkte (KRP) ergeben. Auf der etwas kürzeren Strecke von Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen (Landkreis Augsburg), der „Al1-DC5“, wurden aber „nur“ 46 152 KRP gefunden. Weil die beiden Alternativen ansonsten gleich bewertet wurden, hätte nun Lauchstädt-Meitingen eigentlich vorne gelegen bei der möglichen Baudurchführung.

Die beiden „Übersichten über die Untersuchungsräume und die Konfliktrisiken“ sind die optische Darstellung dieser Risiken. Schaut man aber etwas genauer hin, fällt sofort auf: Im „Gesamtplan Erdkabel/Seekabel“ chargieren große Flächen, auch dort, wo die neue Trassen geplant ist, oft zwischen gelb, orange und rot. Das „schutzübergreifende Konfliktrisiko“ sei dort „mittel über hoch bis sehr hoch“, wenn die Leitungen unterirdisch verlegt werden, hat die BNetzA herausgefunden. Der „Gesamtplan Freileitung“ dagegen zeigt dort viele Flächen mit grüner oder gelber Farbe: „Mittleres bis geringes oder gar kein erhöhtes Konfliktrisiko“ bedeuten diese Markierungen. Dennoch ist Erdverkabelung für einen Großteil gerade der HGÜ-Trassen vorgesehen. Von der laut „Gesamtplan Freileitung“ auch auf der Süd-Ost-Link-Strecke farblich sichtlich umweltgünstigeren Variante ist in der SUP überhaupt nichts zu lesen.

Jede Frage und jedes Missverständnis aufklären

Ganz genau ist in den Steckbriefen von SUHP-Teil 2 aufgelistet, wie sich alle Leitungen oder Kabel („Maßnahmen“) auf die Umwelt auswirken – wenn sie denn gebaut werden. Wenn man wieder auf „DC5“ schaut: Die Ursprungsvariante Wolmirstedt-Isar ist mit „h“ bewertet, der zweithöchsten von fünf Stufen möglicher Umweltauswirkungen. In genau derselben Stufe „h“ landet die Alternative Lauchstädt-Meitingen. Deren Einfluss auf „Tiere, Pflanzen, biologische Vielfalt“ ist mit „durchschnittlich“ sogar stärker als das Original („unterdurchschnittlich“). Ihre niedrigere Konfliktpunktzahl kommt deshalb wegen der wesentlich geringeren Länge (425 km) gegenüber Wolmirstedt-Isar (533 km) zustande.

Ob die BNetzA sich letztendlich deshalb für diese längere Variante des Süd-Ost-Link entschieden hat? Die selbst gegebenen Richtlinien ließen das zu: „Beträgt die Differenz der Rangplatzsumme weniger als zwei, sind die entsprechenden Maßnahmen als ebenbürtig anzusehen. Aus Umweltsicht kann in diesem Fall kein Vorrang begründet werden.“ DC5 hatte die Rangsumme „5“, AL1-DC5 die „4“ erhalten.

Metropolregion Nürnberg bräuchte 3000 Windräder der 3-Megawatt-Klasse

Als Vorbemerkung ihrer Bedarfsermittlung 2019-2030 stellt die BNetzA ohnehin fest: „Leider kann es nicht immer gelingen, jede Frage und jedes Missverständnis zur Zufriedenheit aller Beteiligten aufzuklären und allen individuellen Anliegen gänzlich nachzukommen. Das gilt besonders dann, wenn gar nicht um Tatsachen oder Zusammenhänge gestritten wird, sondern verschiedene Menschen, Interessensgruppen und Institutionen naturgemäß zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen und auch gegensätzliche Meinungen vertreten.“

So ist es beispielsweise in Nordbayern. Dort engagiert sich der Regionalversorger N-ERGIE AG aus Nürnberg besonders stark für die dezentrale Energieversorgung und gegen den ÜN-Ausbau allgemein. Eine Tochter der N-ERGIE betreibt in Teilen Ober- und Unterfrankens, der Oberpfalz und Oberbayerns das Verteilnetz, also die Spannungsebenen von 400 bis 110 000 Volt.

Genau auf jene Region bezogen steht dieser Absatz in der Bedarfsermittlung 2019-2030 der BNetzA: „Beispielsweise eine Metropolregion wie Nürnberg mit 3,5 Millionen Einwohnern bräuchte, um ihren Jahresenergiebedarf von circa 19 Terawattstunden zu decken, 3000 Windräder der 3-Megawatt-Klasse. Bei einer dreiwöchigen ‚Windflaute‘ ergäbe sich im Jahresmittel ein Speicherbedarf von 1,1 Terawattstunden. Um diese Menge zu speichern, benötigte man die Kapazität von über 58 Millionen Elektroautos vom Typ BMW i3 oder 130 Pumpspeicher in den baulichen Dimensionen des Pumpspeicherkraftwerks Goldisthal (Thüringen), ganz zu schweigen von den Kosten. Ein solcher für Deutschland typischer Ballungsraum kann also ‚dezentral‘ (im Sinne von ‚autark‘) weder regenerativ produzieren noch speichern.“

In diese Bewertung hätte die BNetzA aber den Energiemix aus Sonne, Bioenergie UND Windstrom unbedingt einfließen lassen müssen, heißt es aus dem Umfeld der N-ERGIE, ganz zu schweigen von einer fehlenden gesamtwirtschaftlichen Betrachtung der Kosten. Und so löst die SUP alleine nicht alle Probleme um den Höchstspannungsnetzausbau. (Heinz Wraneschitz)

Kommentare (1)

  1. Maria E. am 15.08.2020
    So läuft es leider immer bei den Gegnern der dezentralen Energiewende ab: Man sieht die Energiewende nicht als Ganzes, sondern betrachtet nur eine Art der Stromversorgung, wie der Autor es treffend beschreibt. So wird klar, dass die zum Beispiel Zahl von 3000 WKA zu Stande kommt. Die Bundesnetzagentur outet sich also spätestens beim Umweltbericht als Gegnerin der Energiewende.
    Nebenbei stellt die fehlende gesamtwirtschaftliche Betrachtung einen gravierenden Rechtsmangel dar, der eine gute Grundlage für die anstehenden Gerichtsverfahren ist.
    Heinz Wraneschitz erklärt schlüssig und logisch - vielen Dank dafür, auch der Bayerischen Staatszeitung für die Veröffentlichung.
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