Die Debatte um die Wiedereinführung der seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht läuft heiß. Die Union ist komplett dafür, alle anderen Fraktionen im Bundestag - bis auf die Linke - zumindest teilweise. Doch welche Auswirkungen wird das auf die Wirtschaft haben?
Marc F. ist 23 Jahre alt und arbeitet als Dachdeckergeselle bei einer Baufirma in Oberfranken. Er ist einer der jungen Männer, die sehr gern Wehrdienst leisten würden. Sein Chef freilich sieht das weniger entspannt. Derzeit sind in seiner Firma zwei Stellen unbesetzt und er müsste auf eine weitere Fachkraft verzichten.
Kein Einzelfall: Derzeit suchen bei dem Bewerberportal Stepstone fast 2500 Baufirmen neue Mitarbeiter, insgesamt liegt die Zahl der offenen Stellen im Bauhaupt- und Nebengewerbe im hohen fünfstelligen Bereich. Die Chancen, Leute zu finden, sind aber nicht gut. Die Boomergeneration geht derzeit in Rente, der Fachkräftemangel macht sich voll bemerkbar.
Keine pauschale Antwort
„Was die Wiedereinführung der Wehrpflicht für den Arbeitsmarkt bedeuten würde, lässt sich pauschal nicht beantworten. Das hängt selbstverständlich von der Anzahl der eingezogenen Rekruten sowie der Dauer des Dienstes ab“, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft.
Sind es nur 20.000, macht sich das auf dem Arbeitsmarkt so gut wie nicht bemerkbar. Wenn ein ganzer Jahrgang eingezogen wird, fehlen rund 700.000 junge Menschen - in einer Phase, in der jährlich sehr viel mehr ältere Menschen das Rentenalter erreichen: In diesem Jahr wird der Jahrgang 1959 66 Jahre alt, das sind rund 1,2 Millionen Personen. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf den Ausbildungsstellenmarkt und – in einigen Jahren – auf die Fachkräfteversorgung. Demgegenüber stünde aber vermutlich ein sicherheitspolitischer Gewinn, so Schäfer.
Auch Professor Panu Poutvaara vom Münchner Ifo-Institut hat sich mit dem Thema beschäftigt. Deutschland brauche ein stärkeres Militär, um auf die russische Bedrohung zu reagieren. Es gäbe zwei Möglichkeiten, dies zu erreichen: die Erhöhung des Soldes derjenigen, die sich zur Bundeswehr verpflichten, oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Drei Szenarien analysiert
Die Wehrpflicht wäre billiger, was die Kosten für den Staatshaushalt angeht, aber sie würde die Ausbildung und den Eintritt in den Arbeitsmarkt verzögern, was das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verringern würde. „Generell würde ich empfehlen, auf Freiwilligkeit zu setzen, solange die angestrebte Reservegröße nicht mehr als ein Viertel eines jeden Altersjahrgangs beträgt, während die Wehrpflicht effizienter ist, wenn das Ziel darin besteht, dass die Mehrheit eines jeden Altersjahrgangs eine militärische Ausbildung oder eine Ausbildung erhält, die in der zivilen Verteidigung verwendet werden kann“, so Panu Poutvaara.
Um die volkswirtschaftlichen Kosten einer Wehrpflicht quantifizieren zu können, habe man drei Szenarien analysiert. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt dabei zwölf Monate und das Netto-Gehalt der Wehrpflichtigen liegt bei 1.000 Euro im Monat. Die Szenarien unterscheiden sich mit Blick auf den Anteil der aus einer Alterskohorte eingezogenen Individuen: Die Werte sind fünf Prozent (in Anlehnung an Schweden), 25 Prozent (für einen ähnlichen Umfang wie bei der alten Wehrpflicht) und 100 Prozent (gemäß eines sozialen Pflichtjahres).
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland würde gesamtwirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Das Ifo-Modell quantifiziert den Rückgang des privaten Konsums in Folge der Wiedereinführung einer Wehrpflicht auf vier Milliarden Euro im Fünf-Prozenz Szenario, 20 Milliarden Euro im 25-Prozent-Szenario und 79 Milliarden-Euro im 100-Prozent-Szenario. Die Kombination aus niedrigen Gehältern und der Verpflichtung für ein Jahr führe dazu, dass Wehrpflichtige nur verzögert mit Bildungsinvestitionen und dem Vermögensaufbau beginnen können.
Zustand vieler Kasernen und Panzer ist marode
Das Bruttonationaleinkommen würde mit folgendem Milliardenbetrag sinken: fünf Prozent minus 3,4 Milliarden; 25 Prozent minus 17,1 Milliarden; 100 Prozent minus 69,7 Milliarden
„Das BIP würde weniger stark sinken als das Bruttonationaleinkommen, da eine geringere Ersparnis bedeuten würde, dass Deutschland Kredite im Ausland aufnehmen und die Schulden bedienen müsste“, so Panu Poutvaara.
Gleichzeitig bedeutet eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aber auch Umsatz für die Wirtschaft. „Der Zustand vieler Kasernen und Panzer ist marode, da müsste eine Menge saniert werden“, erläutert Oberst André Wüst, der Vorsitzende des Bundeswehrverbands. Allein das Heer, die größte Teilstreitkraft, besitzt mehr als 100 Standorte. Diese alle wieder auf Vordermann zu bringen würde Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich erforderlich machen.
Hinzu kommt: Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ginge sehr wahrscheinlich einher mit einem neuen Zivildienst aus Gewissensgründen. Und auch Kliniken, Kitas und Altenheime leiden unter dem Fachkräftemangel. Für sie würde der Zivildienst eine günstige personelle Entlastung bedeuten. Marc F. freilich beschäftigt sich nur eingeschränkt mit solchen Gedanken. „Mir ist es wichtig, dass ich etwas für mein Land tun kann“, sagt der junge Mann. (André Paul)
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