Bauen

Das Ortszentrum zum Zeitpunkt des Tunnelbaus. (Foto: Seilbahn Komperdell)

15.05.2015

Alles Gute kommt von unten

Serfaus: Die wohl einzige Dorf-U-Bahn der Welt feiert im Dezember ihr 30-jähriges Jubiläum

Nach sorgfältigen, intensiven Beratungen, Prüfungen und Abwägungen aller technisch-fachlichen Möglichkeiten bei gleichzeitiger Berücksichtigung der finanziellen Grenzen und größtmöglicher Umweltfreundlichkeit haben die Gesellschafter der Seilbahn Komperdell GmbH am 11. Dezember 1983 den Bau des „Verbindungssystems Serfaus“ –  so der damalige Arbeitstitel – einstimmig beschlossen. Denn neben der Millionenmetropole Wien wollte auch das kleine Feriendorf Serfaus, 1427 Meter über dem Tiroler Inntal gelegen, ein öffentliches Verkehrsmittel unter Tage. Und zwei Jahre später, am 14. Dezember 1985, nahm die „Dorfbahn Serfaus“ dann tatsächlich mit einer Jungfernfahrt ihren öffentlichen Fahrbetrieb auf. Eine Utopie war Wirklichkeit geworden und das, obwohl man die Realisierung des Projekts bereits im Planungsstadium in Abrede gestellt hatte.
In den Jahren 1984 und 1985 hieß es dann in dem heute rund 1100 Einwohner zählenden Serfaus beim Bau von Österreichs zweiter U-Bahn „Bauarbeiten unter erschwerten Bedingungen“. Denn die Fertigstellung lief nicht immer problemlos ab: So schaufelte ein Bauer wie gewohnt den Mist aus seinem Kuhstall direkt in den sauber betonierten U-Bahn-Tunnel hinein. Im Eifer des Gefechts hatte er vergessen, dass seine Miststatt ausgehoben worden war. Anderntags mussten die Baumaßnahmen einen Nachmittag lang ruhen, da eine kalbende Kuh allergisch auf den Bohrlärm reagierte. Ihre Drillinge kamen erst zur Welt, als alle Maschinen stillstanden...
Die Anekdoten über den U-Bahn-Bau werden nicht so bald in Vergessenheit geraten, auch wenn das umweltfreundliche Transportmittel jetzt schon seit fast 30 Jahren in Betrieb ist. Bis heute gibt es keine andere österreichische Stadt außer Wien, die sich ein öffentliches Verkehrsmittel unter Tage leistet. Für Serfaus war die Dorfbahn allerdings eine Notwendigkeit. Anfang der 1980er Jahre lag die Ferienregion umgeben von der Schweizer Samnaungruppe und den Ötztaler Alpen bei den Wintersportlern so hoch im Kurs, dass die dörfliche Infrastruktur den Ansturm der Urlauber nicht mehr verkraften konnte. Serfaus drohte am örtlichen Ferien-Verkehr zu ersticken.
Serfaus hatte schon früh in den 1970er Jahren erkannt, dass sich aufgrund seiner verkehrstechnischen Lage die Möglichkeit ergibt, den Ort weitgehend verkehrsfrei zu halten. Dies deshalb, da die Landesstraße Nr. 19 in Serfaus endet und es daher keinen Durchgangsverkehr gibt.
Nach dem Bau eines großen Parkplatzes am Ortsbeginn wurde ein allgemeines Fahrverbot für Serfaus erlassen. Diese Maßnahme prägte jahrelang das Image des Orts, ruhig und erholsam zu sein. Um nun aber die Skifahrer einerseits vom Parkplatz, andererseits vom Ortszentrum zu den westlich der Ortschaft gelegenen Seilbahnstationen zu bringen, wurde ein Buspendelverkehr eingerichtet. „Die einzige Lösung schien, die Autos gar nicht mehr ins Dorf hineinzulassen. Wir bauten eine Dorfschranke, davor einen riesigen Parkplatz, der für die Tagesgäste gedacht war. Busse brachten die Skifahrer dann zur Talstation und somit direkt auf die Skihänge“, erinnert sich Siegmund Tschuggmall, ehemaliger Tourismusdirektor.

Luftkissenseilbahn
als optimale Lösung


Zunächst bewährte sich diese Maßnahme recht gut, doch mit Zunahme der Gäste wurde der steigende Busverkehr aus Gründen des Lärms, der Schadstoffemissionen und der Unfallgefahr unerträglich.
Daher beschloss der Serfauser Gemeinderat im Frühjahr 1983, nach neuen Transportmitteln zu suchen und beauftragte damit die Ingenieurgemeinschaft Lässer-Feizlmayr (ILF), Innsbruck. Nach umfangreichen und intensiven Untersuchungen konnte dem Auftraggeber als optimale Lösung eine Luftkissenseilbahn, die unter der Dorfstraße in einem Tunnel führt, vorgeschlagen werden. Am 8. Dezember 1983 fasste der Serfauser Gemeinderat dann folgenden Beschluss: „Der Gemeinderat spricht sich einstimmig für die sofortige Realisierung des Projekts – Verbindungssystem Serfaus – aus. Außerdem ist der Gemeinderat einhellig der Auffassung, dass dem System der Firma Freissler-Otis aus lärmtechnischen und Betriebskostengründen der Vorzug zu geben ist.“
Die Dorfbahn ist auf der gesamten Streckenlänge eingleisig geführt, wobei der Betrieb vollautomatisch erfolgt. Um diesen vollautomatischen Betrieb gewährleisten zu können, ist der Tunnel durch eine Wand von den Bahnsteigen getrennt. In diesen Trennwänden sind automatische Schiebetüren installiert, die bei einem der vier Stationshalte des Wagens deckungsgleich mit dessen Wagentüren sind.
Die Vorzüge dieses Transportsystems gegenüber einem Rad-Schienensystem sind:
– geräuscharmer Wagen mit völliger Vibrationsfreiheit, dadurch fast keine Ausbreitung von Körperschall;
– rund 30 Prozent Gewichtsersparnis beim Wagen;
– minimale Reibung und dadurch geringerer Materialverschleiß (mithilfe des Luftdrucks bildet sich unter den Luftkissen ein Luftfilm von etwa einem Millimeter, auf dem der Wagen schwebt);
– keine Abnutzung der Fahrbahn im normalen Fahrbetrieb;
– erhöhte Sicherheit durch einfaches Notbremsverfahren mittels Kompressorabschaltung sowie
– geringe Instandhaltungskosten.
Die Unterflurlegung der Luftkissenbahn wurde aus Gründen der Erhaltung des Ortsbilds, des Umweltschutzes, der Unabhängigkeit von Witterungseinflüssen sowie als Folge der beengten Platzverhältnisse in Serfaus als einzig mögliche Bauweise von allen Beteiligten befürwortet. Die Serfauser „U-Bahn“ führt vom Ortseingang unter der Dorfstraße bis zur Talstation der Seilbahn Komperdell und hat eine Länge von 1280 Metern. Zwei Waggons befördern bis zu 2000 Personen pro Stunde.
Der Aushub des Tunnels einschließlich der Stationen erfolgte mit Hydraulikbaggern in offener Baugrube. Der anstehende Fels wurde großenteils mit hydraulischen Aufbruchhämmern abgeschrämmt, fallweise aber auch durch Sprengungen abgetragen. 40 000 Kubikmeter Aushubmaterial wurden auf die Deponien außerhalb von Serfaus befördert und dort zur Verbesserung der Skipisten und Langlaufloipen verwendet. Die Zugänge zu den Häusern mussten mittels Laufstegen aufrechterhalten bleiben. Immer wieder auftretendes Hang- und Grundwasser wurden in offener Wasserhaltung abgepumpt und über Vorfluter beseitigt.
Die Sicherungsmaßnahmen wurden aufgrund von Probebohrungen und Sondierschlitzen abschnittsweise festgelegt. Die offenen Baugruben wurden in den kritischen Bereichen mit bewehrtem Spritzbeton in Stärken von zehn bis 20 Zentimeter abgesichert, wobei wahlweise Rohranker mit einer Länge von sechs Metern beziehungsweise Aluvialanker mit einer Länge von bis zu 25 Metern zur Sicherung verwendet wurden. In Bereichen mit starkem Wasserandrang und weichen Böden waren Unterfangungen nötig, die großenteils mit Beton hergestellt wurden. Die Abspreizungen erfolgten mit Stahlbreitflanschträgern.
Heute ist die Dorfbahn, Sommer wie Winter, aus dem idyllischen Serfaus nicht mehr wegzudenken. Die Luftkissenbahn hat die Entwicklung des Örtchens in den vergangenen beinahe 30 Jahren entscheidend geprägt. „Unsere Ferienregion bewegt sich heute auf einem Niveau, das im Alpenraum seinesgleichen sucht. Man kann durchaus sagen, dass sich Serfaus erst mit der U-Bahn auf Familien- und Wellnessurlaub spezialisieren konnte“, bilanziert Tschuggmall.
Mit dem Betrieb der Serfauser Dorf-U-Bahn konnte der Ort eine erhebliche Verkehrsberuhigung erlangen, die lokalen Umweltbelastungen gingen zurück, das Dorfbild blieb wegen der unterirdischen Führung des Verkehrsmittels erhalten und die Unfallgefahr sowie die Abhängigkeit von Witterungseinflüssen sank so gut wie auf Null.
Dass die Einheimischen die Luftkissenbahn heute ebenso gerne benutzen wie die Urlaubsgäste, spricht eindeutig für die wohl einzige Dorf-U-Bahn der Welt. (Friedrich H. Hettler) (Gegenüberliegende Hauswände mussten abgestützt werden; Blick in den Tunnel (Foto: Andreas Kirschner) und in das Wageninnere; die Haltestelle Kirche - Fotos: Seilbahn Komperdell)

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