Wirtschaft

In Bayern müssten viel mehr Windkraftanlagen gebaut werden. (Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch)

30.09.2022

"Habeck hat mit seiner Kritik vollkommen recht"

Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz der Landtags-Grünen, über die Potenziale von Windkraftanlagen, 10H und neue Wind-Land-Gesetz des Bundes

Eine moderne Windkraftanlage erzeugt rund zehn Millionen Kilowattstunden und kann somit über 3000 Haushalte versorgen. Das ist ein gewaltiges Potenzial um Erdgas zur Stromerzeugung einzusparen. Deshalb fordert die Mehrheit der Menschen im Freistaat inzwischen, dass die umstrittene 10H-Reglung abgeschafft wird.

BSZ: Herr Stümpfig, Ihr Parteifreund Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat kritisiert, dass Bayern zu wenig beim Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht hat. Denn nachts scheine auch in Bayern keine Sonne und im Winter sei die Stromausbeute bei PV-Anlagen zu gering. Darum die Frage, wie viele neue Windräder brauchen wir im Freistaat?
Martin Stümpfig: Robert Habeck hat mit seiner Kritik vollkommen recht. Die Windkraft hat gerade in den Wintermonaten, wenn Solar schwächelt, ihre Stärken und deshalb ist die Kombi Solar und Wind so wichtig. Im Freistaat bräuchten wir eine Versechsfachung bei der Stromproduktion aus Wind. Das sind rund 2500 Windräder der modernen 6-MW-Klasse. Oder anders gerechnet sind das rund 35 Windkraftanlagen pro Landkreis in den nächsten zehn Jahren. Also ein Zubau von drei bis vier neuen Windrädern pro Landkreis und Jahr. Mit einer guten Planung ist das sehr gut zu verwirklichen.

BSZ: Kommt der Windkraftausbau in Bayern jetzt endlich voran?
Stümpfig: Ich habe elf Jahre lang in einer Genehmigungsbehörde gearbeitet. Von heute auf morgen geht da wenig. Die 10H-Regelung hat komplett der Windkraft in Bayern den Boden weggezogen. Wir hatten 2021 keinen einzigen Genehmigungsantrag in Bayern. Die Einführung der Ausschreibungen hat zwar auch in anderen Bundesländern für weniger Ausbau gesorgt. Aber in Bayern sind wir auf dem Nullpunkt. Daran ist 10H schuld! Jetzt gilt es kräftig aufzuholen.

BSZ: Was bedeutet das konkret?
Stümpfig: Die Genehmigung von Windkraftanlagen ist eine sehr zeitintensive Geschichte. Vor allem die artenschutzrechtlichen Prüfungen – alles in allem dauert es drei bis vier Jahre von Antragstellung bis Inbetriebnahme. Wenn nun durch 10H keine Anträge mehr vorliegen, dauert es mindestens drei bis vier Jahre, bis der Prozess wieder anläuft und wieder neue Windkraftanlagen ans Netz gehen. Die bayrische Staatsregierung muss jetzt endlich ein klares Ja sagen zur Windkraft. Leider wird aber weiter verzögert. Erst diese Woche wurde ein Gesetzentwurf für eine hochkomplizierte, neue Regelung der Bayerischen Bauordnung von der Staatsregierung eingebracht. CSU und Freie Wähler halten an 10H fest.

BSZ: Wie müsste die Staatsregierung agieren, damit Windkraftanlagen akzeptiert werden?
Stümpfig: Zwei Faktoren sind wichtig für die Akzeptanz – das zeigen alle Studien. Eine offene und umfassende Kommunikation. Und die Bürgerbeteiligung. Dort, wo sie gut umgesetzt ist, steigt die Akzeptanz. Die Staatsregierung hätte es übrigens in der Hand, bei den Staatsforsten mit gutem Beispiel voranzugehen. Hier sollen 100 Prozent Bürgerwindanlagen entstehen. Unsere neue Studie zeigt auch deutlich: die Mehrheit von 54 Prozent der Bayerinnen und Bayern ist für Abschaffung 10H – und fast 63 Prozent sind überzeugt, dass Bayern mehr Windräder braucht, um bis 2040 klimaneutral zu werden. In den Regionen, in denen mehr Windräder stehen, ist die Zustimmung größer. Das zeigt doch klar: Die Bevölkerung hat verstanden – wir brauchen die Windkraft. Die Zeiten sind günstig: Die Staatsregierung muss jetzt endlich alte Zöpfe abschneiden und erkennen, dass Windkraft den Standort Bayern massiv stützt, günstige Strompreise liefert und ein prima Klimaschützer ist.

BSZ: Wie viel Erdgas zur Stromerzeugung ließe sich einsparen, wenn es mehr Windkraftanlagen in Bayern gäbe?
Stümpfig: Eine moderne Windkraftanlage erzeugt rund zehn Millionen Kilowattstunden und kann somit über 3000 Haushalte versorgen. Unsere aktuelle Wuppertal-Studie hat errechnet, dass im Jahr 2030 nach einem Zubau von 120 Anlagen jedes Jahr, rund 19 Terawattstunden Gas pro Jahr eingespart werden könnten. Damit könnte der komplette Anteil der Gasverstromung in Bayern und der Atomstrom von Isar 2 ersetzt werden. Aber natürlich bräuchten wir die Gaskraftwerke weiter als Feuerwehr – wenn die Sonne nicht scheint, kein Wind weht, die Speicher leer sind, müssen sie einspringen. Ihre Flexibilität ist unschlagbar. Die Einsatzzeiten wären aber dann sehr gering – aber trotzdem sehr wichtig.

BSZ: Wird das neue Wind-Land-Gesetz von Robert Habeck auf jeden Fall auch in Bayern einen Aufschwung bei der Windkraft bringen?
Stümpfig: Ja, auf jeden Fall. Alle Bundesländer müssen Flächen ausweisen. Bayern 1,8 Prozent seiner Landesfläche. 10H wird im Sommer 2023 Geschichte sein. Die Geschwindigkeit des zukünftigen Ausbaus hängt aber sehr von den Ländern ab. Die regionalen Planungsverbände müssen jetzt von der Staatsregierung den klaren Auftrag bekommen, die am besten geeigneten Flächen zu finden. Wenn die Staatsregierung jetzt endlich den Windkraftausbau unterstützt, so können wir auch in Bayern von sauberem und günstigem Windstrom profitieren. Es wird höchste Zeit.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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