Wirtschaft

Mit den neuen Seilen kann auch die Strombelastbarkeit gesteigert werden. (Foto: Wraneschitz)

12.08.2022

Vier Seile sind besser als zwei

Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet ertüchtigt seine Höchstspannungstrassen

Es ist sehr heiß hier unten am Boden. Wahrscheinlich kühlt den Männern (Frauen sind nicht zu sehen) in etwa 50 Metern Höhe der Wind etwas die Stirn. Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet aus Bayreuth hat die Presse zum Baustellenbesuch geladen. Das Treffen findet unter der 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung statt, die von der Nord-Süd-Trasse Würgau-Raitersaich zum Umspannwerk Erlangen-Kriegenbrunn abzweigt. 32 Tennet-Mitarbeitende sind hier seit Wochen dabei, die alten Zwei-Leiter-Bündel der sogenannten „Kuppelleitung“ durch Leiter mit vier Einzelseilen zu ersetzen.

Dass dieser Seiltausch an den bestehenden Masten der Höchstspannungstrasse passiert, erklärt Georg Praehauser so: „Diese Leitung hat das entsprechende Potenzial“, also die Tragfähigkeit für die schwereren Seile. Praehauser ist seit Jahresbeginn Director Large Scale Projects AC Germany bei Tennet und somit Verantwortlicher für alle großen Drehstromleitungsprojekte des Übertragungsnetzbetreibers Tennet.

Das Seil darf nicht über 80 Grad heiß werden

Nicht nur die Vierseiltechnik steigert hier die Strombelastbarkeit, sondern auch das neue Freileitungsmonitoring. „Die Temperatur im Seil wird errechnet aus Wind, Lufttemperatur, Strom. Über 80 Grad warm darf das Seil aber nicht werden“, erläutert Tennet-Sprecher Markus Lieberknecht: Sonst würden die Abstände der Leitungen untereinander und zum Boden zu gering; es könnte zu Überschlägen kommen.

Direktor Praehauser weist zudem auf einen Umweltaspekt dieses Umbaus hin: „Die neuen Leitungsseile sind beschichtet und deshalb leiser als die alten.“

Zu dem Treff unter der 380-Kilovolt-Baustelle hatte Tennet nach eigenem Bekunden auch politische Entscheidungsträger eingeladen. Von denen ließ sich aber niemand blicken. War es denen zu heiß? Oder hatten sie Angst vor kritischen Fragen?

Denn nicht überall laufen die Leitungsprojekte so ruhig und ohne Kritiker ab wie bei der Kuppelleitung nach Kriegenbrunn. Zum Beispiel am südlichen Ende jener Trasse, von der die besuchte abzweigt: In Raitersaich, einem Ortsteil der Gemeinde Roßtal in Mittelfranken. Vom dortigen Umspannwerk aus nach Südosten will Tennet die sogenannte „Juraleitung“ von 220 kV auf 380 kV hochrüsten und als Ersatzneubau komplett neu trassieren. Das zugehörige Raumordnungsverfahren (ROV) durch vier bayerische Regierungsbezirke wurde kürzlich abgeschlossen.

Trassengegner haben Juraleitung im Fokus

Die Juraleitung entstand Ende der 1940er-Jahre, ist also in die Jahre gekommen. Und in der Zeit näherten sich die Baugebiete der Gemeinden immer mehr der Leitungstrasse an. Wer hier gebaut hat, ist also auch selbst schuld, sollte die von der Leitung ausgehende Strahlung Schäden verursachen. Doch nun soll der Ersatzneubau kommen – mit größeren Masten und höherer Spannung. Laut Praehauser „ist das Aufrüsten dort nicht möglich“ wie bei der Leitung bei Erlangen, unter der er gerade steht. Doch durch den geplanten Quasi-Neubau der Juraleitung mit veränderter Trasse würden andere Ortschaften und Menschen betroffen sein als durch die alte.

Seit Jahren kämpfen deshalb Bürgerinitiativen (BI) entweder gegen die Neutrassierung – oder sie stellen gar die Notwendigkeit der Aufrüstung infrage. Viele dieser BIs haben sich im „Aktionsbündnis Trassengegner“ zusammengeschlossen. Das Bündnis agiert nach dem Motto: „Trassen verhindern, nicht verschieben: Kein Sankt-Florians-Prinzip!“ Diese BIs wehren sich gegen die komplett neuen Nord-Süd-Gleichstromautobahnen Süd-Ost- und Südlink genauso wie gegen den Ersatzneubau der Juraleitung. Doch alle drei Trassen stehen im vom Bundestag beschlossenen Bundesbedarfsplan für den Stromnetzausbau, sind daher gesetzlich grundsätzlich vorgesehen.

"Wir bauen umweltverträglich und menschenverträglich"

Alle drei Leitungsbauten stehen ganz oder teilweise unter der Verantwortung von Tennet. Direktor Praehauser ist überzeugt: „Wir bauen umweltverträglich und menschenverträglich. Wir wollen mit den Trassen am wenigsten Schaden machen.“ Aber er sagt auch: „Je mehr der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen erleichtert, umso einfach geht das Planen und Bauen.“ Zuletzt mit dem NABEG, dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz, ist der Bund diesem Wunsch Tennet und den anderen Übertragungsnetzbetreibern stark entgegengekommen.

Momentan, so scheint es, konzentrieren sich die Trassengegner auf die Juraleitung, und zwar ganz konkret auf den Abschnitt zwischen den Umspannwerken Roßtal-Raitersaich und Altdorf-Ludersheim. Dafür ist zwar – wie geschrieben – das ROV für die Trasse abgeschlossen. Wo das neue Umspannwerk Raitersaich hinkommt, ist laut Markus Lieberknecht bereits klar: „Hier steht die Fläche für den Ersatzbau.“ Offen aber ist, wo der Abschnitt im Südosten enden soll. In Altdorf und Schwabach scheint kein Flächenerwerb möglich. „Die Alternativen: die Fläche 1B nördlich Winkelhaid oder die Fläche 3 zwischen Winkelhaid und Alfeld“, erklärt der Tennet-Mann gegenüber unserer Redaktion.

Damit bestätigt er die Vermutung von Dörte Hamann vom Aktionsbündnis Trassengegner. Doch wie geht das mit dem von den Bezirksregierungen genehmigten Trassenkorridor zusammen? „Was im ROV steht, muss nicht gleich der Planfeststellung sein“, antwortet Markus Lieberknecht. Damit verweist er bereits auf den nächsten Schritt hin zum geplanten Ersatzneubau der Juraleitung.

Und wie erfahren Betroffene davon, wie es weitergeht? „Unsere digitale Kommunikation und Beteiligung setzen Maßstäbe: Das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Preise, die wir dafür in den vergangenen Jahren gewonnen haben – unter anderem den Deutschen Preis für Online-Kommunikation, den Digital Communication Award und den weltweit anerkannten Gold Sabre Award“, heißt es von Tennet-Seite. Ob der Übertragungsnetzbetreiber damit seinen „Digitalen Infomarkt“ zur Juraleitung meint? Den empfinden nicht nur die meisten BIs eher undurchsichtig.

Zersplitterung der Kommunikation

Für Dörte Hamann können Online-Meetings jedoch nicht das persönliche Aufeinandertreffen ersetzen. Und sie nennt es „Kommunikationszersplitterung“, wenn Tennet in fünf Orten, oft in einigem Abstand zur geplanten Trasse, Informationsveranstaltungen durchführt und einzelne BIs mit maximal drei Teilnehmenden zu nicht öffentlichen Treffen einlädt. „Wir wünschen uns dagegen den Austausch untereinander, einen Runden Tisch, die Info für alle zur gleichen Zeit“, erklärt die BI-Sprecherin.

Es bleiben daher erhebliche Zweifel, ob sich Georg Praehausers Wunsch demnächst erfüllen wird: „Wir brauchen eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten.“ Denn wie zu hören ist, wollen nur wenige Bauern ihr Land – ob in Ludersheim oder sonst wo rund um Altdorf und Schwabach – verkaufen oder tauschen, damit ein neues Umspannwerk entstehen kann. Es gibt gar Kommunen, die sich juristischen Rat einholen, um gegen die Ersatzneubaupläne vorzugehen.

Dabei bestätigt der Tennet-Direktor Praehauser im Pressegespräch: „Wir bekommen jetzt immer mehr Druck. Auch durch den Ukraine-Krieg. Denn Energie ist einer der wichtigsten Rohstoffe.“ Es bleibt also spannend. Nicht nur bei der Juraleitung, sondern beim gesamten Übertragungsnetzausbau.
(Heinz Wraneschitz)

 

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