Ausschreibung und Vergabe

Über die Vergabe eines digitalen Alarmierungssystems einschließlich der leitstellenseitigen Systembestandteile gab es Streit. (Foto: dpa/Malte Christians)

08.04.2019

Liefer- oder Bauleistung?

Vergabekammer Rheinland zur Unterscheidung bei öffentlichen Aufträgen

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb national nach der VOB/A die Vergabe zur Errichtung eines digitalen Alarmierungssystems für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr in seinem Kreisgebiet aus. Die Beschaffung umfasste den Kauf, die Montage, den Aufbau und Einführung einer vollständigen Digitalalarm-Infrastruktur einschließlich der leitstellenseitigen Systembestandteile. Als anzubietende Komponenten beinhaltete die Ausschreibung auch digitale Alarmgeber und Alarmumsetzer.

Ein Unternehmen rügte unter anderem die Wahl des Vergabeverfahrens. Zur Begründung führte es aus, dass es sich bei der Beschaffung um eine Liefer-/Dienstleistung handele, die nach den Vorschriften der VgV europaweit zu vergeben sei, weil der EU-Schwellenwert überschritten würde. Ausgeschrieben seien die Lieferung von tragbarer Elektronik (3000 digitale Meldeempfänger), PC-Ausstattung mit spezieller Software, Funkanlage sowie dazu betriebs-erforderliches Zubehör sowie ein Servicevertrag mit insgesamt acht Jahren Laufzeit.

Neue Antennenmasten montieren


Der öffentliche Auftraggeber half der Rüge nicht ab, weil der Schwerpunkt der Beschaffung in den Bauleistungen liege. Insbesondere müssten neue Antennenmasten montiert, Antennen an vorhandenen Antennenmasten oder vorhandenen Sirenenmasten angebracht, Blitzschutzeinrichtungen neu errichtet oder an vorhandene bauliche Blitzschutzeinrichtungen angeschlossen werden. Zudem überwiege der Anteil der Bauleistungen den der Lieferleistungen und in den Gebäuden seien in erheblichem Umfang Umbau- und Aufbaumaßnahmen er-forderlich.

Die Vergabekammer Rheinland (Beschluss vom 12. November 2018 - VK K 42/18) war von der Argumentation des öffentlichen Auftraggebers nicht überzeugt und hob die Ausschreibung auf. Die richtige Zuordnung des öffentlichen Auftrags ist wegen der unterschiedlich hohen EU-Schwellenwerte von hoher praktischer Bedeutung. Im Hinblick darauf, ob ein Auftrag daher als Liefer-/Dienstleistungsauftrag oder als Bauauftrag gilt, ist nach § 110 Abs. 1 GWB auf den Hauptgegenstand des Auftrags abzustellen. Hauptgegenständlich sind die Leistungen, die den Auftrag als solche prägen, und nicht nur Verpflichtungen untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Auftrags folgen. Der jeweilige Wert der Einzelleistungen ist dabei nur ein Kriterium unter anderen, der bei der Ermittlung des Hauptgegenstands zu berücksichtigen ist, so die Kölner Vergabekammer.

Für die Einordnung als Bauauftrag verweist § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auf den Anhang II der Richtlinie 2014/14/EU. Die dort unter Nummer 45.31 des Anhangs II genannten Gewerke beziehen sich auf elektrische Installationen und Einbauten, die der Funktionsfähigkeit und der Sicherheit eines Gebäudes als solchem dienen. Darunter fallen die hier ausgeschriebenen Leistungen des öffentlichen Auftraggebers aber nicht. Denn Anlass der Ausschreibung ist die Umstellung von der bisher analogen Funktechnik auf eine digitale Alarmierungstechnik für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr im Kreisgebiet. Hierfür hat der Bieter umfassende Hard- und Software zu liefern. Die damit verbundenen Installationen und Einbauten sind jedoch nicht der Schwerpunkt der Beschaffung. Denn es handelt sich nicht um Baumaßnahmen, die der Funktionsfähigkeit und Sicherheit des Gebäudes dienen.

Die baulichen Anlagen, die Inhalt der Ausschreibung sind, dienen dazu, die digitale Alarmie-rungstechnik in Betrieb nehmen sowie deren Funktionsfähigkeit sicherstellen zu können. Der Bieter hat die Hardware in den bestehenden Gebäuden aufzustellen beziehungsweise an Antennen oder ähnliche Vorrichtungen zu montieren sowie miteinander zu verbinden, zu vernetzen und anzuschließen. Schwerpunkt des Auftrags ist nach Überzeugung der Vergabekammer Rheinland deshalb die Ausstattung der Einsatzleitstelle mit der Infrastruktur für die digitale Alarmierungstechnik. Die Montage der Technik, die mit Arbeiten wie zum Beispiel Stemm- und Schlitzarbeiten, Kabeldurchbrüchen, Verlegung und Anschluss neuer Kabeltrassen, Verschrauben von Schränken an Wänden in und an den vorhandenen Gebäuden, Gebäudeteilen oder Masten verbunden ist, stellt zwar eine wichtige, jedoch eine untergeordnete Leistung dar. Sie trägt zur Funktionsfähigkeit der neuen Alarmierungstechnik bei, ist hingegen nicht der Hauptbestandteil der Beschaffung. Außerdem sind die vorgesehenen baulichen Maßnahmen auch nicht zur Funktionsfähigkeit des Gebäudes als solchem erforderlich, wie dies zum Beispiel bei der Lieferung und dem Einbau von Fenster und Türen oder den in Nummer 45.31 genannten Elektroinstallationen der Fall ist.

Vergabestelle schreibt Serienprodukte vor


Darüber hinaus verlangt der öffentliche Auftraggeber keine individuellen oder auf seine baulichen Erfordernisse anzufertigenden Produkte. Vielmehr schreibt die Vergabestelle ausdrücklich bestimmte Serienprodukte vor, die nicht speziell für ein bestimmtes Gebäude angefertigt werden müssen, sondern genauso in einem anderen Gebäude Verwendung finden können. Schließlich beinhaltet die Leistungsbeschreibung die Lieferung von 3000 digitalen mobilen Endgeräten, die einen erheblichen Anteil des ausgeschriebenen Auftrags ausmachen. Dabei handelt es sich um die Beschaffung von Technik, die gerade nicht in oder an einem Gebäude montiert werden muss.
(Holger Schröder)

(Der Autor ist Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg.)

Kommentare (1)

  1. AS am 09.04.2019
    Die Wahl der falschen Vergabeart war nur eines von vielen Aspekten in diesem Verfahren. Unter massiver Missachtung vielfältiger Anforderungen des Vergaberechts sollte ein Produkt eines Herstellers, welches zusätzlich noch den höchsten Marktpreis hat, beschafft werden. Die Wahl der Vergabeart VOB diente offensichlich nur dazu, dass Verfahren dem Nachprüfungsinstanzen zu entziehen. Die VK Köln hat nachvollziehbar richtig und schlüssig argumentiert und entschieden, trotzdem will der Antragsgener über eine sofortige Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf den Beschluss anfechten (mündliche Verhandlung im August 19). Die Gebührenbefreiung der öffentlichen Auftraggeber und deren folgenloses Handeln fördert wesentlich diesen lockeren Umgang mit dem Vergaberecht. Der Gesetzgeber sollte überlegen ob die Befreiung unter diesem Aspekt sinnvoll ist.
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