Wirtschaft

Der andere Zusammenschluss europäischer Staaten: Der frühere Schweizer Bundespräsident, Johann Schneider-Ammann, vor den Flaggen der EFTA-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz. Kehren die Briten, die früher schon mal dazugehörten, in die Organisation zurück, könnte das die politischen Gewichte auf dem Kontinent verschieben. (Foto: dpa/Salvatore Di Nolfi)

24.05.2022

Eine Alternative zur EU?

Briten verhandeln angeblich mit Norwegen und der Schweiz über eine intensivere Zusammenarbeit

Der Streit um Grenzkontrollen zwischen dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland und der Republik Irland im Süden – sie ist Teil der Europäischen Union – eskaliert. Der britische Premierminister Boris Johnson hat der EU vorgeworfen, mit den Handelsvereinbarungen zu Nordirland den Frieden dort zu gefährden. Er drohte, seine Regierung werde sich nicht mehr an das Nordirland-Protokoll halten, sollte die EU keiner Überarbeitung zustimmen. Das Nordirland-Protokoll war einst geschaffen worden, um Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu verhindern – und so den brüchigen Frieden zwischen Befürwortenden und Gegner*innen der irischen Einheit zu erhalten. Allerdings ist seit dem Brexit faktisch eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien entstanden – sehr zum Missfallen der Regierung in London und ihrer Anhängerschaft in Nordirland, den Unionisten.

Unter diesen Vorzeichen gewinnen Gerüchte an Bedeutung, die von seit einiger Zeit stattfindenden Verhandlungen auf Beamtenebene zwischen Großbritannien, Norwegen und der Schweiz künden. Von offizieller diplomatischer Seite ist dazu keine Stellungnahme zu bekommen. Die beiden letztgenannten Länder sind keine Mitglieder der EU; die Bevölkerung hat sich in Abstimmungen dagegen entschieden. Angeblich geht es um eine stärkere wirtschaftliche, aber auch politische Zusammenarbeit zwischen den Briten, dem skandinavischen Königreich und der Alpenrepublik. Langfristiges Ziel könnte angeblich sogar eine Art Zusammenschluss als Gegengewicht beziehungsweise Alternative zur EU sein, heißt es. Möglich wäre auch, europakritische Kräfte in Ungarn und Dänemark zu stärken, auf dass diese beiden EU-Mitgliedstaaten irgendwann aus der Gemeinschaft austreten und sich dem neuen Zusammenschluss anschließen.


Die fast vergessene EFTA könnte neu erstarken

Doch wie realistisch ist das? „Es ist schwer nachvollziehbar“, befindet Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter und Chef der parteinahen Hanns-Seidel-Stiftung. Auch wenn die Regierung in Budapest mitunter einen anderen Eindruck erwecken mag, „die Bevölkerung in Ungarn möchte in der EU bleiben“, ist Ferber überzeugt. Die Schweiz wiederum habe viele Sonderregelungen mit der EU im Vergleich zu anderen Drittstaaten, von denen sie profitiere. Auch Norwegen sei aufs engste mit der EU verflochten. Obendrein habe die Schweiz gerade ihre Beiträge für die EU-Grenzschutzagentur Frontex aufgestockt.

Womöglich werden solche angeblichen Pläne von britischer Seite auch lanciert, um die EU im genannten Nordirland-Konflikt unter Druck zu setzen. „Boris Johnson sollte es sich aber gut überlegen, ob er sich an die Seite Putins stellen und das Völkerrecht missachten will“, sagt Ferber. Denn nichts anderes stelle eine einseitige Aufkündigung des Nordirland-Protokolls durch die Regierung in London dar.

Ungeachtet dessen würden sich drei Schwergewichte verbünden. Großbritannien ist – trotz der Verwerfungen im Zuge des Brexit – immer noch die zweitstärkste Wirtschaftsmacht Europas nach der Bundesrepublik und nach Frankreich die zweitgrößte Militärmacht. Norwegen und die Schweiz wiederum sind die beiden Länder mit dem höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen in Europa. Der Schweizer Bankensektor gilt noch immer als einer der führenden in der Welt; auch die Briten verstehen sich als führender globaler Finanzdienstleister.

 

Ein unabhängiges Schottland in der EU - ein Albtraum für die Briten


Norwegen wiederum ist das Land Europas mit den größten Öl- und Gasvorkommen. Das könnte für die Briten interessant sein, sollte es irgendwann doch noch zu einer Abspaltung des schottischen Landesteils mit seinen vergleichbaren Reserven kommen. Ohne die Energieversorgung aus Schottland käme die Industrie in England in massive Schwierigkeiten. Und Nicola Sturges, die Chefin der Regionalregierung in Edinburgh, hat entsprechende Pläne für eine Unabhängigkeit nicht aufgegeben – auch wenn die Zentralregierung in London derzeit keine Bereitschaft zeigt, ein weiteres Referendum zuzulassen. Als weiteren Schritt plant Sturges dann auch eine Aufnahme in die EU – was London nun auf gar keinen Fall zulassen kann.

An dieser Stelle kommt eine Organisation in den Fokus, die zuletzt kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr: die EFTA. Norwegen und die Schweiz sind – neben Liechtenstein und Island – die verbliebenen Mitglieder der 1960 gegründeten europäischen Wirtschaftsfreihandelszone EFTA. Großbritannien, Dänemark, Schweden, Österreich, Portugal und Finnland hatten die EFTA nach ihrem Beitritt zur EU verlassen. Nach ihrem 2001 geänderten Übereinkommen verfolgt die EFTA auch keine politischen Ziele mehr – eigentlich. Doch seit dem Brexit war auch immer wieder eine Rückkehr der Briten in die EFTA im Gespräch. Aus Rücksicht auf sein Verhältnis zur EU hat sich vor allem Norwegen diesbezüglich bisher eher ablehnend gezeigt. Käme ein solcher Schritt aber, würde das die EFTA immens aufwerten – wirtschaftlich, aber auch politisch.

Und auch in Dänemark – das sich weiterhin weigert, seine Landeswährung gegen den Euro zu tauschen und zu den größten Nettozahlern der Gemeinschaft gehört – gibt es Stimmen, die mit einer Rückkehr in die EFTA liebäugeln. Nicht nur finanziell wird die EU-Mitgliedschaft infrage gestellt; auch für seine strikte Asylpolitik sieht sich das Land aus Brüssel zu Unrecht kritisiert. (André Paul)

 

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