Bauen

Im Wohnturm Ravensberg befinden sich 34 Eiegentumswohnungen. (Foto: Schnittger Architekten - Felix Winter)

15.07.2016

Bestand inspiriert die Moderne

Der Kieler Wasserturm Ravensberg wurde zum Wohnturm umfunktioniert

Der runde Wasserturm Ravensberg in Kiel stammt aus dem Jahr 1896 und gilt als Kulturdenkmal mit besonderer Bedeutung. Sein Erbauer, der damalige Kieler Stadtbaurat Rudolph Schmidt, entwarf den 30 Meter hohen Funktionsturm mit einem Durchmesser von rund 24 Metern mit Rücksicht auf die umliegende Wohnbebauung bewusst aufwendig und angelehnt an Stadt- und Burgtürme mit Pickelhaube. Ornamente und Fenster zieren den auf der höchsten Stelle des Kieler Stadtteils Ravensberg errichteten Turm. Mit einem Bodentank und einem Ringbehälter in 15 Metern Höhe, innen an der Außenmauer des Wasserturms, stellte er Wasser mit ausreichend Druck für die hohen Häuser in der Holtenauer Straße bereit. 1990 wurde der Ringbehälter des Backsteinbaus außer Betrieb genommen. Die Stilllegung des unteren Wassertanks folgte im Jahr 2000. Die Stadt diskutierte den Abriss des Turms, weil die Bausubstanz im argen war. In den 102 Jahren seines Bestehens trat Wasser in die Fugen des Ziegelmauerwerks ein und führte zu Auswaschungen, Frostschäden und Abplatzungen. Dachbalken und Fenster waren morsch. Schließlich verkaufte die Stadt Kiel den Turm für einen Euro an den Designer und Lichtarchitekten Johannes Dinnebier, der ihn im Originalzustand mit der Kulturplattform Lore & Lay für Konzerte, Aufführungen und Events nutzte.
Verschiedene Ideenwettbewerbe für wirtschaftliche Nutzungen des Turms, zum Beispiel darin ein Kongresszentrum zu errichten, scheiterten an der Wirtschaftlichkeit. Auf einer Weihnachtsfeier des Architekturbüros Schnittger Architekten kamen die Architekten mit dem Verwalter des Turms, Thomas Hamann, ins Gespräch und entwickelten eigene Ideen für die Nachnutzung des Turms, beispielsweise als exklusives Wohnhaus, die dem Projektentwickler Peter Drieske vorgestellt wurden.

34 Eigentumswohnungen


Dann kam eines zum anderen. Schnittger Architekten wurden für die Planung des exklusiven Wohnhauses beauftragt, verantwortlich zeichnete Felix Winter. Der Bauherr BPB Bauträger-, Projektentwicklungs- und Bauerschließungsgesellschaft mbH, Hamburg, investierte rund 17 Millionen Euro in die Umnutzung. 34 Eigentumswohnungen mit 107 bis 181 Quadratmetern Wohnfläche entstanden, zum Teil über zwei bis drei Etagen, eine Tiefgarage mit 92 Stellplätzen und einer spektakulären Erschließung mit rundem Designer-Glasaufzug den eine Kieler Firma eigens dafür entwarf sowie herstellte und via Hubschrauber und Kran über das Dach des Turms einbaute. Virtuose Millimeterarbeit, bei der alles glatt ging.
Die Entkernung, Instandsetzung und Ergänzung des Turms verlief seit 2013 teils spektakulär und dauerte über drei Jahre. Ursprünglich war die Fertigstellung für 2015 geplant. Aber der außergewöhnliche Bauprozess war zeitaufwendig. Immer wieder waren Bauzwischenzustände nachzuweisen und Abfangungen sowie Abstützungen erforderlich, damit der Turm nicht einstürzte.
Einen Winter lang stand der entkernte Turm völlig offen, ohne Dach, das rückgebaut und nach dem Originalvorbild neu ausgeführt wurde. Die Fertigstellung gelang Mitte 2016. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die 34 exklusiven Eigentumswohnungen sind verkauft. Das spektakuläre Bauprojekt hob die Quadratmeterpreise in Kiel auf den dort möglichen Höchstpreis von 4500 bis 5000 Euro/m² an. Trotz des Exklusivitätsanspruchs sind die Wohnungsgrößen – auf den Kieler Wohnungsmarkt zugeschnitten – nicht überdimensioniert und die 22 Wallwohnungen tragen wesentlich zur Wirtschaftlichkeit des Bauwerks bei. Der entstandene Wohnraum hat schon aufgrund der Einzigartigkeit einen hohen und nachhaltigen Wert. Zunächst wurde der Erdwall um den Turm abgetragen, sodass sein backsteingemauerter und abgetreppter Sockel sichtbar wurde. Südseits wurde eine Öffnung herausgesägt, die Zugang für die Entkernung des bisher unterirdisch gelegenen Sockels mit einem Bagger schaffte, und durch den später die Eingänge zu den Wallwohnungen entstanden, in denen Teile des Mauerwerks sichtbar bleiben, sowie der Gang, der die Tiefgarage mit dem Turm verbindet und der als prominenter barrierefreier Zugang fungiert. Auch der Aufzugsschacht wurde hier angelegt. Für die Entscheidungsfindung, wie das Bauwerk statisch für die Öffnungen und Geschossbildung gehandhabt wird, fanden im ersten Schritt Kernbohrungen statt, die zeigten, dass das Bauwerk durchgehend solide gemauert ist. Die Aushub- und Durchbrucharbeiten waren von schrittweise geschaffenen Abfangungen begleitet, die das Bauwerk stabilisierten, bis nur noch die dünne Backsteinhülle stand, in der dann die sechs Geschosse, die Wohnugsgrundrisse und der Treppenaufgang entstanden. Eigenlasten der Turmhülle mussten von tragenden Bauteilen aufgenommen und sicher in den Baugrund geleitet werden. Die Sägearbeiten erfolgten mit eigens dafür gefertigten Rundsägen. Die Fenster des Bauwerks wurden komplett entfernt. Sie orientieren sich an der ursprünglichen Formensprache in dreifacher Isolierverglasung und sind in Kunststoff neu ausgeführt. Die Fassade des Turms wurde komplett gereinigt und erhielt nach historischem Vorbild ein neues Fugennetz, das anschließend versiegelt wurde. Von der Tiefgarage führt ein Gang zum Treppenhaus und Aufzug. Dieser Zugang dient gleichzeitig auch als barrierefreier Zugang. Die gläserne Röhre bringt einen lautlos und schnell nach oben. In jedem Geschoss gehen die Wohnungstüren strahlenförmig ab. Auch die mehrgeschossigen Wohnungen haben aus Gründen des Brandschutzes in jeder Etage einen Wohnungszugang. Der eigentliche und fußläufig erreichbare, verglaste Eingang des heutigen Turms befindet sich auf Höhe des zweiten Geschosses und ist in einem acht Meter hohen, rechteckigen und sachlichen Design ausgeführt.
An der gläsernen Tür zur Eingangshalle des Turms ist die Backsteinwand im Originalzustand belassen, mit sichtbaren Spuren der Sägeblätter. Von der sechsten Etage aus führt eine Treppe in den runden Aussichtsturm, der mit einem Glasboden und außen einem Gitterrost versehen ist, die den Blick in den Aufzugsschacht und in die Halle freigeben. Durch die Fenster (so man groß genug ist) blickt man über Kiel bis zur Förde und auf die offene See. Der mittig in der Eingangshalle situierte Aufzug ist von einer Treppe umwendelt. Der Premium Glasaufzug ist mit maximaler Transparenz designed, sodass die Technik filigran und fast unsichtbar in den Geschossringen verschwindet. Die Glasscheiben sind geschosshoch, bis zu 4,9 Meter, sodass der „Fahrgast“ in der Rundkabine während der Fahrt freien Blick in die Turmhalle hat. Das Design und die Sicherheit des Glases wurde mit entsprechenden Tests geprüft.
Auf Akustikdecken wurde in der Halle bisher verzichtet. Seitens des Brandschutzes sind die Wände und Türen in feuerfestem Material ausgeführt. Weil der Turm aus Sicht des Brandschutzes als Hochhaus gilt, muss jede Wohnung einer Etage eine Tür aufweisen. Im Falle eines Brands öffnen sich automatisch betriebene Fenster in den Wohnungen, sodass in der Halle, die den Fluchtweg darstellt, keine Rauchentwicklung ensteht. Die gewendelte Treppe entlang des Aufzugs begeht sich aufgrund der Trittstufentiefe und Höhenabstände sehr angenehm. Alle Wohnungen sind mit Fußbodenheizung und einer Wärmerückgewinnungsanlage ausgestattet. Das Gebäude ist an die Fernwärme angeschlossen und hat den Energiepassausweis für KfW 70, Stand 2009. Die Stadtwohnungen entsprechen dem KfW Standard Denkmal. Die Wallwohnungen geben dem Turm äußerlich eine moderne Note. Man begeht sie durch einen schmalen Eingangsbereich, der dem historischen Sockel des Turms entspricht und in lichtdurchflutete Wohnräume mündet, mit rund 40 Quadratmeter großen Terrassen und Blick ins Grüne.
Die sechs Stadtwohnungen erstrecken sich über die zweite bis vierte Etage und setzen der historischen Backsteinwand der Turmhülle Raumhöhen von 2,75 Metern bis zu sechs Metern und moderne sowie meist in Weiß ausgeführte Materialien entgegen. Das zweite Geschoss wirkt durch die Backsteinwand und die hohen sowie schmalen Fenster elegant. Parkettböden und lebendige Grundrisse vermitteln einen wohnlichen und einzigartigen Charakter. Auf der dritten Maisonette Ebene der Stadtwohnungen werden die Räume ausschließlich durch in das Mauerwerk eingesägte runde Fenster, sogenannte Bullaugen, belichtet, die nach Abstimmung mit der Denkmalpflege in das historische Mauerwerk eingesägt werden durften. Die Räume bleiben dadurch auch bei gleisendem Sonnenschein im Halbdunkel. Schlafzimmer und Bäder sind dort vorgesehen. Die sechs zweigeschossigen Penthouswohnungen mit Dachterrasse wirken lichtdurchflutet und ob der Fenster sowie dem Blick über die Stadt elegant. Die Dachterrasse entstand durch das Zurückschneiden des Dachs des Turms und wurde nach langen Diskussionen mit der Denkmalpflege möglich. 
(Elke Kuehnle) Der völlig entkernte Turm; Detail des Turms; das Dach wurde nach Originalvorbild neu ausgeführt und der neue Eingangsbereich mit dem Designer-Glasaufzug - Fotos: Schnittger Architekten - Felix Winter)

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