Ausschreibung und Vergabe

Mit rund 180 Teilnehmern erfreute sich der Vergabetag Bayern 2015 ausgezeichneter Resonanz. (Foto: ABZ)

06.11.2015

Was sich ändert und was gleich bleibt

Vergaberechtsmodernisierung im Fokus des Vergabetags Bayern 2015

Die konkreten Änderungen, die sich durch die Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen ergeben und welche Konsequenzen dies für die Praxis nach sich zieht, standen im Mittelpunkt des Vergabetags Bayern 2015. Die Veranstaltung des Auftragsberatungszentrums Bayern e. V. (ABZ) fand in Kooperation mit der Bayerischen Architektenkammer und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau in München statt. In seiner Begrüßung nannte Walter Keilbart, Vorstandsvorsitzender des ABZ Bayern und Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern, wesentliche Neuerungen und Änderungen. „Eine der gravierendsten Folgen der Modernisierung wird die Einführung eines verpflichtenden elektronischen Vergabeverfahrens bei europaweiten Ausschreibungen bis Ende 2018 sein“, so Keilbart. Von diesem Ziel sei Deutschland bisher noch weit entfernt.

„Es handelt sich um das größte vergaberechtliche Gesetzgebungsverfahren der letzten 10 Jahre“, stellte Daniela Hein-Dittrich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie direkt zu Beginn ihres Vortrags fest. Bei seiner „Eins-zu-eins-Umsetzung“ der EU-Richtlinien habe sich das Wirtschaftsministerium in einem Spannungsfeld zwischen Vereinfachung der Verfahren einerseits und Einhaltung der strategischen Zielsetzungen andererseits bewegt. „Keine leichte Aufgabe“, so Hein-Dittrich. Anhand des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 8. Juli 2015 erläuterte Hein-Dittrich die wesentlichen Punkte der Umsetzung. Unter anderen sind dies, nachhaltige und innovative Beschaffung zu stärken, die Regeln zur Eignungsprüfung zu vereinfachen, arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen zu beachten, Freiräume für die öffentliche Hand zu erhalten, eine mittelstandsfreundliche Vergabe zu gewährleisten, Wirtschaftskriminalität wirksam zu bekämpfen, elektronische Kommunikation für das Vergabeverfahren zu nutzen und verlässliche Datengrundlagen für öffentliche Auftraggeber zu schaffen.

Regelwerk umstrukturieren


Um diese Aspekte angemessen zu berücksichtigen, sei eine Umstrukturierung der Regelwerke im Oberschwellenbereich erforderlich gewesen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das mit seinem vierten Abschnitt den Einstieg in das deutsche Vergaberecht bildet, wird um 50 Paragraphen erweitert und regelt zukünftig insbesondere die allgemeinen Vergabegrundsätze. Der 2. Abschnitt der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) sowie die Vergabe- und Vertragsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) werden in die reformierte Vergabeverordnung (VgV), welche die Details zur Vorbereitung und Durchführung der Verfahren regeln wird und ebenfalls bis 18. April 2016 fertig gestellt sein soll, in Gänze übergehen. Erhalten bleiben die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) und der sie bestimmende Vergabe- und Vertragsausschuss. Ebenfalls unangetastet bleibt der 1. Abschnitt der VOL/A zu den nationalen Vergaberegelungen.

Änderungen wird es in der Sektorenverordnung (SektVO) sowie der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) geben. Neu hinzu kommt eine Konzessionsverordnung (KonzVO), welche zukünftig auch Dienstleistungskonzessionen einem vergaberechtlichen Rahmen unterwerfen wird. Wesentliche Änderungen sind die Gleichrangigkeit von Offenem und Nicht-offenem Verfahren sowie die Stärkung des Verhandlungsverfahrens. Außerdem wird es im Bereich der Auftragsänderungen sowie Kündigungsmöglichkeiten während der Vertragslaufzeit Neuerungen geben. Die Einführung einer „Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung“ soll Firmen die Teilnahme an Ausschreibungen vereinfachen und zum Bürokratieabbau beitragen.

Professor Martin Burgi von der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der LMU München nahm sich in seinem Vortrag ausgesuchten Diskussionspunkten und Herausforderungen der Modernisierung des Vergaberechts an. In Anlehnung an die Stellungnahme des Bundesrats vom 25. September 2015 ging Burgi dabei insbesondere auf die Ausnahmen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit, den Umgang mit sozialen und ökologischen Kriterien im Vergaberecht sowie die Einführung eines Spruchrichterprivilegs für Mitglieder der Vergabekammer ein. Abschließend entwarf Burgi auch noch mögliche Szenarien für die Anpassung der Regelungen im Unterschwellenbereich. Konsens bestand darüber, dass eine Anpassung an die neuen Regelungen für europaweite Ausschreibungen baldmöglichst angestrebt werden soll, um zu verhindern, dass nationale Vergaben zukünftig strenger reglementiert sind als Oberschwellenvergaben. Einen interessanten Ansatz fand Burgi zur verpflichtenden E-Vergabe. Dies wird seiner Meinung nach zu mehr Kooperationen „kleiner“ öffentlicher Auftraggeber mit großen Vergabestellen führen. Sein Fazit: „Insgesamt kann der Vergaberechtsreform ohne übermäßige Furcht entgegengesehen werden!“
In der sich anschließenden Podiumsdiskussion kamen auch zwei Praktiker einer Vergabestelle und eines Unternehmens zu Wort, die ihre Sicht der Vergaberechtsmodernisierung schilderten. Eher kritisch beurteilte Elke Lienke vom Bayerischen Landesamt für Umwelt die Aussicht, dass bis Herbst 2018 alle Vergabestellen in Deutschland Verfahren vollelektronisch durchführen können.

Nicht reibungsfrei verlaufen


Obwohl sie selbst seit einiger Zeit auf die E-Vergabe umgestiegen seien, verliefen nicht alle Verfahren reibungsfrei und zeigten sich einige Probleme erst im Rahmen der jeweiligen Ausschreibung. Diese Fehler auszumerzen und die Systeme für die verschiedenen Verfahrensarten zu wappnen sei eine große Herausforderung für die Anbieter der diversen E-Vergabe-Lösungen.

Nicht verwunderlich war es insofern auch, dass sich die meisten Teilnehmer für den informativen Workshop „Auf in die digitale Zukunft! – Die verpflichtende Einführung der elektronischen Vergabe“ von Astrid Widmann von der Bundesagentur für Arbeit interessierten. Widmann ging detailliert auf den Zeitplan zur Umsetzung ein, wobei mehrere Umsetzungsfristen zu beachten seien. Ein vollständiges, unentgeltliches und uneingeschränktes Bereitstellen der Vergabeunterlagen auf elektronischem Wege muss bis zum 18. April 2016 erfolgen. Eine Ausnahme davon werde es nur in sehr eingeschränkten Fällen bei besonders sensiblen Daten geben. Längere Umsetzungsfristen gibt es für die vollelektronische Durchführung des Verfahrens einschließlich Zuschlag; diese sind der 18. April 2017 für zentrale Beschaffungsstellen und der 18. Oktober 2018 für alle anderen Stellen. Nicht betroffen von der Pflicht zur elektronischen Kommunikation sei die Korrespondenz über unwesentliche Bestandteile des Vergabeverfahrens innerhalb der Vergabestelle sowie zwischen dieser und Unternehmen. Widmann ging auch auf das Projekt XVergabe ein, welches als nationaler Standard in Deutschland etabliert werden soll. Ein so genannter Multiplattform-Bieterclient soll verschiedene eProcurement-Systeme integrieren und den Austausch mit einer einzigen, bundesweit einheitlichen E-Vergabe-Plattform ermöglichen.

Zu regen Diskussionen führten auch die anderen Workshops auf dem dritten Vergabetag Bayern:
Hans-Georg Stamer und Wolfgang Menzel gaben Tipps für die Eignungsprüfung und Zuschlagskriterien bei Ausschreibungen zu Versicherungsleistungen in der betrieblichen Altersversorgung. Welche Dimension derartige Ausschreibungen erreichen können, erfuhren die Teilnehmer direkt zu Beginn des Workshops. Denn meistens fällt die Ausschreibung einer betrieblichen Altersversorgung in den Bereich der europaweiten Ausschreibung, da bei der Schätzung des Auftragswerts 48 Monate ab Vertragsbeginn angesetzt werden müssen und damit der EU-Schwellenwert bereits bei einer Jahresprämie von zirka 50 000 Euro erreicht wird.

Ulrike Wächter von der VOB-/VOL-Stelle der Regierung von Oberbayern gab Einblicke in die Arbeit der VOB-Stelle im Allgemeinen und das dort angesiedelte Nachprüfungsverfahren bei VOB-Ausschreibungen im Unterschwellenbereich im Konkreten. Dabei gab Wächter auch Tipps für die Durchführung von Vergabeverfahren. Einer der Diskussionspunkte war die Frage, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, einen allzu großen Formalismus in Vergabeverfahren mit niedrigen Auftragswerten zu vermeiden, um hierdurch mehr Firmen zur Abgabe von Angeboten bewegen zu können.

VOF entfällt


Über den „Wegfall“ der VOF und deren Auswirkungen auf die künftige Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen diskutierte Susanne Messing vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit den Teilnehmern unter Moderation von Werner Weigl, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Rudolf Scherzer, Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer. Messing ging zunächst auf die zukünftige rechtliche Einordnung der besonderen Vorschriften für Architekten- und Ingenieurleistungen ein. Daran anschließend erfolgte die Darstellung der neuen Struktur der Vergabeverordnung (VgV) einschließlich des eigenen Kapitels für Planungsleistungen, wobei hier näher auf die Grundsätze, Verhandlungsverfahren als Regelverfahren, angemessene Beteiligung kleinerer Büros und von Berufsanfängern, keine überzogenen Eignungskriterien und Kostenregelung, eingegangen wurde. Vorgestellt wurde die Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) und in diesem Zusammenhang das noch nicht geklärte Verhältnis zur PQ-VOB. Hinsichtlich der VOB/A gab es den Hinweis auf die Aktualisierung des 2. und 3. Abschnitts sowie die für 2016 geplante Änderung des 1. Abschnitts. Breiten Raum in der sehr engagierten Diskussion mit den Teilnehmern nahm die geplante Änderung zur zukünftigen Berechnung des Auftragswerts bei Planungsleistungen ein, die allseits kritisiert wurde, da diese dazu führe, dass Vergaben im Unterschwellenbereich danach keine nennenswerte Rolle mehr spielten. Messing stellte in Aussicht, die geäußerten Bedenken in die nachfolgenden Beratungen im Ministerium einzubringen.
Den Abschluss der Veranstaltung bildeten die knapp zweistündigen Intensiv-Workshops, in denen die Teilnehmer konkrete Tipps von Vergabeexperten für die „Prüfung und Wertung von Angeboten“, zu „Änderungen an Vergabeunterlagen im Vergabeverfahren und nach Zuschlagserteilung“ sowie für die „rechtssichere Strukturierung und Durchführung von Verhandlungsverfahren“ erhielten.

Das Nachfordern fehlender Unterlagen, die Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien, die Verwendung von Fabrikatsangaben waren unter anderen die Themen, auf die Rechtsanwalt Tilmann Class in seinem Vortrag zur Prüfung und Wertung von Angeboten einging. Auf besonderes Interesse stießen aber auch die Ausführungen zu möglichen Bewertungsmatrizen im Rahmen der Wertung der Angebote.

Bessere Ergebnisse erhofft


Gerade von Verhandlungsverfahren erwarten öffentliche Auftraggeber bessere und wirtschaftlichere Ergebnisse, so Rechtsanwalt Stefan Höß. Der Verhandlungsspielraum und die Durchführung der Verhandlungen bedeuten jedoch immer auch ein höheres Risiko, gegen den Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz zu verstoßen, und es besteht die Gefahr eines Nachprüfungsverfahrens. Eine detaillierte Dokumentation aller Entscheidungen und aller Verhandlungsgespräche sei daher unbedingt erforderlich, so das Fazit.

Rechtsanwalt Tobias Schneider führte in seinem informativen und kurzweiligen Vortrag zunächst mit der Frage nach dem Bestehen eines vergaberechtlichen Änderungsverbots ein und stellte die in diesem Zusammenhang relevanten Phasen des Vergabeverfahrens dar. Anschließend wurden anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung der Vergabekammern und Oberlandesgerichte die Sachverhalte und mögliche Lösungen mit den Teilnehmern erörtert, wobei sich eine lebhafte Diskussion entwickelte.
Auch das „Nachprüfungsverfahren in der Praxis“ unter der Leitung von Matthias Steck, Vorsitzender der Vergabekammer Südbayern, war wieder ein Thema des Vergabetags Bayern. Die Teilnehmer erhielten Informationen zum Ablauf des Verfahrens, zum Instanzenzug sowie zu den Kosten des Verfahrens.
(Anna Schlange-Schöningen)

(Die Autorin ist Projektleiterin beim Auftragsberatungszentrums Bayern e. V.)

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