Wirtschaft

Manfred Weber im Europaparlament. (Foto: dpa/Philipp von Ditfurth)

22.07.2022

Sorgen um Krieg, Inflation, Lebensmittel und Energie

Der niederbayerische Europapolitiker Manfred Weber (CSU) stellt sich den Fragen der Menschen

Die Sorgen und Fragen der Menschen sind überall gleich. Wie hart wird Putins Krieg gegen die Ukraine unsere eigene Wirtschaft treffen? Können wir verhindern, zur Kriegspartei zu werden? Verliert die Ukraine den Krieg, weil Deutschland zu lange zu wenig Waffen geliefert hat? Bedeuten die Folgen von Klimawandel, Krieg, Corona und Energiemangel mehr Entbehrungen und das Ende unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft? Müssen die Schäden des Krieges allein mit Staatsverschuldung getragen werden, während einige Branchen sich als „Kriegsgewinnler“ bereichern? Sind unsere modernen Industriebetriebe vom Mangel an Energie und Rohstoffen gefährdet?

Solche Fragen an die Politik treiben auch in Niederbayern die Menschen um. Aber mit wem können sie darüber reden? Die CSU hat im Bundestag keine namhaften Wirtschafts- und Außenpolitiker*innen mehr, die Antworten geben. Landesminister haben sich in Corona-Zeiten seit gut zwei Jahren sowieso kaum noch für öffentliche Veranstaltungen im ländlichen Raum blicken lassen. Der Europapolitiker Manfred Weber dagegen hat sich außer in Fernsehinterviews und Talkshows in diesem Sommer auch schon vier mal dem Gespräch mit Bürger*innen in Dörfern seiner niederbayerischen Heimat gestellt.

Osteuropa-Strategie wegen Corona eingeschlafen

Eine Woche zuvor war Weber schon in Ellermühle (Landkreis Landshut) und Massing (Landkreis Rottal-Inn); an diesem Abend besucht er zwei Bayerwald-Dörfer: erst Sonnen (Landkreis Passau), dann Hohenau (Landkreis Freyung-Grafenau). Schöne kleine Orte, doch der Gesprächsbedarf im Umkreis ist groß – gerade an Ostbayerns Grenzen im Dreiländereck mit Österreich und Tschechien. Manfred Weber ist Vorsitzender der Europäischen Volkspartei und der EVP-Fraktion im Europaparlament sowie Vizeparteichef der CSU. Den CSU-Vorsitzenden Markus Söder interessiert Außenpolitik über gelegentliche Kontakte als Ministerpräsident hinaus nicht viel.

Die von Horst Seehofer zuvor intensiv gepflegte Osteuropa-Strategie Bayerns samt besseren Beziehungen zu den Nachbarn in Tschechien ist in der Coronapandemie weitgehend eingeschlafen. Söder fädelt die engere Zusammenarbeit mit Prag gerade wieder ein. Aber im Bundestag hat die CSU nach dem Verlust ihrer Minister und Staatssekretäre keine namhaften Außen- und Wirtschaftspolitiker*innen mehr. Daher ist Weber der einzige Spitzenpolitiker der CSU, der dank vieler internationaler Kontakte auch Einfluss auf Außen- und Außenwirtschaftspolitik hat.

Das Gesprächsformat „Europa-Stammtisch“ ist kein übliches „Zammahocka“ im kleinen vertrauten Kreis, sondern meint politische Veranstaltungen für Webers offene Gespräche mit den Menschen. In Hohenau am Rande des Nationalparks – um ein Beispiel herauszugreifen – haben im großen Festsaal des Landhotels Schreiner rund 100 Gäste auf Weber gewartet: überwiegend Männer im gestandenen Alter, einige Kommunalpolitiker darunter, aber wenige Frauen und noch weniger junge Leute. Hier dominieren außer Sorgen wegen des Ukraine-Krieges auch Fragen nach der Zukunft unserer Wirtschaft und des im Grenzgebiet erst spät hart erarbeiteten Wohlstands.

Ringen für Demokratie und Souveränität

Der EVP-Chef gibt auf immer gleiche Fragen auch überall die gleichen Antworten. Was sonst? In seinen einleitenden Worten zum Ukraine-Krieg und den viel kritisierten zögerlichen Waffenlieferungen Deutschlands weist er darauf hin: „Unser Nachbarland, die Tschechische Republik, hat seit 1. Juli die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Europa braucht jetzt eine starke und mutige Führung! Tschechien ist bestens geeignet, um Europa anzuführen, wenn es darum geht, die Ukraine im Ringen für Demokratie und Souveränität zu unterstützen.“

Die überall schwelenden Sorgen spricht er gleich an: „Auch wenn wir nicht direkt Kriegspartei sind, müssen wir an der Seite der Ukraine stehen, um dort unsere europäische Art und Lebensweise zu verteidigen, die Putin hasst und zerstören will. Die Sanktionen müssen bleiben, bis der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen hat! Wenn Putin dort nicht gestoppt wird und mit seiner Methode Erfolg hat, wird er nicht in der Ukraine haltmachen, sondern die imperialistische Machtpolitik fortsetzen. Es geht daher auch um unsere Freiheit und Demokratie, unsere Zukunft und die Europas!“

Der Forderung des deutschen SPD-Vorsitzenden Klingbeil nach deutscher Führungsrolle stimmt Weber zu, sagt aber: „Was ich derzeit europaweit höre, ist die Frage: Wo ist der deutsche Kanzler? Auch Präsident Macron hat ja bei den letzten Wahlen viel Macht in Frankreich verloren und kann keine Führungsrolle in Europa mehr übernehmen. Es macht mir Sorge, dass in Paris die einzige Nuklearmacht Europas und in Berlin die stärkste Wirtschaftsmacht Europas schwach geführt werden. Wir sollten daher wegkommen von der Frage, wer in Europa Nummer eins oder Nummer zwei ist.“ Weber plädiert für eine gemeinsame Führung von Frankreich und Deutschland, muss aber zugeben, dass das außer im Krieg viele Staaten bei anderen Themen nicht wollen.

Auf Indien, Brasilien und Indonesien fokussieren

Weber sieht in den aktuellen vielfältigen Krisen aber auch Chancen: „Das sind historische Phasen, in denen wir jetzt leben. Da müssen wir endlich lernen, wirklich Europäer zu werden! Beim G7-Gipfel in Elmau haben wir doch erlebt, wie schwach wir Europäer sind, weil wir Indien, Brasilien und Indonesien brauchen und als neue Partner gewinnen müssen, um in der Welt überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Europa stellt nur noch 7 Prozent der Weltbevölkerung! Da streiten wir darüber, wer der Wichtigste ist, statt zusammenzuhalten, damit wir mehr Gewicht auf die Waagschale bringen. Großbritannien mit seinen 60 Millionen Einwohnern spielt doch keine Rolle mehr in der Welt! Aber die Briten glauben das.“ Dem EVP-Chef persönlich wird von einem der vielen Kommunalpolitiker unter dem Beifall der Gäste großer Respekt bezeugt für sein demütiges und kooperatives Verhalten: Obwohl er die Europawahl als Spitzenkandidat der EVP gewonnen hatte, hätten ihn Kanzlerin Merkel und Präsident Macron mit Ursula von der Leyen „ausgetrickst“ und betrogen: „Da wählen die Menschen einen Spitzenkandidaten und Kommissionspräsidentin wird jemand anderes. So macht es ja keinen Sinn, wieder zu einer Europawahl hinzugehen. Wegen der im Vertrag gebotenen Einstimmigkeit ist die EU doch sowieso handlungsunfähig.“

Weber räumt zwar seine Enttäuschung und „einen großen Schaden für die Demokratie in Europa“ ein, widerspricht aber der Schlussfolgerung: „Wir haben zwar als EVP keine absolute Mehrheit im Europaparlament, aber unsere Fraktion hat viel erreicht und ihre Anträge weitgehend durchgesetzt.“ Er erinnert an die Bankenunion, Eurobonds und eine stabile gemeinsame Währung in Europa, ferner: „Wir haben Gesetze zum Klimaschutz beschlossen, wie kein anderer Kontinent sie hat, und einen Standard für Datenschutz festgelegt, wie ihn die Welt sonst nicht kennt. Da haben wir viele unserer Vorstellungen gegen Linke und Grüne durchgesetzt – auch mit Rücksicht auf die Wirtschaft in Deutschland.“

Nur noch nationale Wirtschaftsinteressen

Weil die Europaabgeordneten keine Regierungs- und Oppositionsfraktionen haben und auch keinen Fraktionszwang, sondern ein freies Mandat, werde auch der Einfluss der EVP auf die Europapolitik nicht so genau wahrgenommen. Aber dem Vorwurf, es gebe keine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik nach europäischen Werten, sondern nur nach nationalen Wirtschaftsinteressen, muss er zustimmen. Schließlich hat Weber dafür schon über ein Jahrzehnt vergeblich gekämpft – auch für eine rein europäische Armee neben der Nato, nur unter europäischem Kommando, also notfalls auch ohne die USA und Kanada zur Verteidigung Europas fähig.

Dennoch gibt sich Weber optimistisch, weil der Konvent, der jetzt einberufen werden soll, den Lissabon-Vertrag mit einfacher Mehrheit ändern und den Zwang zur Einstimmigkeit im Rat abschaffen kann. „Wir müssen dann nicht mehr auf den Langsamsten warten. So haben wir auch den Schengen-Vertrag zur Abschaffung der Grenzkontrollen zuerst durch einige Willige mit einfacher Mehrheit beschlossen. Auch der Euro ist nicht gleich von allen eingeführt worden!“ So könne es mit einer Verteidigungsunion auch gehen, meint Weber: „Staaten, die es wollen, gehen voran, und die es nicht wollen, können nichts blockieren. Wenn Deutschland, Italien, Frankreich und Polen anfangen, machen auch die anderen mit, denn keiner will allein in der Welt dastehen.“
Nur ohne Zwang zur Einstimmigkeit könne Europa stärker werden, sagt Weber: „Eine europäische Armee könnte für eigene Cyber-Sicherheit und ein eigenes Raketenabwehrsystem sorgen. Wo kaufen wir unsere Kampfjets und warum haben wir nicht selbst die besten in Europa? Die USA machen derzeit das Geschäft des Jahrhunderts! Aber warum sollen amerikanische Steuerzahler für die Verteidigung Europas zahlen, wenn die Europäer selbst nichts tun?“

Dann wechseln die Bürger das Thema von Krieg und Verteidigung zur Wirtschaft. Wie geht es weiter in Europa?, wollen sie angesichts der hohen Inflation wissen. Was ist mit Energieversorgung und Lebensmittelknappheit in aller Welt bei gleichzeitiger Gängelung der Landwirtschaft mit Düngemittelverboten und Flächenstilllegungen sowie Kampf gegen Tierhaltung für Milch- und Fleischproduktion? Da kann EVP-Chef Weber auf die richtigen Weichenstellungen der Europäischen Union hinweisen, die von der Bundesregierung blockiert werden: „Dass man stillgelegte Flächen weiter nutzen darf, um mehr Nahrungsmittel zu produzieren, haben wir in der EU durchgesetzt. Alle machen es, nur Deutschland nicht!“

Nur kein Gas aus der Nordsee nutzen

Weber spart in seinen Antworten nicht mit Kritik an den AmpelParteien und Widersprüchen der Bundesregierung: „Die aktiviert uralte Kohlekraftwerke als CO2-Schleudern, aber klimaschonende und sichere Atommeiler dürfen nicht weiterlaufen! Wir brauchen in Europa mehrere neue Handelsverträge, aber die Grünen blockieren den mit den USA und Kanada noch immer! Die ganze Welt soll uns jetzt mit Gas versorgen, auch mit Frackinggas, aber Gasfelder an der Nordsee und eigenes Frackinggas werden aus reiner Ideologie nicht genutzt!“

Aber trotz aller Übereinstimmung mit den Sorgen der Menschen, vergisst Manfred Weber nicht, auch langfristige europäische Perspektiven im Auge zu behalten: „Bei allen notwendigen Maßnahmen gegen Russland muss ihre Wirkung gut durchdacht werden. Wichtig ist: Es sind nicht die Russinnen und Russen, die Leid über die Ukraine bringen, sondern die Clique um Putin. Und die Ukrainer wollen jetzt wissen: Lohnt sich unser Kampf? Gibt es eine europäische Perspektive für uns? Unsere Antwort kann nur lauten: Ja, wir werden die Ukraine weiter an die EU heranführen. Dafür muss die EU ihr eine maßgeschneiderte Werte- und Wirtschaftsunion anbieten – als Erstes etwa eine zielgerichtete Zollunion. Die Ukraine könnte so wirtschaftlich einen ähnlichen Status erhalten wie die Schweiz oder Norwegen. Denn die Ukraine hat es verdient, EU-Mitglied zu wer-den.“
(Hannes Burger)

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