Bauen

Viele Baureihen, wie zum Beispiel die farblich imposante rot-blaue Siedlung Italienischer Garten und weitere Haesler-Gebäude wie das Direktorenhaus sowie das mit viel Detailtreue betriebene Haesler-Museum, stehen zur Besichtigung offen. (Foto: CMT GmbH)

06.09.2018

Am Geburtsort des Neuen Bauens

Celle: Architekt Otto Haesler und die Bauhaus-Architektur

„Wenn die Welt wüsste, was wir hier haben…“, so spricht Klaus Lohmann, Geschäftsführer der Celle Tourismus und Marketing GmbH (CTM) oft, wenn er über die nieder- sächsische Residenzstadt am Rande der Lüneburger Heide spricht. Was er damit meint, ist die Vielzahl an Gebäuden und Spuren des „Neuen Bauens“, welche der Architekt Otto Haesler in Celle in den 1920er-Jahren hinterlassen hat.

Mit über 490 originalgetreu restaurierten Fachwerkhäusern stellt Celle als „Fachwerkjuwel an der Aller“ das größte geschlossene Fachwerkensemble Europas dar und zählt zu einer der schönsten Fachwerk- und Renaissancestädte Deutschlands. Das pittoreske Welfenschloss, das zu einem der wundervollsten seiner Art in Norddeutschland zählt, die historische Altstadt oder das einzigartige 24-Stunden-Kunstmuseum kennen viele.

„Glasschule“ erlangte internationale Aufmerksamkeit


Doch nur Wenigen ist bekannt, dass Celle mitunter als Geburtsort des „Neuen Bauens“ bezeichnet werden kann und beim Thema Bauhaus-Architektur in der Liga von Weimar und Dessau durchaus mitspielt. Sowohl quantitativ, betrachtet man die Vielzahl der wunderbar erhaltenen und teilweise noch in der ursprünglichen Bestimmung genutzten Bauwerke, als auch qualitativ, wenn man zum Beispiel an die Altstädter Schule denkt, die in den 1920er-Jahren als „Glasschule“ internationale Aufmerksamkeit erlangte und Besucher aus aller Welt anzog. Die damalige Schulleitung musste die Besichtigungen aufgrund des Andrangs auf Donnerstag nachmittags und Samstag vormittags legen und dafür 50 Pfennige Eintrittsgeld erheben. Von den Einnahmen wurde Milch für die Schülerinnen und Schüler gekauft.

Doch neben einzigartigen Geschichten gibt es auch bemerkenswerte Fakten zum Thema „Neues Bauen“ in Celle. Fakt ist, dass die auch heute noch als Grundschule genutzte „Glasschule“ zu den wichtigsten Bauhaus-Gebäuden weltweit zählt und Celle bundesweit die größte Dichte an Bauhaus-Architektur aufweist.

Zu verdanken hat Celle diese architektonisch globale Bedeutung dem Architekten Otto Haesler (1880 bis 1962), der während der Weimarer Republik den sozialen Wohnungsbau von Celle aus perfektionierte. Durch seine klare Formsprache, die Nutzung von Grundfarben und die Einbeziehung in Celle hergestellter Stahlrohrmöbel zählt er neben Walter Gropius und Hannes Meyer zu den Pionieren und Wegbereitern des Neuen Bauens beziehungsweise der Bauhaus-Architektur. Viele dieser Baureihen, wie zum Beispiel die farblich imposante rot-blaue Siedlung Italienischer Garten und weitere Haesler-Gebäude wie das Direktorenhaus sowie das mit viel Detailtreue betriebene Haesler-Museum, stehen zur Besichtigung offen.

Das Bauhaus hatte bekanntlich in den 1920er-Jahren sein Kraftfeld in Weimar, Dessau und Berlin als jeweiligem Sitz der Bauhaus-Schule und Bauhaus-Werkstätten. Einer, der selber nie am Bauhaus tätig war, aber von der Idee des Neuen Bauens stark inspiriert war, war Otto Haesler.

Wechselseitige Inspirationen und Austausch


Ein Forscher und Tüftler, einer, der weniger an der Lehre als an der konkreten Umsetzung interessiert war. 1907 nach Celle gekommen, baute er dort in den 1920er-Jahren sieben Einzelbauten und Siedlungen im Stil des Neuen Bauens, die national und international stark beachtet wurden. Außerdem führte er eine Vielzahl weiterer An- und Umbauten durch und nahm auch über Celle hinaus an vielbeachteten Wettbewerben teil (unter anderem Karlsruhe-Dammerstock – Umsetzung gemeinsam mit Walter Gropius).

Von Gropius als Nachfolger von Hannes Meyer als Bauhaus-Direktor vorgeschlagen, lehnte er mit Hinweis auf seine Forschungen und Bauvorhaben ab. Durch enge Kontakte auch über Gropius hinaus zum Bauhaus, von denen einige Schülerinnen und Schüler in seinem Büro arbeiteten, gab es wechselseitige Inspirationen und Austausch. Otto Haesler hat auf seine ganz eigene Art, eigenständig und eigensinnig, die Ideen des Bauhauses in der Provinz umgesetzt und dadurch eigene Impulse für die Bauhaus-Idee geliefert.

Bauten und Siedlungen sind heute überwiegend im Originalzustand erhalten


Sechs seiner sieben in den Jahren von 1923 bis 1931 in Celle entstandenen Bauten und Siedlungen sind heute überwiegend im Originalzustand erhalten und werden fast alle in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt. Im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 sollen diese Bauten und Siedlungen des „Neuen Bauens“ von Otto Haesler in Celle im Mittelpunkt stehen und auf verschiedenen Ebenen sowohl dem Fachpublikum als auch der Öffentlichkeit präsentiert werden: im Otto-Haesler-Museum und den original erhaltenen Schlichtwohnungen; zu Fuß, per Rad oder Segway entlang des Rundwegs zu seinen Bauten, in Form von Ausstellungen, Veranstaltungen, Festen und Aktionen in und um die Original-Bauwerke von Otto Haesler.

Mit einer original erhaltenen und eingerichteten Arbeiter-Bauhaus-Wohnung, einer Arbeiterwohnung im Einrichtungszustand der 1950er-Jahre, einer Flüchtlingsunterkunft des Jahres 1945, einem original Wasch- und Badehaus Baujahr 1931 sowie einer umfangreichen Fotoausstellung über das Leben in einer Arbeiter-Bauhaus-Siedlung ist dieses Museum einmalig in Deutschland.

Die Stadt Celle ist Teil der Grand Tour der Moderne


Aufgrund ihrer Bauten von Otto Haesler im Bauhausstil ist die Stadt Celle Teil der Grand Tour der Moderne – einer eigens anlässlich des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums konzipierten Reiseroute. Celle zählt damit deutschlandweit zu rund 100 kulturhistorisch relevanten Orten, die zu einer attraktiven Route miteinander verbunden werden. Diese groß angelegte Jubiläumskampagne vom Bauhaus-Verbund 2019, dem Zusammenschluss aller drei landeseigenen Bauhaus-Stätten, macht die Geschichte der Moderne von 1900 bis 2000 für Besucher mit der Bahn, dem Auto oder Fahrrad erfahrbar.
Bauhaus-Architektur in Celle: Altstädter Schule „Glasschule“, erbaut 1926/1928;  Rektorenhaus, erbaut 1926/1928; Siedlung „St. Georg Garten“, erbaut 1925/1926; Direktorenhaus, erbaut 1930/1931; Siedlung „Italienischer Garten“, erbaut 1923/1925; Siedlung „Galgenberg/Blumläger Feld“, erbaut 1930/1931 und das Haesler Museum.
(BSZ)

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