Wirtschaft

Die Protagonist*innen des Bayern-Fit-for-Future (von links): Moderator Jürgen Marks vom bayerischen Wirtschaftsministerium, Karl-Heinz Gaubatz (Semikron Elektronik), Peter Wasserscheid vom Wasserstoffzentrum Bayern und Ministerialdirektorin Ulrike Wolf vom bayerischen Wirtschaftsministerium auf dem hybriden Podium. Wissenschaftler Wasserscheid meinte: „In der Dunkelflaute kann auch ein sehr ineffizienter Energieträger sinnvoll sein. Denn die volkswirtschaftlichen Folgen von ausfallendem Strom sind immens.“ (Bildschirmfoto: Wraneschitz)

15.07.2022

Klimaschutz und Industrieproduktion unter einem Hut

Ist Bayerns Wirtschaft bei der Energienutzung „Fit for Future“?

Fridays for Future, kurz FfF: Dieser Begriff ist durch die Schulstreikaktion der (damals 16-jährigen) schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg weltweit zum Synonym für den Kampf gegen Klimakollaps und Erderwärmung geworden. FfF wuchs zu einer global agierenden Klimarettungsbewegung. Im FfF-Gefolge sammelten sich Parents for Future, Scientists for Future, Omas for Future und viele andere „for Future“.

Nun ist auch Bayerns Staatsregierung auf den FfF-Zug aufgesprungen – mit Fit for Future. Wobei das keine Bewegung wie die genannte ist, sondern eine Veranstaltungsreihe. Konkret steht „Fit for Future“ nach Aussage des Wirtschafts- und Energieministeriums übrigens für „unsere Unterstützung für Bayerns Industrie“.

Die Rettung des Weltklimas ist also nicht das primäre Anliegen von Bayerns FfF. Trotzdem wurde vor Kurzem bei der vierten von sieben Veranstaltungen dieser Reihe – für jeden Regierungsbezirk eine – viel über das ursprüngliche FfF-Anliegen gesprochen: die Rettung der Welt durch die Reduktion klimaschädlicher Gase. Es solle weniger fossile Energie genutzt und die Energieversorgung auf erneuerbare Energie – konkret auf Strom – umgestellt werden.

Statt auf Kunststoff auf heimische, nachwachsende Rohstoffe setzen

In Vertretung ihres „verhinderten Ministers, der gerne dabei gewesen wäre“, machte Ministerialdirektorin Ulrike Wolf aus Hubert Aiwangers Wirtschaftsministerium den Aufschlag. Natürlich sei die Nürnberger Ausgabe „der Höhepunkt“ der FfF-Reihe. Denn in Mittelfranken gelte es, „drei Schlüsselbranchen und damit den Wohlstand zu erhalten und auszubauen: Leistungselektronik, Wasserstoff und Spielwaren“.

Der Spielwarenindustrie empfahl Ulrike Wolf durch die Blume, alte Zöpfe abzuschneiden und, statt in Ostasien mit Kunststoff produzieren zu lassen, lieber „auf die Erschließung heimischer, nachwachsender Rohstoffe“ für ihre Produkte zu setzen. Die ersten beiden Branchen aber hob sie ganz besonders heraus. Wolf gab sich überzeugt, durch diese Technologien würden die von der EU (minus 55 Prozent CO2-Ausstoß bis 2030) und der Bundesrepublik (minus 65 Prozent) gesetzten Klimaziele erreichbar.

Da trifft es sich gut – oder wurde Nürnberg gerade deshalb gewählt? – dass in der Noris die Semikron Elektronik GmbH & Co. KG ihren Firmensitz hat. Auch wenn den Namen außerhalb der Leistungselektronik-Szene kaum jemand kennt: Semikron ist nach eigenen Angaben der zweitgrößte (Silizium-)Waferproduzent der Welt. Und ihre Produkte sind unter anderem in unzähligen Wind- oder Solarprojekten verbaut.

„Semikron-Power-Module finden Sie in 30 Prozent aller Windkraftwerke weltweit, auch in China. Ohne Leistungselektronik geht es nicht“, machte Geschäftsführer Karl-Heinz Gaubatz die energiepolitische Bedeutung der Technologie deutlich – und die des eigenen Konzerns mit 24 Firmen in acht Ländern und 600 Millionen Euro erwartetem Umsatz in 2022.

Und der Bedarf an Leistungselektronik steigt weiter. Immerhin werde 2030 die Stromerzeugung aus Fossil-Energien weltweit abnehmen und durch immer mehr Strom aus regenerativ arbeitenden Kraftwerken ersetzt, prognostizierte Gaubatz. „Bei Halbleitern denken viele nur an dünne Schichten“ – solche für Computerchips beispielsweise. „Aber wir brauchen viel mehr Material“, um die großen Ströme aus der Energiegewinnung verarbeiten zu können. Eine Abhängigkeit von der Rohstofflieferung aus einzelnen Ländern gelte es unbedingt zu vermeiden – das Beispiel Gas aus Russland stand auch hier im Raum.

Bayerische Abhängigkeit von Norddeutschlands Seehäfen minimieren

„Überall müssen Wandler rein, ob in stationären Speichern oder für die Wasserstofftechnologie. Nicht zu vergessen Data Mining: Für jede Internetsuche brauche die IT elf Watt Leistung; solange, bis etwas gefunden sei. Die Stromversorgung von Rechenzentren sei ein wichtiges Einsatzfeld für Leistungselektronik mit immensem Strombedarf, sollte das heißen. Genauso wie Transportgeräte wie Gabelstapler oder Bagger, aber eben auch der komplette Verkehr künftig elektrisch angetrieben werden, wie der Firmenchef erwartet: „Heute schon sind in weltweit über 200 000 Trucks und Bussen Inverter von Semikron.“

Nach vielen weiteren Beispielen gab selbst Jürgen Marks, Pressestellenleiter des Wirtschaftsministeriums und Moderator der Veranstaltung, zu: „Die Herausforderungen für die Leistungselektronik sind erkennbar geworden.“ Womit der zweite Protagonist ins Spiel kam: Peter Wasserscheid, Erlanger Uni-Professor und Vorstand am (freistaatlichen) Zentrum Wasserstoff Bayern, kurz H2.B.

Dort ist auch die H2-Allianz Bayern angesiedelt: immerhin 220 Firmen, die mit dem Energiegas Umsatz machen wollen. Aber anders als Öl oder Erdgas ist Wasserstoff (H2) kein Energierohstoff, der irgendwo vergraben ist: Er soll künftig mit Strom aus regenerativen Quellen irgendwo auf der Welt erzeugt, hierher transportiert werden und unsere Industrie am Laufen halten. So jedenfalls der Plan von Bundes- und Staatsregierung.

Wasserscheid war zuletzt mit einer staatlichen Delegation in Australien und Kolumbien. Es seien Verträge geschlossen worden, um von dort ab 2030 H2 zum Preis von 1,50 Euro pro Kilo („reicht für 120 Kilometer Fahrt im Brennstoffzellenauto“) nach Deutschland zu liefern. Erzeugt mit Wind-, Solar- oder Wasserkraftstrom, also „grün“. Der Transport per Schiff und dann möglichst über bestehende Erdgaspipelines aus Italien, um die bayerische Abhängigkeit von Norddeutschlands Seehäfen zu minimieren, wie der Professor empfahl.

Doch auch wenn er selbst ein H2-Auto fährt: Den Wasserstoff sieht Wasserscheid offenbar vor allem als Erdgasersatz in kommunalen Gas- und Dampfkraftwerken, um künftig die Wärme für viele Wohnungen bereitzustellen und gleichzeitig Strom zu erzeugen. Und zwar immer dann, wenn bei Flaute oder Dunkelheit Sonnen- und/oder Windkraftwerke zu wenig davon liefern. „Deshalb können auch Verluste bei H2-Erzeugung und Transport hingenommen werden“, sprach Peter Wasserscheid ein immer wieder aufkommendes Thema an, das Kritiker gegen die H2-Technologien ins Feld führen.

Hierzulande erwartet er jedenfalls auch für die Zukunft nicht, dass mit Überkapazitäten der Ökostromerzeugung genug H2 produziert werden kann. „Wir waren und bleiben ein Energieimportland für lagerfähige Energien. Im Gegenzug verkaufen wir die Technologien zur H2-Produktion dorthin“, sang Peter Wasserscheid ein Loblied auf die Globalisierung.

Unterstützung bekam er dafür von Ministerialdirigentin Wolf. Sie erwartet „grundsätzlich“, dass die energiebedingte Transformation für die bayerische Industrie „eine Erfolgsgeschichte werden“ kann. Und dass der Solarstrom vom eigenen Hausdach zwar die Familie versorgen könne, „für große Industriestandorte geht das aber nicht“. Auch wenn Max Bögl genau dies an seinem Hauptwerk bei Neumarkt unter Beweis stellt.

Eine technische Idee kommerziell umzusetzen, dauert lange

Ob ihre Unkenntnis vielleicht daran liegt, dass die Politik nicht immer am aktuellen Stand der Technik ist? Dazu passte, dass ein Besucher kenntnisarm anmerkte: „Seit 20 Jahren ist bei H2 nicht viel vorangekommen.“ Dem widersprach Wasserscheid „ganz streng. Bis eine technische Idee kommerziell umgesetzt wird, das dauert einfach lange. Aber noch nie gab es in der Historie die Idee, dass uns Australien oder Kolumbien Hunderttausende Tonnen Grünen H2 verkaufen“, führte er als Gegenargument an.

Auf jeden Fall aber seien gut ausgebildete Ingenieure für die Leistungselektronik in Nürnberg Mangelware, stellte Semikron-Chef Glaubert ein Fehlen von Fachkräften fest. Gegensätze, die Moderator Marks so zusammenfasste: „Die Chancen und Herausforderungen sind heute klargeworden.“

Hoffentlich auch, dass es um „Fit for Future“ geht, also um nicht weniger als die Zukunft des Planeten.
(Heinz Wraneschitz)

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.