Wissenschaft

Ein 1-Cent-Stück liegt zum Größenvergleich zwischen Mikroplastik. (Foto: dpa/Bernd Wüstneck)

13.04.2023

Meilenstein in der Mikroplastik-Forschung

Erste vergleichende Untersuchung zu automatisierten Analyseverfahren großer Datensätze an der Universität Bayreuth

Das Fehlen von einheitlichen analytischen Standards verhindert derzeit die Vergleichbarkeit von Daten zu Mikroplastik in der Umwelt. Forscher*innen der Universität Bayreuth und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben nun erstmals zwei automatisierte Analyseverfahren für Mikroplastikdaten hinsichtlich der Ergebnisse verglichen. Signifikante Abweichungen zeigten sich vor allem bei kleinen Partikeln mit vergleichsweise hohem Gefährdungspotenzial. Die iStudie zeigt, dass die Standardisierung von analytischen Verfahren ein zentrales Forschungsziel sein muss.

Partikel aus Kunststoff werden als Mikroplastik bezeichnet, wenn sie kleiner als fünf Millimeter sind. In den Anfängen der Forschung wurde Mikroplastik allein anhand rein visueller Kriterien identifiziert. Die Entscheidung darüber, ob es sich bei einem verdächtigen Partikel um Mikroplastik handelte, basierte daher auf der individuellen Wahrnehmung der Forschenden. Dies kann jedoch zu stark fehlerbehafteten Ergebnissen führen. Mittlerweile ist klar, dass gerade bei kleinen Mikroplastikpartikeln nur eine Identifizierung mittels chemischer Analysen belastbare Daten zu Mikroplastik liefert. Die Mikro-Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie – kurz: Mikro-FTIR-Spektroskopie – ist auf diesem Gebiet derzeit eines der verlässlichsten Messverfahren. Zur Untersuchung von Mikroplastikpartikeln, die kleiner als 0,5 Millimeter sind, müssen die Proben auf Filtern aufgebracht werden und können dann mittels Mikro-FTIR-Spektroskopie analysiert werden. Hierbei wird der komplette Probenfilter mit einer hohen Auflösung gemessen. So entsteht eine „chemische Landkarte“ des Filters, die es ermöglicht, Mikroplastik bis zu einer Größe von zehn Mikrometern eindeutig zu identifizieren. Bei der Messung entstehen allerdings bis zu mehreren Millionen FTIR-Spektren, so das eine manuelle Auswertung auf Mikroplastik unmöglich ist. Für eine solche Analyse sind verlässliche automatisierte Computerverfahren erforderlich.

Zur automatischen Analyse von FTIR-Datensätzen werden heute in der Mikroplastikforschung verschiedene Auswertealgorithmen eingesetzt. Zwei gut etablierte und häufig angewendete Algorithmen zur Identifizierung von Mikroplastik-FTIR-Spektren sind vom AWI und von der Universität Bayreuth unabhängig voneinander entwickelt worden: das siMPle-Analyse-Tool (systematic identification of MicroPlastics in the environment) und der BPF (Bayreuth Particle Finder). Beide Algorithmen haben den Vorteil, dass die großen Messdaten in ihrer Gesamtheit untersucht werden können. Dadurch lassen sich Verzerrungen vermeiden, die entstehen, wenn nur Teile einer Probe ausgewählt und die Analyseergebnisse auf die Gesamtheit der Probe hochgerechnet werden.

 

Wasserproben aus Weser und Jadebusen

 

Im Rahmen ihrer vergleichenden Studie haben die Forscher*innen an der Universität Bayreuth und am Standort Helgoland des AWI zwei Probensätze mit beiden Auswertealgorithmen untersucht. Gemessen wurden Menge und Größe der Mikroplastik-Partikel sowie die Anteile verschiedener Polymere. Der eine Probensatz enthielt zehn Wasserproben aus der Ober- und Mittelweser, der andere Probensatz zehn Wasserproben, die aus der Unter-/Außenweser und dem Jadebusen stammten. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, unseren Vergleich der beiden Analyse-Tools mit Probensätzen aus der Umwelt durchzuführen, denn hier sind alle umweltrelevanten Typen, Formen und Größen von Polymeren anzutreffen. Zudem kommen die sehr kleinen Mikroplastik-Partikel in der Umwelt besonders häufig vor, und je kleiner die Partikel sind, desto höher ist ihr Gefährdungspotenzial. Umso wichtiger ist es, neueste Verfahren wie die Mikro-FTIR-Spektroskopie und die automatisierte Auswertung der FTIR-Datensätze zu evaluieren, die für Untersuchungen dieser Partikel geeignet sind“, sagt Christian Laforsch, Professor an der Universität Bayreuth und korrespondierender Co-Autor der Studie.

Für die neue Studie haben die Forscher*innen in Bayreuth und auf Helgoland die parallel mit den beiden Analyse-Tools erzielten Ergebnisse verglichen. Insgesamt gesehen stimmen die Ergebnisse größtenteils überein. Doch es gibt auch Abweichungen: Vor allem im Bereich von Partikeln, die kleiner als 50 Mikrometer sind, gibt es unterschiedliche Resultate, da hier die Algorithmen infolge einer schlechteren FTIR-Spektrenqualität auch Fehlentscheidungen treffen können.

„Unsere Studie zeigt, dass weitere vergleichende Forschungsarbeiten notwendig sind, damit Mikroplastik-Partikel aller Größen mittels automatisierter Verfahren fehlerfrei identifiziert werden können. Bisher erzielte Ergebnisse zur Kontamination der Umwelt durch Mikroplastik sind gerade im Hinblick auf kleinere Größenklassen durchaus mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Darüber hinaus belegt unsere Studie, dass wir gute und belastbare Daten erhalten, wenn wir die mit den Analyse-Tools gewonnenen Daten abschließend einer kritischen Überprüfung unterziehen“, sagt Co-Autor Martin Löder von der Universität Bayreuth. „Bei allen derzeit angewandten Techniken und Verfahren bleibt jedoch letztlich unklar, wie gut die dabei erzielten Ergebnisse die tatsächlichen Mikroplastikbelastungen in der Umwelt widerspiegeln. Selbst wenn wir moderne, technisch avancierte Untersuchungsverfahren einsetzen, ist die Frage, wie viele und welche Mikroplastik-Partikel die Umwelt tatsächlich belasten, noch nicht abschließend zu beantworten. Gerade bei den ganz kleinen Partikeln sind wir hier noch ganz am Anfang, umso wichtiger sind weitere Forschungsanstrengungen,“ betont Christian Laforsch. (Christian Wissler)

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