Wirtschaft

Für viele ältere Menschen reicht die Rente nicht. (Foto: dpa/Lena Voelk)

21.10.2022

Senioren haben Armut gelernt

Die ältere Generation hat in der Krise Probleme, aber auch Wählermacht und Wirtschaftskraft

Wenn i an oiden Menschen sieg, hab i de größte Freid,“ heißt es in einem schmeichlerischen Lied, das früher gern als „Erbschleicher-Jodler“ in Wunschkonzerten zu hohen Geburtstagen bestellt worden ist. Eine Strophe endet: „Von am oiden Mensch und am Gotteshaus – da geht ein Segen aus.“ Das Lied ist aus der Mode, aber der Segen ist geblieben. Zum einen wurde die ältere Generation dank ihrer Renten, Pensionen und Versicherungen längst als wichtiger Wirtschaftsfaktor zum Segen für einige Branchen wie Pharma-, Sanitäts- und Nahrungsmittelindustrie. Zum anderen haben auch Parteien alte Wähler als starke Gruppe entdeckt. Mit Senioren kann man gute Geschäfte machen und auch Wahlen gewinnen.

Wegen niedriger Geburtenraten und höherer Lebenserwartung sind ältere Menschen heute die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. In Bayern, so prognostiziert das Landesamt für Statistik, wird zwischen den Jahren 2020 und 2040 die Gruppe der Menschen über 65 Jahre von circa 2,7 auf rund 3,5 Millionen ansteigen. Die waren in der Corona-Pandemie auch schon die am härtesten betroffene Gruppe und stark auf die Rücksicht der Jüngeren angewiesen. Seit von Russlands Krieg gegen die Ukraine auch der deutschen Bevölkerung zunehmend Sparmaßnahmen und Einschränkungen wie in eigenen „Kriegszeiten“ drohen, sind es damit bis weit in die Nachkriegsjahre erfahrene Senioren, die trotz vieler Sorgen Ruhe bewahren nach dem Motto: „Des hamma ois scho ghabt!“

„Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not!“

Bis weit in die 1960er-Jahre ist es vielen Arbeitnehmern noch finanziell schwergefallen, mit ihren Löhnen und Renten ohne Hunger und Kälte über einen harten Winter zu kommen. Diese Generationen haben noch sparsames Wirtschaften gelernt – nach dem Spottvers: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not!“ Heute wissen weite Teile der Wirtschaft – von Industrie, Dienstleistungen und Handel bis zur Branche der Trickbetrüger –, wie viel Kaufkraft bei sparsamen Alten bereitliegt. Auch zweibeinige „Oldtimer“ brauchen ja zum Leben „Treibstoff“, öfter „Reparaturen und viele „Ersatzteile“.

Das Alter beginnt bei jedem Menschen anders, aber älter werden wir alle und früher oder später sind Ersatzteile fällig: Fern- und Lesebrille, Handy mit großen Tasten, Hör- oder Atemgerät, Ersatzzähne, Insulinspritzen, Tabletten und Tropfen, vielleicht auch Herzschrittmacher; es folgen neue Hüft- oder Kniegelenke, Gehstock, Rollator oder Rollstuhl, Windeleinlagen, Gummistrümpfe, Krücken, orthopädische Schuhe, Pflegebetten und mehr – Waschlappen statt Duschen gar nicht mitgerechnet! Das alles hält nicht nur Patient*innen länger am Leben und lässt sie mehr und mobiler an der Gesellschaft teilhaben. Es macht auch Hersteller und Händler finanziell „gesund“.

Hinzu kommt natürlich noch die teure Ausstattung für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, die zur höheren Lebenserwartung der Menschen beitragen. Aber kaum jemand könnte diese Kosten selbst aufbringen, wenn nicht alle schon ihr gesamtes Arbeitsleben lang dafür Beiträge in Sozialversicherungen und Steuertöpfe eingezahlt hätten und die Jungen solidarisch weiter einzahlen würden. Die Probleme im System werden freilich umso größer, je mehr Leute älter werden und je weniger Junge hohe Beiträge zahlen müssen, ohne zu wissen, wie ihr Alter versorgt ist.

Politiker*innen und Parteien haben – von vielen Fachleuten gewarnt – längst auf allen Ebenen erkannt, dass das ganze System reformiert und auf neue Beine gestellt werden muss. Aber da es schwierig ist und vorhersehbar allen etwas kosten wird, schieben es alle Parteien weiter vor sich her – in der irrigen Hoffnung, dass man es in besseren Zeiten anpacken kann. Die Politik hat jedoch offenbar quer durch die Parteien schon Probleme damit, wie man überhaupt mit dem starken Wählerpotenzial alter Leute von 65 bis 100 Jahren umgehen soll. Das beginnt mit der deutschen Sprache, in der eine „ältere Frau“ jünger ist als eine alte und junge Männer reden ältere Herren flott mit „He Alter, mach Platz!“ an.

Ältere Menschen altersgerecht versorgen

Politik und Wirtschaft behelfen sich heute mit Latein: aus „De oiden Leit“ und „die alten Mitbürger“ wurden „Senioren“. Gerade noch im 20. Jahrhundert hat 1999 Sozialminister Gebhard Glück die Senioren-Union der CSU gegründet. Die SEN ist von Konrad Weckerle und Ex-Staatsminister Thomas Goppel (17 Jahre im Kabinett!) weitergeführt worden: viel gelobt von der Partei, aber wenig beachtet. Wie alte Ex-Politiker, die noch ihren gleichalten Wählerstamm wie eine Schleppe mitziehen, bei der CSU schnell tief in der Versenkung landen, zeigt die „Gebhard-Glück-Medaille“ in Gold an Goppel: verliehen auf der Landesversammlung am 15. und Pressemeldung darüber am 29. September – und ganz ohne Parteispitze!

Die Landesversammlung 2021 der SEN hat Franz Meyer, Alt-Landrat von Passau, mit großer Mehrheit zum neuen Vorsitzenden gewählt. Im September 2022 ist „der Franz“ jetzt – als umtriebiger und populärer Finanzstaatssekretär a. D. noch bekannt und vernetzt – von den Delegierten der SEN in diesem Ehrenamt bestätigt worden. Als SEN-Chef sprüht Meyer vor Tatendrang und Aktivität. Große Hoffnungen setzt er vor allem in die künftig gesetzlich institutionalisierten Mitwirkungsrechte für Senioren. Noch unter Goppel hat die SEN der CSU gemeinsam mit den Freien Wählern den Entwurf für ein „Senioren-Mitwirkungsgesetz“ ausgearbeitet. Der geht jetzt zur Anhörung herum und steht auch im Landtag zur Debatte.

Dieses Gesetz soll nicht nur auf Landesebene für den Ausbau der Strukturen altersgerechter Versorgung älterer Menschen sorgen, sondern auch für deren politische Teilhabe und institutionalisierte Einbeziehung in die Politik auf allen Ebenen. Meyer: „Das heißt auch für Kommunen, bei allen Planungen von Wohnungsbau bis zu Geh- und Radwegen Interessen älterer Menschen von Anfang an mit einzubeziehen. Weil alle ja irgendwann älter werden!“

Dieser Entwurf sieht allerdings nur vor: Gemeinden und Landkreise sollen „angehalten werden“, ehrenamtliche Seniorenvertretungen einzurichten oder die bereits bestehenden offiziell zu übernehmen. Diese sollen „angehalten werden, innerhalb eines Landkreises „zusammenzuwirken“. Zudem können sie aus ihrer Mitte eine bestimmte Zahl von Vertreter*innen benennen, die den „Landesseniorenrat“ bilden; der soll eine Landesversammlung und einen Vorstand als Organe haben. Seniorenräte auf kommunaler wie Landesebene können die Interessen der älteren Mitbürger*innen als beratende Institution mit Anträgen und Empfehlungen vertreten, haben aber keine eigenen Entscheidungsrechte.

Die Senioren-Union der CSU ist nur eine von acht Arbeitsgemeinschaften der Partei mit dem Wahlspruch: „Erfahrung gestaltet Zukunft. Wir lassen nicht locker“. Das wird auch notwendig sein, denn sie will sich dann – wie die Seniorinnen und Senioren anderer Parteien auch – in diesen Gremien aktiv einbringen. Wenn sie nicht als Institution von den Medien ernster genommen und unterstützt werden, wird es aber den „Seniorenräten“ nicht viel anders ergehen als der CSU-SEN: Auch die kann nur durch öffentlichen Druck über Medien wirken und hoffen, dass ihr aus Parlament, Verwaltung und Regierung irgendjemand zuhört und dann auch reagiert.

„Die Alten zu vergessen!“ war nach den ersten zwei Entlastungspaketen der Ampel-Regierung natürlich Wasser auf die Mühlen der Opposition. Die SEN stimmte da quasi als „Alt-Stimme“ in den Klagechor der Union über die Mängel der Bundesregierung ein. SEN-Chef Meyer kritisiert auch „den Unfug, die Pendlerpauschale erst über 20 Kilometer hinaus anzurechnen, weil das jede soziale und kulturelle Teilhabe im ländlichen Raum ausschließt.“ Aber sie greift auch Themen im Land auf wie aktuell den massiven Fachpersonalnotstand in Alten- und Pflegeheimen.

Die Interessen gehen stark auseinander

Egal ob parteiintern oder gesetzlich: Jede Seniorenvertretung ist nur so wirksam wie die Wähler*innen der älteren Generationen hinter ihnen stehen und ihre Ansprüche von den Jüngeren finanziert werden können. Da gehen aber die Interessen stark auseinander. Ein Teil der Senioren lebt sorglos mit guten Renten oder Pensionen, ein anderer schlägt sich dank Sparsamkeit, Rücklagen und geringen Ansprüchen gerade noch durch. Aber ein großer Teil ist aktuell von Armut, Hunger, Kälte, ja sogar Obdachlosigkeit bedroht, wenn die Bundesregierung nicht mehr gezielte Entlastungen, Mieterschutz und Kostendeckel bald umsetzt.

Viele der über 65 Jahre alten Menschen sind behindert oder eingeschränkt, andere sind im Alter von 70 und mehr Jahren oft noch im Beruf oder Ehrenämtern so mobil und aktiv wie zuvor. Folglich sind „die Alten“ nicht alle gleich arm, gleich krank und hilfsbedürftig. Diese Erkenntnis würde beim Renteneintrittsalter, bei Neben- oder Zuverdiensten wie bei der Steuer mehr Differenzierungen erfordern. Das heißt salopp gesagt: zu unterscheiden zwischen Baggerfahrer und Bleistiftspitzer, Beton- und Cocktailmixer, Putzfrau und Putzmacherin. Differenzierung überhaupt und erst recht unter nicht beruflich organisierten alten Menschen fällt jedoch Gesetzgebern wie Verwaltungen nach wie vor sehr schwer.

Noch schwerer zu begreifen ist es offenbar für Großstadtpolitiker und -parteien, dass es gerade bei älteren Menschen einen Riesenunterschied macht, ob man in verkehrstechnisch privilegierten Ballungsräumen lebt oder abgehängt von Verkehrsverbindungen in schöner Landschaft am Dorf. Großstadtpolitiker können es offenbar nicht verstehen, dass man im ländlichen Raum überhaupt ohne Auto und erst recht mit altersmäßig eingeschränkter Mobilität leben kann. Erst recht wollen sie nicht wissen, wie die Alternative aussähe: dann müssten alle Menschen in Großstädte und die Alten in betreute Sozialwohnblöcke und Seniorenresidenzen umziehen. Deshalb hat der SEN-Chef Franz Meyer heftig protestiert gegen die Entlastungspakete der Ampel, weil der älteren Generation im ländlichen Raum ohne guten Anschluss an ÖPNV und Fernverkehr mit einem 9-Euro-Ticket nicht geholfen ist und den Rentner*innen wenig mit Entlastung bei der Einkommensteuer. Meyer: „Es ist unerträglich, wie die Ampelkoalition mit der älteren Generation umgeht. Immer mehr Experten warnen auch bereits davor, dass im Winter ältere Menschen hungernd in dunklen und kalten Wohnungen sitzen werden.“ Der SEN-Chef hat auch am Umgang seiner Partei mit Senioren einiges auszusetzen, aber das will er halt lieber intern vorbringen.

Wenn die Seniorenräte auf allen politischen Ebenen erst einmal gesetzlich zur Mitwirkung installiert sind, erhofft sich Mayer für deren Anliegen auch mehr Druck und finanzielle Unterstützung der Wirtschaft; zumindest aus Branchen, die überwiegend von Bedarf oder Vorsorgeeinrichtungen alter Men-schen leben. Jeder Euro nämlich, der sparsamen Omas und Opas über ihren eigenen Unterhalt und die Zuzahlungen für ihre Gesundheit noch bleibt, fließt in die Unterstützung ihrer Kinder und Enkel; diese wiederum müssen das Geld meist gleich für täglichen Konsum ausgeben. Meyer: „Renten und Sparguthaben fließen so schnell in den Wirtschaftskreislauf zurück.“

Darunter leiden, vom Leben abgehängt zu sein

Es geht alten Menschen aber nicht immer nur um Geld, Ernährung, Wohnung und Gesund-heitsversorgung. Es ist ihnen vielmehr meist mehr an genereller Wertschätzung, Anerkennung ihrer Lebensleistung und an kleinen Erleichterungen im Alltag gelegen, was jüngeren Leuten meist nicht auffällt. Das betrifft Sitzbänke zum Rasten am Marktplatz oder Wegrand, Infoblätter mit lesbarem Schriftgrad oder Ehrungen „mit Stehempfang“, was alte Leute ausschließt, die das nicht durchstehen können. Es geht weiter mit dem Wunsch nach mehr Anleitung und Hilfen beim Umgang mit Handys, Rufbus-Apps, Automaten, Computern und Online-Formularen – das meiste ohnedies auf Englisch.

Darunter, vom Leben abgehängt zu sein – geografisch wie technologisch – leiden „die Alten“ aber in Bayern so wie im Bund. Dies und vieles mehr wäre ein weites Feld für Jungpolitiker*innen, sich laut Parteisatzungen für das Gemeinwohl nützlich zu machen. Zudem könnten sie dabei frühzeitig dankbare Wähler für künftige Mandate werben. SEN-Chef Meyer sagt: „Mit Senioren gewinnt man Wahlen!“
(Hannes Burger)

 

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