Wirtschaft

Die Referenten stehen beim zweiten Bayerischen-Tschechischen Unternehmertag in Röhrnbach (Landkreis Freyung-Grafenau) vor dem Tagungszentrum der Firma Haidl. (Foto: obx-news/Jens Henning-Billon)

27.04.2018

Kleine und mittlere Unternehmen profitieren

Bayerische und tschechische Unternehmer informieren sich über die Chancen der Digitalisierung

Das Ziel des zweiten Bayerisch-Tschechischen Unternehmertages beschreibt Bertram Vogel, der Geschäftsführer des Niederbayernforums so: „Für aktuelle Herausforderungen zu sensibilisieren, neue Firmen-Kooperationen im gemeinsamen Wirtschaftsraum zu initiieren und so die Zusammenarbeit in der Grenzregion zu intensivieren.“ Zu diesem Zweck trafen sich rund 200 Teilnehmer, darunter viele Unternehmerinnen und Unternehmer aus beiden Nachbarländern, im Haidl-Atrium in Röhrnbach (Kreis Freyung- Grafenau), um sich mit der fortschreitenden Digitalisierung auseinanderzusetzen. Damit konnten Vogel und Jaroslava Pongratz, die „Netzwerk-Managerin Bayern-Böhmen“ im Europahaus Freyung, sowohl den Ort als auch das Thema der Veranstaltung als vollen Erfolg verbuchen.

Der Senior weiß, wovon er spricht


Die meisten Teilnehmer hatten das Angebot der Firma Max Haidl – Fenster und Türen genutzt, in einer gut einstündigen Führung die Produktionshallen um das Atrium am Standort Röhrnbach zu besichtigen. Danach war allen klar, dass der 62-jährige Haidl Max senior weiß, wovon er bei Digitalisierung spricht. Er hat vor mehr als 50 Jahren als Ein-Mann-Handwerksbetrieb für Holzverarbeitung begonnen – wie viele im Bayerischen Wald. Inzwischen ist – auch dank seiner Frau und zwei Söhnen als Firmennachfolgern – daraus ein Vorzeige-Familien-Unternehmen der Region mit Standorten auch in Oberösterreich und Südtirol geworden.

Die Bayerwald-Firma gehört heute zu den erfolgreichsten Herstellern von Fenstern, Türen und Fertighäusern in HolzrahmenBauweise. Mit Haidls Erfahrung und dem handwerklichen Können von rund 230 gut ausgebildeten Mitarbeitern in ständiger Weiterentwicklung, modernen Maschinen und Anlagen in digitaler Vernetzung produziert die Firmengruppe heute im Jahr über 65.000 Kunststofffenster, über 20.000 Fenster aus Holz oder Holz-Alu, rund 5000 Haustüren und etwa 20 Häuser in Holzrahmen-Bauweise mit einem Umsatz von über 46 Millionen Euro.

Den stets unvermeidlichen Grußworten von Lokalpolitikern und Vertretern der Wirtschaftskammern war zu entnehmen, dass alle dafür sind: nämlich trotz Risiken die Chancen der Digitalisierung auch in kleinen und mittelständischen Firmen der ländlichen Räume zu nutzen. Die Wirtschaftskammern bieten dafür ja auch konkrete Kurse und Workshops an. Der Leiter des Technologie Campus Freyung, Professor Wolfgang Dorner von der Technischen Hochschule Deggendorf, führte die Zuhörer auf eine Reise nach Silicon Valley und erklärte zum einen, wie durch Digitalisierung ein technologischer Fortschritt entsteht. Zum anderen mache aber das gezielte Spiel mit Anreizen für die menschliche Neugier auch leicht süchtig und abhängig vom Smartphone.

Zwei Vertreter der tsche-chischen IT-Firma Dorean DG aus Prag berichteten anhand einiger Beispiele, wie sie seit 10 Jahren Industrie, Kommunen, aber auch Landwirtschaftsbetriebe bei der Nutzung von Internet und Digitalisierung beraten. Dabei zeige sich, dass das Spektrum der Möglichkeiten dabei viel breiter ist als nur Industrie 4.0.

Produktionsabläufe beschleunigen


Denn „maßgeschneiderte Datenaufbereitung“ lasse sich von der Beschleunigung von Produktionsabläufen über die Straßenbeleuchtung bis zur Steuerung von Parkplätzen und zum Fernablesen von Strom und Wasser anwenden. Ihr Vortrag machte allen zumindest eines deutlich: Tschechien agiert bei der praktischen Anwendung der Digitalisierung in seiner Wirtschaft mit Deutschland bereits voll auf Augenhöhe.

Das konkreteste Beispiel lieferte aber Gastgeber Max Haidl mit der schrittweisen Digitalisierung seiner Firma, die auch tschechische Mitarbeiter beschäftigt. Vor wenigen Tagen erst hatte seine Familie mit Zulieferern und Mitarbeitern das 25-jährige Bestehen dieses Haidl-Atriums gefeiert. Das ist ein unterteilbarer Saal für bis zu 450 zu bewirtende Festgäste und 800 Sitzplätzen bei Bestuhlung für Vorträge oder Konzerte. Neben seinen Produktionshallen hatte Haidl die Veranstaltungshalle errichtet: „Um ausschließlich in den Rohstoff Geist zu investieren: als Lehr- und Schulungsstätte, Ideenschmiede, zur Bildung von Netzwerken im regionalen Handwerk, sowie als zu mietender gemeinschaftsbildender Ort der Kommunikation und Lebensfreude in Röhrnbach und darüber hinaus.“

„Die erste große Digitalisierungswelle fand bei uns bereits ab 2004 statt,“ berichtete Haidl, „da haben wir die komplett papierlose Fertigung für Kunststoff-Fenster eingeführt. Das war für uns alle eine gewaltige Herausforderung.“ Die Mitarbeiter in der Logistik, Arbeitsvorbereitung und der Fertigung hätten sich dramatisch umstellen müssen. „Die größte Herausforderung dabei war das Umdenken in den Köpfen von analogen zu digitalen Abläufen; insgesamt haben wir zweieinhalb Jahre gebraucht, um diese Problematik in den Griff zu bekommen“, so Haidl. Trotz großer Anstrengungen gab es Reibungsverluste. „Aber Fehler konnten nun nicht mehr so leicht vertuscht werden“, berichtete der Firmenchef.

Nach dieser Lernphase, berichtete Haidl weiter, seien die Digitalisierung der Produktion von Holz-Alu-Fenstern auch in Rei-chersberg in relativ kurzer Zeit stabil und prozesssicher abgewickelt und die Systeme vernetzt worden. Danach wurden weitere große Schritte der Digitalisierung in Angriff genommen – einschließlich eines Webportals für Information von Kunden und Lieferanten. Den Prozess der Digitalisierung beschrieb Haidl als offenes Open-end-System ständigen Verbesserungen und Anpassungen an neue Herausforderungen.

Mit der praxisnahen Schilderung des digitalen Umstellungsprozesses seines Unternehmens machte Haidl den noch zögernden Kollegen unter den Zuhörern Mut. Er sprach nicht nur pauschal von „Chancen und Risiken“, sondern er benannte sie. Als Vorteile der Digitalisierung sieht er schnellere und sichere Arbeitsabläufe, detaillierte Information über Aufträge, Betriebskosten und Auslastung, schnelle Kenntnis betrieblicher oder finanztechnischer Kennzahlen, die einfachere Einarbeitung von neuen Mitarbeitern in der Produktion und Verringerung der Durchlaufzeiten von Produkten. Und: „Auch die Flexibilität der Mitarbeiter etwa durch Home Office ist größer geworden.“

Handwerkliches Wissen droht, verloren zu gehen


Aber neben der Aufzählung von Vorteilen nannte Haidl auch konkret einige Risiken aus seiner Erfahrung: „Es drohen handwerkliches Wissen und Können schrittweise verloren zu gehen, Mitdenken und Fähigkeiten, selbst Probleme zu lösen, werden schwieriger, die enorme Abhängigkeit von der IT muss für den Fall von Hackerangriffen durch mehrere Server minimalisiert werden, für Sicherheit und Wartung wie Backup und Firewalls, sowie für IT-Personal und externe Fachkräfte entste-hen hohe Kosten.“

Dennoch zog der Unternehmer Max Haidl ein positives Facit: „Viele Firmen nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung noch nicht. Die laufen Gefahr, in unserer schnelllebigen Zeit den Anschluss zu verpassen. Darum seid euch zwar der Risiken bewusst, aber nutzt die Chancen.“ Die meisten Teilnehmer nutzten im Anschluss an die Vorträge vor allem gute Chancen, bei einer niederbayerischen Brotzeit in Gesprächen untereinander und mit Vertretern der Politik, Kammern und Behörden ihre Interessen auszutauschen und über Grenzen hinweg Kontakte zu knüpfen.
(Hannes Burger)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.