Bauen

Das Karwendelrohr von vorne gesehen. (Foto: Steinert)

25.10.2019

Das Karwendelrohr: sein Meisterstück

Eberhard Steinert – Architekt, Bauleiter, Altbausanierer und Brandschutzexperte

Des Autors Quizfrage gleich am Anfang: Was haben das überregionale Fernrohr aus Stahl, Beton und Lärchenholz, in vulgo gerne auch Karwendelrohr genannt, und der Erweiterungsbau des Geschwister-Scholl-Studentenheims in unmittelbarer Nähe des Münchener Museumsviertels (mit den Handschriften von Leo von Klenze und Stephan Braunfels) gemeinsam? Antwort: Den regionalen Ausgangspunkt der Olympia-Hochburg Garmisch-Partenkirchen, dem Bürostandort von Eberhard Steinert und seinem Architektenteam.

Dem immer noch jugendlich wirkenden Steinert, seit 1979 im Beruf, gelang es schon sehr früh, in die Champions-League der Kreativsten seines Fachs einzuziehen. Aushängeschild seit Anbeginn seiner Karriere wurde das ab 2004 geplante Natur-Informationszentrum in der westlichen Karwendelgrube auf 2244 Metern Höhe und in unmittelbarer Nähe der Karwendelbahn: Alpine Architektur vom Feinsten.

Es bedarf, nachträglich betrachtet, nicht sehr großer Phantasie, um sich vorzustellen, welche Schockwellen dieses geplante Projekt bei Lokalpolitikern, Bauämtern und Naturschützern ausgelöst haben muss. Doch die Erkenntnisse des großen deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer bewahrheiteten sich auch hier: „Ein neuer Gedanke wird zuerst verlacht, dann bekämpft, bis er nach langer Zeit als selbstverständlich gilt.“

Skepsis überwunden

Inspiriert, so Steinert, von der freien Architektur des Architektenteams Behnisch und Frey aus Stuttgart, die sich mit dem Olympia-Zeltdach in München ein Denkmal gesetzt haben, griff er die Anregungen des bayerischen Umweltministeriums, das für einen Museumsbau plädierte, gerne auf. Mit finanzieller Unterstützung der Allianz-Umweltstiftung, allen voran Lutz Spandau, dem Vorsitzenden des Vorstands, mit Fördermitteln der EU und schlussendlich auch mit dem Einverständnis des anfangs skeptischen Bürgermeisters Sepp Zahler, konnte der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber bereits 2006 den Grundstein legen und zwei Jahre später sein Nachfolger Günther Beckstein die Einweihung vornehmen.

Hatte das „Karwendelrohr“ anfangs noch den Ruch des Exotischen (nach Ansicht der Gegner zu keck und zu postmodern), entpuppte es sich schon in der Bauphase und erst recht nach Fertigstellung als Besucher- und Kassenmagnet: Als Deutschlands höchstgelegenes Naturinformationszentrum an der Bergstation der Karwendelbahn sieht es aus wie ein gigantisches Fernrohr; verbilligte Berg- und Talfahrten lockten schon in der Bauphase zusätzliche Besucher an.

Der Blick aus dem großen Panoramafenster wandert direkt runter in das Mittenwalder Tal und reicht bei gutem Wetter sogar bis zum Starnberger See, alles in allem ein Blick in das größte zusammenhängende Naturschutzgebiet der Ostalpen. Im Karwendelrohr selbst finden wechselnde Ausstellungen statt. Im sogenannten Medienraum laufen Naturfilme, etwa über die Isar, die gleich im nächsten Tal, und zwar auf Tiroler Seite, entspringt. Dies war mit ein Grund für die EU, zwei Jahre später auch in Hinterriss ein „Spiegel-Projekt“ zu unterstützen.

Mehrfach und hartnäckig mit der Frage bedrängt, ob er, Steinert, sich Maßstäbe für die Zukunft gesetzt habe, ja geradezu Visionär sei und neue Baustile voraussehen könne, korrigiert er den Fragesteller. Natürlich gebe es Projekte, die zu einem guten Ergebnis geführt werden können. Für das Architekturbüro Steinert sei es bisher aber wichtiger gewesen, nachzuweisen, dass sie alles können, sprich: in der Lage sind, die Anforderungen von Bauherren perfekt umzusetzen. Voraussetzung sei jedoch auch, dass Bauherren offen sind für Lösungsvorschläge. Auch Steinerts Berufskollege Tilman-Joseph Breitbach als ehemaliger Heimleiter des Geschwister-Scholl-Studentenheims stimmte dem zu und ergänzte: Nicht alleine der Architekt entscheide über das Visionäre eines Projekts, sondern es liege auch oft in der Wahrnehmung des Betrachters; was ganz offensichtlich beim Karwendelrohr nachvollzogen werden kann.

Auch wenn von Führungskräften der Wirtschaft der Satz, dass gute Mitarbeiter alles könnten, öfter zu hören ist, lässt es einen als Gesprächspartner erstmal zusammen zucken. Wirklich alles? Oder war es nur anders gemeint? Wer in seiner Biographie ausweisen kann, Berufserfahrungen als Architekt, Bauleiter, Altbausanierer und Brandschutzexperte gesammelt und unter Beweis gestellt zu haben, wie Eberhard Steinert, und wer von seinen Berufskollegen geschätzt wird (sonst hätte man ihn wohl nicht Anfang 2018 zum stellvertretenden Vorsitzenden des BdA in Bayern gewählt), dem billigt man starke Worte zu.

Bei den strengen Vorgaben des Bebauungsplans – er stammt aus den 1950er-Jahren – und den stringenten Auflagen der Lokalbaukommission (etwa Zeilenbau statt Blockbauweise oder Mehrparteienhäuser nur mit ausgebauter Tiefgarage) muss man alle Register seiner Profession ziehen können, um zwei in Zeilenbauweise gebaute Einzelunterkünfte durch einen rechtwinkligen Erweiterungbau zu ergänzen: Es ließ die Stadtplaner anfangs blass werden, musste doch das Prinzip der Zeilenbauweise durchbrochen werden.

Beim Geschwister-Scholl-Studentenwohnheim in München ist das gelungen: Durch den Verzicht auf Kfz-Stellplätze, die radfahrende Studenten in der Regel nicht brauchen, errichtete das Architekturbüro Steinert einen Neubau, der weiteren 55 Studenten eine Unterkunft bietet. So wie es zurzeit aussieht, wird der 92jährige Altoberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, Mitbegründer des Vereins Studentenwohnheim Geschwister Scholl e.V., und die bereits pensionierte ehemalige Münchener Stadtbaurätin Elisabeth Merk den Einweihungsfeierlichkeiten des Erweiterungsbaus Ende 2019 beiwohnen. Denn beide waren, neben den zahlreichen Förderern und Geldgebern, auf der stadtpolitischen Ebene ganz wichtige Triebfedern für den Weiterbau des Scholl-Studentenheims, das mit Haus 1 und 2 bereits 1950 initiiert wurde und mittlerweile rund 300 Studenten ein Ersatzzuhause auf Zeit bietet, bei steigendem Bedarf.

Wie der Bayerische Rundfunk am 3. September 2019 in einer Nachrichtensendung berichtete, sind in München 33 Prozent aller Studenten Heimschläfer, wohnen also noch bei Ihren Eltern – was weitestgehend eine Folge der hohen Mieten ist. Das Studentenheim Geschwister Scholl versucht mit seinem Erweiterungsbau etwas Abhilfe zu schaffen, obendrein mit einer sehr attraktiven monatlichen Miete von nur 365 Euro.

Geht nicht? Geht doch! Architekt Steinert und die „Schollis“ (so der Spitzname für die Bewohner des selbstverwalteten Studentenheims Geschwister Scholl) stellen es unter Beweis. Die Schulen und öffentlichen Gebäude, die sich Eberhard Steinert zukünftig für Altbausanierungen wünscht, dürfen sich schon jetzt auf die Ergebnisse freuen. (Ulrich Probst)

(Architekt Eberhard Steinert - Foto: Probst)

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