Wirtschaft

23.11.2012

Vorab-Schätzungen lieber nicht abgeben

Betriebsprüfung: Vor Hausbesuchen verschicken Finanzämter immer häufiger ominöse Fragebögen

Zu Beginn ein wenig Denksport: Es kommen 100 Damen in einen Friseursalon. Wie viele von diesen 100 Damen verlangen ausschließlich einen Haarschnitt mit Haarwäsche, mit waschen, legen oder waschen, legen, föhnen? Wie viele von diesen 100 Damen verlangen ausschließlich einen Trockenhaarschnitt? Und wie viele wünschen eine Dauerwelle oder eine Farbbehandlung?
Wer nun glaubt, dies seien Aufgaben aus der Feder eines Quizliebhabers mit bizarrem Haarfetisch, dem sei gesagt: Es gibt tatsächlich Unternehmer in diesem Land, die sie lösen mussten. Die Fragen sind Teil eines offiziellen Fragebogens, den die Finanzämter seit etwa zwei Jahren zur Vorbereitung einer Betriebsprüfung verschicken. Nicht nur das Friseurhandwerk darf beim munteren Fiskus-Quiz mitmachen, treffen kann es jeden Unternehmer, der keine elektronische Kassenbuchführung vorweisen muss: den Gastwirt wie den Änderungsschneider, den Bäcker wie den Schuhmacher, den Kioskbesitzer oder eben auch den Friseur.
Viele Angaben können Unternehmer nur raten
Das Perfide daran: Viele Angaben können selbst die betroffenen Unternehmer nur raten und schätzen. Die Pi-mal-Daumen-Methode ist im Umgang mit den Finanzämtern aber nicht wirklich zu empfehlen. Aus den Angaben lässt sich, zusammen mit der tatsächlich verbuchten Einkaufsmenge, der Umsatz hochrechnen. Und wehe demjenigen, der voreilig geschätzt hat und dessen Wert dann vom deklarierten Umsatz abweicht. „Deshalb Fragen zu eigenen Schätzungen des Unternehmers niemals beantworten“, mahnt Norman Peters, Geschäftsführer des Deutschen Steuerberaterverbands.
„Nur das ausfüllen, was aus der eigenen Buchhaltung sowieso ersichtlich ist.“ Bislang hat sich nur ein niedersächsischer Friseur vor Gericht gegen die Fragebögen gewehrt. Er verweigerte die Auskunft und klagte beim Niedersächsischen Finanzgericht gegen die Verwendung des Fragebogens (Az.: 3 K 401/08). Vergeblich, der Prüfer machte eine eigene Erlöskalkulation, schätzte die Einnahmen hoch und verlangte etliche Tausend Euro Steuern nach.
Damit war das Verfahren für das Gericht vom Tisch. Ob die Schätzung mit rechten Dingen zugegangen ist, muss nun in einem zweiten Anlauf geklärt werden (Az.: 7 K 10277/09). Dabei wird auch noch einmal zur Sprache kommen, ob die Fragebögen überhaupt zulässig sind. Für einen Gastronomen im Westfälischen wird die Antwort darauf zu spät kommen. Ihm wurde die Frage nach der geschätzten Menge von Nudeln, Reis und Kartoffeln pro Mahlzeit zum Verhängnis. Die Prüfer leiteten daraus die Zahl der verkauften Essen ab und veranschlagten Nachzahlungen in fünfstelliger Höhe. Der Betrieb musste Insolvenz anmelden.
„Der Unternehmer legt durch seine voreiligen Schätzungen in vielen Fällen selbst die Grundlage für die Mehrsteuern“, sagt Steuerberater Rüdiger Stahl. „Wer das als Unternehmer einfach mitmacht, schaufelt sich praktisch sein eigenes Grab.“ Allerdings sollten ausgefragte Unternehmer nicht mit einer Totalblockade antworten. Wer von Anfang an mauert, wird mit den Prüfern keine Freude haben. Pflicht des Unternehmers ist es, Unterlagen wie Preislisten der Lieferanten oder Rabattvereinbarungen vorzulegen. Aufgabe der Prüfer ist es dann, die Nachkalkulationen zu erstellen, hat der Bundesfinanzhof schon vor 30 Jahren entschieden (Az.: VIII R 174/77). Zweifelt der Prüfer die Buchhaltung an und setzt Mehrsteuern fest, muss er das erläutern. „Das ist wichtig, um die Aufstellung des Prüfers kritisch hinterfragen zu können“, sagt Peters. Will der Beamte mehr wissen, als der Unternehmer ohne Recherchen beantworten kann, hat er Pech gehabt. Strafzahlungen darf es nur geben, wenn der Unternehmer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, indem er etwa auf berechtigte Nachfragen die Auskunft verweigert.
Bislang hat noch kein Gericht geklärt, welche Rechtsnatur die Fragebögen eigentlich haben. Dabei macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei den Formularen um eine einfache Anfrage handelt oder um einen formellen Verwaltungsakt. „Gegen den kann man als Betroffener Einspruch einlegen und gegebenenfalls klagen“, sagt Gottfried Wacker von der Steuerberaterkammer Westfalen-Lippe. Aufschluss wird vom Verfahren des niedersächsischen Friseurs erwartet. Gewinnt er, würde das auch Bäckern, Schneidern und Gastronomen eine Klage gegen ihre Formulare erleichtern. Den Finanzämtern flögen die Fragebögen um die Ohren. Und die Unternehmer könnten den Denksport aus vollem Recht wieder den Betriebsprüfern überlassen. (Raimund Diefenbach)

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