Wirtschaft

Ministerpräisdent Markus Söder ist überzeugt vom Wasserstoff als Energieträger. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

11.04.2022

Wasserstoff für Bayerns Zukunft

Bis 2030 eine zusätzliche Pipeline für den Transport von grünem Wasserstoff bauen

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plant eine Reise nach Saudi-Arabien. Er will dorthin nicht etwa Waffen liefern wie Horst Seehofer 2015.  Es ist eine Wasserstoffreise, um die künftige Energiesicherheit des Freistaats zu sichern. Das vorzeitige Ende der Kernkraft und der überfällige Verzicht auf russisches Erdgas erfordern zwingend, ein neues Fundament für den  Energiebedarf der bayerischen Wirtschaft zu schaffen. Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine hat in dramatischer Weise aufgezeigt, dass die Energieversorgung die Lebensader von Wirtschaft und Gesellschaft ist. Sie ist auch von entscheidender sicherheits- und umweltpolitischer Bedeutung. Die notwendige Reaktion auf den verbrecherischen Krieg bietet  die Chance, eine rasche und umfassende Klimawende herbeizuführen. Neben einem schnelleren Ausbau von heimischer Solarenergie und Windkraft – mit Solardach-Pflicht, aber ohne Seehofers überzogene Abstandsregel – braucht es auch Wasserstoff als vielfältig nutzbaren Energieträger. Ministerpräsident Markus Söder hat in seiner Hightech Agenda  vom 10. Oktober 2019 eine Wasserstoffstrategie für Bayern mit 500 Millionen Euro angekündigt. Ein Wasserstoff-Zentrum in Nürnberg soll diese Technologie zwischen Hochschule und Wirtschaft vernetzen. Das Wasserstoffzeitalter, wie es Siegfried Balleis in dieser Zeitung ausführlich dargestellt hat, kann jetzt Fahrt aufnehmen.

Die Bedeutung dieser Technologie hat bereits Franz Josef Strauß erkannt. Ich war Grundsatzreferent in der Staatskanzlei, als er 1986 die Kernenergie als Übergangstechnologie bezeichnet hat bis zur Ablösung „durch Wasserstoff oder Kernfusion, die frühestens 2030, wahrscheinlich aber erst 2050 im großtechnischen Maßstab verfügbar sein würden“. Ein Zurück zu fossilen Energieträgern war für ihn „ein Verbrechen an der Menschheit und an der Umwelt, weil Luft und Atmosphäre vergiftet und wertvolle Ressourcen verschwendet würden.“  Ihm war lange vor der Konferenz von Rio bewusst: „Klimaveränderungen mit katastrophalen weltweiten Auswirkungen, Vernichtung der Wälder, Gefährdung der Gesundheit wären die Auswirkungen, die noch unsere Kindeskinder zu tragen hätten.“ Strauß hat es nicht bei Worten belassen. Im gleichen Jahr hat er den ersten konkreten Schritt hin zur  Wasserstoffwirtschaft mit einem Pilotprojekt in der Oberpfalz eingeleitet. Damit wurden wichtige Systemkomponenten  und ihre technologische Verknüpfung großtechnisch erprobt, um  mittels der Solar-Wasserstofftechnik Energie zu gewinnen. Gesellschafter der Projekt-Gesellschaft waren das Bayernwerk mit 60 Prozent sowie die Unternehmen BMW, Linde, Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Siemens mit jeweils zehn Prozent der Anteile. Das Vorhaben in Neunburg vorm Wald lief von1987 bis 1999. Die Kosten von 145 Millionen DM trug zur Hälfte die Industrie, zu 35 Prozent der Bund und zu 15 Prozent der Freistaat Bayern. Zugleich hat Strauß die Notwendigkeit betont, mit den Staaten der heißen und trockenen Zonen wie Algerien oder Saudi-Arabien zusammenarbeiten, da es nicht möglich sein würde, im Inland ausreichende Mengen zu produzieren.

Edmund Stoiber hat im Rahmen der High Tech Offensive Bayern die Wasserstoff-Technologie weiter vorangetrieben. Zusammen mit der kanadischen Provinz Québec und Ludwig Bölkow wurde ein Pilotprojekt verfolgt, grünen Wasserstoff aus Wasserkraft in Kanada zu erzeugen, auf Spezialschiffen über den Atlantik zu transportieren und damit Brennstoffzellen und Kraftwerke in Deutschland zu versorgen. Das Vorhaben war freilich seiner Zeit voraus. Die Europäische Union stellte Fördermittel bereit, doch der Beitrag der Industrie blieb aus. Immerhin führte das Projekt zum ersten deutschen Blockheizkraftwerk mit Brennstoffzellen, zur Umrüstung eines Triebwerks auf Wasserstoffbetrieb, und auch dazu, dass im April 1996 in Erlangen der erste Wasserstoff-Bus der Welt im Linienbetrieb eingesetzt wurde.

Partner für grünen Wasserstoff

In Saudi-Arabien, in den Emiraten und im Oman setzt man jetzt auf grünen Wasserstoff als das neue Öl.  Das saudische Königreich will bis spätestens 2050 zum weltweit größten Exporteur dieser Energie aus Strom von Wind- und Solarkraft werden. Für 4,3 Milliarden Euro baut es in Kooperation mit der Thyssenkrupp-Tochter Uhde die nach Fertigstellung größte Wasserstofffabrik der Welt. Bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre könnte Wasserstoff zu einem Preis produziert werden, der mit dem von fossilen Treibstoffen konkurrieren kann. Einer der Partner bei diesen Plänen ist Deutschland, das mit Saudi-Arabien eine Absichtserklärung über eine Wasserstoffkooperation unterzeichnet hat.

Allerdings sollte man sich nicht wieder – wie beim Gas aus Russland – zu stark auf eine Bezugsquelle verlassen. Auch Kanada will bis 2050 zu den  größten Produzenten von Wasserstoff weltweit gehören. Seit über 30 Jahren  besteht eine Zusammenarbeit mit der kanadischen Provinz Québec,  eine der intensivsten und aktivsten Partnerschaften Bayerns. Der Energieversorger Hydro-Québec, weltweit größter Stromproduzent aus Wasserkraft, baut derzeit bei Montréal eine Anlage zur Wasserelektrolyse mit einer Leistung von 88 Megawatt und investiert dafür rund 200 Millionen Dollar. Es handelt sich um eine der weltweit leistungsstärksten Anlagen ihrer Art. Sie soll bereits 2024 in Betrieb gehen. Auch hier ist die Thyssen-Krupp-Tochter Uhde beteiligt. Eine Wasserstoff-Kooperation mit Kanada würde zudem keine Fragen zu Demokratie und Menschenrechten aufwerfen. Daher wäre Montréal ein gutes Ziel für die nächste Wasserstoff-Reise.

Standortnachteil Bayern

Entscheidend für den Erfolg der Wasserstoff-Strategie für den Freistaat ist, dass Bayern einen sicheren und leistungsfähigen eigenen Zugang zu den künftigen Erzeugerregionen hat. In den 50er Jahren waren die eigenen bayerischen Energien, Wasserkraft, Stein- und Braunkohle und Erdgas, bei weitem nicht ausreichend, um das Wachstum zu stützen. Die Revierferne Bayerns erwies sich als wesentlicher Standortnachteil, der die Energie im Freistaat signifikant verteuerte. Dieser Herausforderung haben sich die Ministerpräsidenten Alfons Goppel, Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber erfolgreich gestellt: zunächst mit der Zufuhr von Erdöl aus Italien, dann mit der Nutzung der Atomkraft in Bayern. Erst mit dem fatalen Sonderweg der Union zur Zeit von Horst Seehofer im Jahr 2011, aus der Kernenergie vorzeitig auszusteigen und sich stattdessen von Erdgas aus Russland abhängig zu machen, wurde das alte Standortproblem für Bayerns Energieversorgung wieder schlagend.

Die Staatsregierung ist besorgt, dass die Wasserstofflieferungen in Zukunft nur über Pipelines aus Norddeutschland nach Bayern laufen werden. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sollen bereits 2030 ein eigenes Startnetz erhalten, Bayern und Baden-Württemberg erst 2035 angeschlossen werden. Dadurch könnte sich der wirtschaftliche Wohlstand wieder verschieben. Daher braucht Bayern  eine eigene Wasserstoff-Pipeline, die wie bei fossilen Energieträgern vom italienischen Triest nach Bayern geht.

Damit steht der Freistaat wieder vor einer großen strukturellen Herausforderung wie zum Ende der 50er Jahre. Vor allem wegen der hohen Transportkosten waren Energieträger in Bayern teuer. Als Otto Schedl 1957 bayerischer Wirtschaftsminister wurde, war der Staatsregierung klar, dass Bayern eine kostengünstige Energieversorgung braucht, um den wirtschaftlichen Anschluss zu schaffen. Sein Verdienst war es, mittels privater Investoren eine Öl-Pipeline von Triest nach Ingolstadt auf den Weg zu bringen. 1967 war es soweit: In nur 1000 Tagen Bauzeit war die Leitung entstanden. Investiert wurden rund 192 Millionen Dollar. Das machte das Projekt zu einer der größten privaten Investition der damaligen Zeit.  Die Pipeline führt seither störungsfrei 453 Kilometer unterirdisch von Triest durch die Alpen bis nach Ingolstadt und von dort aus weiter bis nach Karlsruhe in Baden-Württemberg. Sie deckt den Rohölbedarf von Bayern und Baden-Württemberg zu 100 Prozent, den von Österreich zu 90 % und den der Tschechischen Republik zu 50 Prozent.

Die Staatsregierung sollte den Ehrgeiz haben, mit dem gleichen Impetus wie vor 50 Jahren bis 2030 eine zusätzliche Pipeline für den Transport von grünem Wasserstoff auf dieser Trasse einzurichten. Damit würde sie die Vision von Franz Josef Strauß von einer eigenständigen Versorgung mit dieser Zukunftsenergie verwirklichen, während die Kernfusion, an der auch in Bayern erfolgreich geforscht wird, noch etwas warten muss.
(Rudolf Hanisch)

(Der Autor war Staatskanzleichef unter Ministerpräsident Edmund Stoiber und Vize-Vorstandschef der BayernLB.)

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