Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erachtet Erdgas und effiziente, wasserstofffähige Gaskraftwerke als unverzichtbar für die ambitionierte Transformation der deutschen Energieversorgung. Diese Kraftwerke sollen als Brückentechnologie den Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft ermöglichen.
BSZ: Herr Fischer, laufen denn die bayerischen Gaskraftwerke derzeit? Wenn ja, rentabel?
Detlef Fischer: Ja, es ist Winter und die bayerischen Gaskraftwerke laufen öfter. Sie erzeugen insbesondere dann Strom, wenn eine hohe Nachfrage an Elektrizität (zum Beispiel am Morgen und in den Abendstunden) vorhanden ist oder die Windkraft und die Photovoltaik nicht zur Verfügung stehen. Unabhängig davon produzieren die Gaskraftwerke in den Städten neben Strom auch Fernwärme. Rund um die Uhr unter Volllast werden reine Gaskraftwerke nur in Sondersituationen betrieben, denn für die Deckung der Grundlast ist der Brennstoff viel zu teuer. Die Erlössituation der Gaskraftwerke hat sich verbessert. In den vergangenen Jahren war sie aber katastrophal.
BSZ: Für einen Übergang zur 100-prozentigen Ökostromerzeugung wird immer wieder Erdgas ins Spiel gebracht. Aber das ist ja derzeit eher Mangelware. Wie soll das gehen?
Fischer: Für diese Übergangszeit werden wir nach meiner Überzeugung mehr Erdgas zur Stromerzeugung einsetzen als bisher. Wir können den schnellen Ausstieg aus der Kernkraft, der Kohle und letztendlich auch aus dem Mineralöl nicht so schnell mit erneuerbaren Energien ausgleichen, wie sich das so manch einer in unserem Land vorstellt. Und der „grüne“ Wasserstoff steckt noch in den Kinderschuhen, ist aber mittlerweile zum Hoffnungsträger schlechthin geworden. Es geht im Übrigen auch nicht nur um unsere Stromversorgung. Das sind nur etwa 20 Prozent unseres Endenergiebedarfs. Wir müssen die anderen 80 Prozent auch noch decken und „grün“ machen. Eine sichere Energieversorgung und daneben die Energiewende sind eben kein Wunschkonzert gemäß den Idealvorstellungen von „schwänzen for future“. Viel Erdgas werden wir weiterhin von Russland beziehen müssen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, unsere Bezugsquellen weiter zu diversifizieren. Erdgas wird in den nächsten Jahrzehnten weltweit ein äußerst begehrter Brennstoff sein. Wir werden uns diesen leisten müssen und auch aus Ländern beziehen müssen, deren politisches System nicht unseren Vorstellungen entspricht.
BSZ: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist ein großer Wasserstoff-Fan. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Fischer: Herr Aiwanger hat verstanden, dass man für eine Energiegewinnung, die hauptsächlich auf Sonnenenergie und Windkraft beruht, ein Speichermedium benötigt. Ausschließlich mit Batterien funktioniert das nicht oder wäre zumindest viel zu teuer. Wasserstoff eignet sich genauso wie die Wasserkraft grundsätzlich als Langfristspeicher. Als geistiger Vater dieser Idee gilt der Unternehmer und Erfinder Dr. Ludwig Bölkow. Er hat in den 1980er-Jahren diese Idee als Erster salonfähig gemacht. Die Umsetzung scheiterte bisher vor allem an den Kosten. Seit dieser Zeit ist viel passiert. Die erneuerbaren Energien sind günstiger geworden und die fossilen Brennstoffe teurer. Ich finde den Ansatz gut, wieder in eine Wasserstoffwirtschaft zu investieren. Man muss als Politiker auch den Mut zum Scheitern mitbringen. Falls es klappt, bekommt Herr Aiwanger auf alle Fälle ein Denkmal vor der Bayerischen Staatskanzlei.
Der totale Nonsens
BSZ: Wenn Wirtschaftsminister Aiwanger vom Bund verlässliche Rahmenbedingungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke fordert, muss doch erst einmal die Frage geklärt werden, woher der grüne Wasserstoff kommen soll, oder?
Fischer: Jeder – auch die Industrie für ihre Prozesse – will jetzt ganz schnell ganz viel Wasserstoff und „grün“ soll er möglichst auch noch sein. Bisher wird der meiste Wasserstoff aus Erdgas über die sogenannte Dampfreformierung hergestellt, ist also gar nicht „grün“. Der totale Nonsens wäre es demzufolge, wenn man Wasserstoff importiert, der im Herstellungsland aus Erdgas oder wie in Australien auch aus Braunkohle gewonnen wird und man diesen auf dem Weg zu uns „grün“ anstreicht. Echter „grüner“ Wasserstoff wird in den nächsten Jahrzehnten sicher Mangelware und damit teuer sein, auf alle Fälle nicht billiger als Erdgas. Teile unserer Staatsregierung äußern sich öffentlich immer gerne ablehnend über große Energiekonzerne. Diese sind es aber, die ins Risiko gehen und in große Infrastrukturprojekte investieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bürgergenossenschaft „Energiewende Dahoam“ aus Niederbayern in der Lage ist, „grünen“ Wasserstoff aus den Arabischen Emiraten zu holen. Da wird in so manchem Kopf noch ein Umdenken stattfinden müssen. Wir benötigen auf alle Fälle eine professionelle Lösung die auch wirtschaftlich tragfähig ist.
BSZ: Wie viel grünen Wasserstoff könnte Bayern aus Wind- und Solarenergie selbst erzeugen?
Fischer: Auf der Erde kommt Wasserstoff nur in Verbindungen vor und muss daher hergestellt werden. Soll er „grün“ sein, muss er beispielsweise aus Wasser über Elektrolyse mit hohem Einsatz von Strom gewonnen werden. Am effizientesten ist es aber, den Strom, ohne den Umweg über Wasserstoff, direkt zu nutzen. Das geht freilich nicht immer, also brauchen wir Wasserstoff in Bayern auch für die Energieversorgung, um zum Beispiel die berühmte kalte Dunkelflaute überbrücken zu können. Rein theoretisch könnten wir den gesamten Bedarf in Bayern selbst erzeugen. Welcher Anteil und welche Technologien wirklich sinnvoll sind, lassen wir derzeit von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in einem Gutachten untersuchen. Die Ergebnisse erwarten wir zum Jahresende 2022 und werden diese der bayerischen Staatsregierung zur weiteren Diskussion vorlegen.
BSZ: Wie viel grünen Wasserstoff müsste Bayern importieren?
Fischer: Das ist ganz einfach zu beantworten: Alles, was wir brauchen, aber nicht selber machen, müssen wir aus dem Ausland importieren. Ich habe die Energiewende Dahoam immer so verstanden, dass wir damit auch unsere Energieimportabhängigkeit reduzieren wollen. Also sollte der importierte Anteil an Energie aus dieser Sichtweise möglichst gering sein. Dafür brauchen wir viel Strom aus erneuerbaren Energien und damit viele Windräder und Photovoltaikanlagen. Jetzt merkt man aber mal wieder, dass die Gesellschaft eine nachhaltige Energieversorgung zwar prinzipiell gut findet, aber diese bitte schön nicht vor der eigenen Haustür stattfinden soll – und man erachtet plötzlich die Idee wieder schick, den Energiebedarf einfach wie jetzt auch aus unsicheren und politisch fragwürdigen Staaten zu importieren. Ich halte diese Logik für riskant und würde mich nicht auf diese Variante verlassen. Wir sollten eine europäische Lösung für unsere Energieversorgung anstreben, das gilt auch für den Wasserstoff. Das wäre doch ein tolles Projekt, auch damit die Staaten in Europa endlich wieder besser zueinander finden.
Im Winter auf Energieimporte angewiesen
BSZ: Würde dann das Projekt Desertec in modifizierter Form wieder aufleben, indem die Solarkollektoren in Nordafrika gleich den Strom für die Elektrolyse bereitstellen und der Wasserstoff dann via Tankschiff – das mit umweltschädlichem Schweröl fährt – nach Europa kommt?
Fischer: Die Probleme, an denen Desertec gescheitert ist, sind ja nach wie vor alle vorhanden. Und jetzt kommt noch eine weitere Aufgabe dazu: Zur Herstellung von Wasserstoff über Elektrolyse benötigt man Wasser, für ein Kilogramm Wasserstoff immerhin mindestens zehn Kilogramm Wasser. Mit einem Kilogramm Wasserstoff kann man dann etwa 100 Kilometer Autofahren. Wollte man den heutigen Bedarf an Erdgas in Deutschland durch Wasserstoff ersetzen, würde man dafür den Wasserbedarf einer Metropole wie Berlin benötigen. Wie man das in der Wüste zu vertretbaren Kosten hinbekommen will, ist sicher noch die eine oder andere Überlegung von einem sehr guten Ingenieurbüro wert.
BSZ: Wird Energie noch teurer und was kann man dagegen tun?
Fischer: Davon ist auszugehen, vor allem im Winter, wenn die Solarenergie wenig zur Energieversorgung beiträgt und der Energieverbrauch hoch ist. In dieser Jahreszeit sind wir auf lange Sicht in erheblichem Umfang auf Energieimporte angewiesen. Wer dann liefern kann, wird sich das teuer bezahlen lassen. Deswegen setzen wir auch auf eine strategische Speicherreserve Gas. Hier gilt das gute alte Sprichwort „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“. Für jeden einzelnen gilt: Der effiziente Umgang mit Energie ist der beste Weg hin zu einer möglichst niedrigen Energierechnung. Im Grunde sind wir zu richtigen Energieverschwendern geworden. Ein Beispiel: Ein Elektroauto benötigt dreimal weniger Energie zum Fahren als ein Verbrenner. Und selbst ein Elektroauto kann man mit 15 kWh pro 100 Kilometer fahren oder auch mit 30 kWh pro 100 Kilometer. Zwischen Sparsamkeit und Verschwendung liegt hier ein Faktor sechs dazwischen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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