Auch in Krisenzeiten bleibt das Exportgeschäft eine zentrale Stütze der bayerischen Wirtschaft. Im vergangenen Jahr hat die Industrie im Freistaat jeden zweiten Euro im Ausland verdient. Die Exportquote der Industriebetriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern lag 2024 bei rund 58 Prozent.
BSZ: Herr Gößl, wie wichtig ist der Export für die bayerische Wirtschaft?
Manfred Gößl: Made in Bavaria bleibt weltweit gefragt. In Zeiten einer wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland erweist sich das Exportgeschäft auch weiterhin als Fels in der Brandung und überlebenswichtig für unsere Wirtschaft. Aber der Exportmotor ist längst kein Selbstläufer mehr. Der Weg vor uns ist rau und steinig.
BSZ: Was bedeutet das?
Gößl: Die Welt ist im Aufruhr: So viele kriegerische Konflikte wie seit 1949 nicht mehr, darunter vor allem in der Ukraine und im Nahen Osten, und Jahr für Jahr zunehmende Handelshürden seit der Finanzkrise 2008. Dazu noch die Trump-Turbulenzen mit Abschottung, Alleingängen und Konfrontationen. Die USA sind noch immer das Topexportland für die bayerische Wirtschaft, aber inzwischen sagt nur noch jedes siebte Unternehmen aus dem Freistaat: Die USA sind für uns ein verlässlicher Handelspartner – ein Tiefpunkt.
BSZ: Und nun?
Gößl: Alte und bequem gewordene Gewissheiten sind für Europa passé! Umso mehr muss der EU-Binnenmarkt zu einem echten Binnenmarkt werden. Hier stecken die größten grenzüberschreitenden Wachstumsimpulse für unsere Wirtschaft. Aber es gibt Hürden.
BSZ: Welche nationalen Sonderregeln bremsen den innereuropäischen Markt aus?
Gößl: Leider noch immer viel zu viele! Ein paar Beispiele, die deutlich machen, wie weit wir von einem echten EU-Binnenmarkt entfernt sind: unterschiedliche Temperaturgrenzen bei Lebensmitteltransporten, längere Lastwagen werden in einigen EU-Staaten sogar gefördert und in anderen dürfen sie erst gar nicht auf der Straße rollen, Gebühren und Vorschriften für Verpackungen weichen pro Land voneinander ab, unterschiedliche IT-Plattformen – teils nur in den jeweiligen Ländersprachen – für das Erbringen von grenzüberschreitenden Dienstleistungen oder die A1-Bescheinigung zum Nachweis der Sozialversicherung für Dienstreisen innerhalb der EU. In Summe haben wir noch immer 27 unterschiedliche Systeme anstatt eines harmonisierten EU-Binnenmarkts – wir haben in der Realität also keinen echten freien Warenverkehr, keinen freien Dienstleistungshandel in der EU, und noch immer haben wir keine Kapitalmarktunion. Und das kostet uns ordentlich Geld: Der Internationale Währungsfonds vergleicht die Kosten durch die Bürokratie und die Handelshürden in der EU damit, als ob sich die EU-Staaten gegenseitig Zölle auf Waren von 44 Prozent und auf Dienstleistungen von 110 Prozent aufbrummen würden. Eine Wahnsinnssumme!
BSZ: 27 Mitgliedstaaten und über 449,2 Millionen Menschen: Welches wirtschaftliche Potenzial hätte ein echter europäischer Binnenmarkt?
Gößl: Ein Riesenpotenzial! Das ifo-Institut hat für uns berechnet: Bauen die EU und ihre Mitgliedstaaten nur ein Viertel der bestehenden Handelsbarrieren bei Dienstleistungen ab, steigt die Wertschöpfung innerhalb der EU dauerhaft um gut 2 Prozent. Das entspricht über 350 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu: Die drohenden Zölle der neuen US-Regierung fügen uns laut Institut der deutschen Wirtschaft einen Schaden in der Größenordnung von 200 Milliarden Euro bis zum Jahr 2028 zu. Das muss die Politik in Europa wachrütteln – und da gibt es zum Glück auch schon Bewegung. Die EU hat das Problem inzwischen erkannt und geht das an. Wir als Wirtschaft unterstützen die Kommission auf diesem Weg. Je schneller wir die Hürden abbauen, nationale Sonderregeln hinter uns lassen und einen echten EU-Binnenmarkt in allen Bereichen erreichen, umso besser.
BSZ: Welche EU-Länder bieten für bayerische Unternehmen noch mehr Exportpotenzial als bisher?
Gößl: Der Großteil des bayerischen Exports geht bereits in die EU-Länder. Sieben der zehn wichtigsten Handelspartner sind EU-Mitgliedstaaten – allen voran Österreich, Frankreich, Italien und Polen. Aber zur Wahrheit gehört: In vielen Bereichen sind wir abhängig von Importen aus Drittstaaten. In den vergangenen Jahren haben wir immer öfter gesehen, was passieren kann, wenn es Störungen entlang dieser Lieferketten gibt, und welche fatalen Auswirkungen das für bayerische Firmen haben kann. Um die Resilienz zu erhöhen, suchen viele Unternehmen wieder vermehrt nach Partnern in EU-Staaten. Das stärkt unseren Binnenmarkt und gibt dem innereuropäischen Handel eine ganz neue Dynamik. Die Politik sollte diese Entwicklung aktiv unterstützen und im Interesse der Wirtschaft die Hürden abbauen, Kosten für Unternehmen senken, einen echten Binnenmarkt schaffen und damit Europa wettbewerbsfähiger machen. Der Handel untereinander in der EU muss wieder attraktiver werden, alles andere wäre eine Entwicklung in die falsche Richtung.
BSZ: Wie sieht es mit den europäischen Ländern aus, die nicht dem EU-Binnenmarkt angehören?
Gößl: Die wichtigsten europäischen Handelspartner, die nicht in der EU sind, sind für uns die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Aber leider gibt es auch hier Barrieren, die abgebaut gehören, um den Handel zu erleichtern. Auch die Westbalkanregion bietet große Chancen – insbesondere als Beschaffungsmarkt, zum Beispiel in den Bereichen Metall-, Holz- und Kunststoffverarbeitung und Textilindustrie. Deswegen ist es wichtig, dass die EU und die Westbalkanstaaten ihre Annäherung fortsetzen und die wirtschaftliche Kooperation weiter vertiefen.
BSZ: Welche Exportchancen bieten die Länder Nordafrikas als unmittelbare Nachbarn des EU-Binnenmarkts?
Gößl: Hier gibt es vielversprechende Chancen! Wie groß deutsche Firmen vor Ort das Wachstum in der Region einschätzen, zeigen Zahlen unserer Auslandshandelskammern: Deutsche Firmen in Nordafrika schätzen die Geschäftslage dort besser ein als in der Eurozone. Fast zwei Drittel erwarten weitere Verbesserungen bei der wirtschaftlichen Entwicklung – der höchste Wert weltweit. Wenn wir daran denken, dass beispielsweise Marokko und Ägypten zu Vorreitern im Bereich der erneuerbaren Energien werden wollen und gerade bei Wasserstoff große Projekte vorantreiben, kann die bayerische Wirtschaft von engen Partnerschaften nur profitieren.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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