Bauen

John Frazer, Reptile Flexible Enclosure System, 1970. (Foto: John Frazer)

30.11.2020

Der digitale Bleistift des Architekten

Die Ausstellung „Architekturmaschine“ beschäftigt sich mit dem Phänomen Mensch und Computer

Verändert der Computer die Arbeit des Architekten, einen der ältesten Berufszweige der Menschheit? Stellt er das Selbstbild des Baukünstlers infrage? Hat er Einfluss auf die Formensprache der Baukunst, die sich stets neu erfindet? Verändert er die menschliche Kreativität? Wie ist das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine? Wer hat letztendlich die Kontrolle? Welche Chancen eröffnet die digitale Welt der Architektur? Welche Vorbehalte gegenüber maschineller Intelligenz und künstlich generierten Scheinräumen äußern Kritiker? Wie sammelt, katalogisiert, konserviert und reanimiert man alte digitale Daten in Architekturarchiven? Und seit wann spielt die Rechenmaschine überhaupt eine Rolle beim Bauen? Diese spannenden Fragen stehen im Zentrum der beachtenswerten Ausstellung Die Architekturmaschine – Die Rolle des Computers in der Architektur, die coronabedingt jetzt verlängert wurde und bis zum 6. Juni 2021 im Architekturmuseum der TUM in der Münchner Pinakothek der Moderne gezeigt wird.

Die Ausstellung ist das Ergebnis eines zweijährigen Forschungsprojekts der Technischen Universität München, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wurde. In vier Kapiteln rollt die Ausstellung anhand einer Auswahl von rund 40 Projekten der letzten sechs Jahrzehnte die Geschichte der sogenannten digitalen Revolution am Beispiel der Architektur auf. Dabei wird der Computer als Zeichenmaschine, als Designwerkzeug, als Medium des Geschichtenerzählens und als interaktive Plattform hinterfragt.

„Wenn Computer Menschen wären, kämen sie jetzt ins Rentenalter“, sagt Kuratorin Teresa Fankhänel von der TUM und ergänzt augenzwinkernd: „Wenn Mensch und Maschine eine Vernunftehe eingegangen sind, dann würden sie jetzt diamantene Hochzeit feiern.“

Seit eineinhalb Generationen, von den 1960er-Jahren bis heute, hat der Computer als neues Medium zweifellos unser Leben in vielfältiger Weise verändert. Dabei bildeten die 1990er-Jahre mit der Kommerzialisierung des Internets einen entscheidenden Wendepunkt. Tim Berners-Lee entwickelte um das Jahr 1989 am Cern in Zürich die Grundlagen des World Wide Web. Die Netzkultur war die Geburtsstunde der digitalen Revolution.

Vergleichbar mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts ist die digitale Technologie – mit allen der sich daraus ergebenen Chancen und Risiken – zu den wichtigsten technischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte zu rechnen. Die Visualisierung der tief in die Materie der Bits and Bytes vorstoßenden Themenschwerpunkte, von Ausstellungsarchitekt Florian Bengert durch modulare Plexibauteile als sprechende Architektur für die einzelnen Sektionen geschickt in Szene gesetzt, geschieht nur wenig spielerisch durch haptische Modellbauten, als vielmehr textlastig mittels Schautafeln, digitaler Fotografie, Beamer und VR-Installation.

Beiläufig gibt die Schau nicht nur eine Übersicht über historische Eingabegeräte zum Zeichnen am Computer, sondern liefert auch mit einer neu recherchierten Software-Timeline einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Architektursoftware.

Überblick über die Geschichte der Architektursoftware


In seinen Anfängen verbreitete das computergestützte Entwerfen CAD (Computer-aided design) noch ein Gefühl von Demokratisierung der Architektur. Dass die Vorstellung vom weißen Architekturbüro ohne Papier eine Utopie war, zeigt in der Ausstellung ein Stapel Endlosdruckpapier mit Führungslöchern an den Seitenrändern, das mit dem Aufkommen des Nadeldruckers in den 1970er-Jahren auch Einzug in den Heimbereich erhielt.

Der Siemens-Pavillon für die Cebit-Messe 1970 in Hannover von Ludwig Rase und Georg Nees war in Deutschland das erste mithilfe eines Computers entworfene Gebäude und galt als Probelauf für Systembauprojekte mit computergestützten Entwurfs- und Visualisierungstechniken. Ein weiterer Beitrag kurz darauf war der Wettbewerbsentwurf für die Bauten des Bundes in Bonn von Oswald Mathias Ungers und Werner Goehner. Für Ungers, der sich mit Stadtplanung und Massenwohnungsbau beschäftigte, blieb der Computer nur ein Hilfsmittel, mit dem statistische Rechenprozesse optimiert werden konnten. Wie sein US-amerikanischer Kollege, der Städteplaner und Hochschullehrer Louis Kahn, sah Ungers im Computer eine Bedrohung für Individualismus, Kreativität und Kunstfertigkeit.

Wie sich unsere digitale Welt verändert hat, wird in der Ausstellung allein schon mit Blick auf den Designwandel der Computermaus deutlich. Die Maus ist zum Griffel des Architekten und zum Surrogat des analogen Zeichnens geworden. Und sie ersetzte den anfangs direkt zum Zeichnen auf den Röhrenbildschirm eingesetzten Lightpen des US-Amerikaners Ivan Sutherland, dessen Programm „Sketchpad“ in der digitalen Entwicklung damals bahnbrechend war und die Algorithmisierung des Zeichenprozesses, Grundprinzip der neuen Visualisierung, vorwegnahm.

Mit der Reanimation dieser ersten Zeichensoftware durch Rekonstruktion von Daniel Cardoso Llach wird die Problematik der Zugänglichkeit alter Softwaredaten und -programme deutlich, die durch fortschreitende Technik bereits verloren gegangen sind. Daran anknüpfend stellt sich gleich die Frage nach dem Erhalt von Zeichnungen und Modellen architektonischer Artefakte in Zeiten der Digitalisierung. John Frazer ersetzte Leuchtstift und Computermaus. Zusammen mit seiner Frau Julia entwickelte er ein elektronisches Steckmodell, das für das Londoner Projekt von Walter Segal die Position aller modularen Holzbauteile auslas und den Entwurf auf seine Realisierbarkeit überprüfte, was an zeitgleich entwickelte Schachcomputer denken lässt.

Spektakulär präsentiert sich Bernhard Frankens auf einer Simulation zweier sich aufeinander zubewegender Wassertropfen basierende Entwurf des Ausstellungspavillons BMW Bubble. Das amorphe Gebäude war 1999 ein Eyecatcher auf der internationalen Automobilausstellung in Frankfurt. Als Neuentdeckung gelten kann Donald Greenbergs Animation Cornell in Perspective (USA, 1969-1972). Sie wurde eigens für die Ausstellung aus dem originalen 16-Millimeter-Film digitalisiert und zeigt den ersten großformatigen gerenderten Durchflug eines städtischen Raums.

Interaktion zwischen Mensch und Computer
ist weit fortgeschritten

Die chronologisch aufgebaute Ausstellung zeigt im dritten Abschnitt technologischer Weiterentwicklung auch mehrere Beiträge zu dem ersten Architekturwettbewerb, für den eine Animation als Teil des Entwurfsauftrags für einen Museumsbau gefordert wurde: das ungebaute Eyebeam Center in New York, ein Projekt, das infolge der Anschläge am 11. September 2001 nicht realisiert wurde.

In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Digitalisierung, welche die Designberufe vom Architekten bis zum Filmemacher im weiten Spannungsfeld zwischen Ästhetik und Pragmatismus verändert hat, rasant an Fahrt aufgenommen. Wo sich Gebäudestrukturen aufzulösen scheinen, um digital neu generiert und interpretiert zu werden, wird das US-amerikanische Architekturbüro Asymptote Architecture zum Vorreiter.

Wie weit die Interaktion zwischen Mensch und Computer fortgeschritten ist, demonstrieren auch Medienkunstprojekte und Computerspiele. Die Corona-Krise leistet zweifellos dieser immer weiter voranschreitenden technologischen Entwicklung Schubkraft. Der historische Blick der Ausstellung weist auch in die Zukunft, die über die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpft ist. Die Frage, wie das Bauen von morgen aussehen wird, bleibt allerdings offen. (Angelika Irgens-Defregger)

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