Bauen

In Liverpool wird derzeit gebaut, was das Zeug hält. (Foto: Schenk)

08.06.2018

Droht dem Weltkulturerbe das Aus?

Die UNESCO will Liverpool sein Gütesiegel entziehen

Verliert nach Dresden jetzt auch Liverpool seinen Status als Weltkulturerbe? Ende Juni will die UNESCO auf ihrer Tagung in Bahrain über diese Frage endgültig entscheiden, steht die nordenglische Fußballmetropole und Hafenstadt doch schon seit einigen Jahren auf der Liste gefährdeter Welterbestätten. Störte die Hüter kulturellen Erbes an der Elbe eine gigantische Brücke, sind es am Mersey riesige Wolkenkratzer, die nach ihrer Ansicht nicht ins Bild passen. „Liverpool Waters“ heißt das umstrittene Bauprojekt, ein mehr als fünf Milliarden Pfund schweres Investitionsprogramm, zu dem neben Hochhäusern auch der Bau eines Kreuzfahrthafens gehören. Neu im Stadtbauplan ist zudem ein großes Fußballstadion. „Sollte Liverpool sein Bauprogramm nicht abspecken“, heißt es bei der UNESCO, „werden wir die Stadt im Sommer von der Liste des Weltkulturerbes streichen.“

Es war ein großer Tag für Liverpool, als die UNESCO im Juli 2004 große Teile der Stadt zum Weltkulturerbe erklärte. Mehr als 100 Objekte aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden damals unter Schutz gestellt – so wie zuvor auch die Pyramiden von Gizeh oder der Kölner Dom. Mit ihrem Gütesiegel aber würdigten die Hüter kulturellen Erbes keine architektonischen Jahrtausendwerke, sondern ein Gesamtkunstwerk. Genau betrachtet einen Haufen Zweckarchitektur, der die Geschichte einer globalen Handels- und Hafenmetropole dokumentieren sollte. Dazu gehörten unter anderem Kanal- und Hafenanlagen, ein altes Rathaus, Warenumschlagplätze wie das inzwischen prächtig renovierte Albert Dock, Büro- und Versicherungsbauten und drei eindrucksvolle Paläste am Pier Head, welche ihrer Schönheit wegen allgemein als „Die Drei Grazien“ gelten.

Viele hundert Millionen Euro steckten Investoren in den letzten Jahrzehnten in die Erhaltung dieses kulturellen Erbes. In manch altem Büro-, Bank- oder Versicherungspalast hielten Restaurants oder Hotels Einzug, in vielen Dockanlagen fanden Büros und Wohnungen Platz. Was das kulturelle Erbe der Stadt aber jetzt in Gefahr bringen könnte, sind der erst vor Kurzem beschlossene Neubau eines gigantischen Kreuzfahrthafens, ein geplantes Fußballstadion für mehr als 60 000 Zuschauer und zum Teil mehr als 50stöckige Büro- und Wohn-Hochhäuser, die nach Ansicht der UNESCO das Stadtbild zerstören.

„Wir haben die Regierung aufgefordert, diesen Kurs der Stadtentwicklung umzukehren und die Erteilung von Baugenehmigungen zu stoppen, die sich negativ auf das Kulturerbe auswirken“, heißt es bei der Völkergemeinschaft. „Wir haben keine Entscheidungen getroffen, die Schaden anrichten könnten“, kontert man in Liverpool, wo die linke Labour-Partei seit Jahren mit absoluter Mehrheit regiert und die Mehrheit der Bevölkerung 2016 den Brexit abgelehnt hat, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Zornig verweist man am Mersey auf London, wo nahe dem ebenfalls zum Weltkulturerbe zählenden Tower immer neue Hochhäuser in den Himmel schießen und die UNESCO tatenlos zusehe. „Geht man nach deren Kriterien“, meinte Liverpools Bürgermeister Joe Anderson süffisant in einem Interview, „hätte Manhattan erst gar nicht gebaut werden dürfen.“

Was den internationalen Hütern des Weltkulturerbes vor allem missfällt, ist die Bauwut, mit der Liverpool sein Stadtbild mehr und mehr verändert. Zu den immer neuen Großbauvorhaben zählt seit jüngstem auch der Neubau eines Fußballstadions am Bramley-Moore-Dock, dessen Finanzierung – Fachleute sprechen von umgerechnet weit über 500 Millionen Euro – noch völlig ungeklärt ist. Weil dem Stadionnutzer, dem Everton FC, das Geld für den Neubau fehlt, ist die Stadt als Bauherr im Gespräch, die das supermoderne Stadion dem ältestem Fußballclub Liverpools dann für jährlich bis zu 8,6 Millionen Pfund als Spielstätte zurück vermieten soll.

Grünes Licht hat die Stadt schon für die Errichtung eines Kreuzfahrthafens gegeben, mit dessen Neubau schon im Herbst begonnen werden soll. Mitten im Weltkulturerbe-Gebiet werden modernste Terminals, ein großes Hotel und ein Parkhaus für mehr als 1700 Autos sowie weitere Infrastrukturanlagen entstehen. Mehr als sieben Millionen Pfund soll das neue Terminal jährlich erwirtschaften und den jährlich mehr als 100 000 Kreuzfahrern einen angenehmen Rahmen bei ihren Ausflügen in die Stadt verschaffen. Selbst größte Ozeanriesen können dann direkt im Weltkulturerbe Station machen.

Kostspieliger Fehler

Dem Kulturerbestatus am meisten schaden aber werden die geplanten Hochhausriesen. Hier könnten die Investoren versucht sein, sie in der Höhe zu minimieren. Noch aber sind die jetzigen Pläne der UNESCO zu vage und rechtlich unsicher. Deshalb drängt die internationale Organisation Liverpools Stadtväter, die Zahl der Bauten zu reduzieren, ihre Größe und Lage neu zu überdenken. Außerdem sollten die Stadtentwicklungspläne juristisch so festgeschrieben werden, dass sie mit den Vorgaben der UNESCO nicht in Konflikt geraten.

Sollten in den nächsten Wochen keine verbindlichen Regelungen gefunden werden, sind die Mitgliedsstaaten der UNESCO entschlossen, Liverpool bei ihrer Sitzung Ende Juni/Anfang Juli im Scheichtum Bahrein ganz von der Welterbeliste zu streichen. Das Welterbe, warnt Henrietta Billings, Direktorin der britischen Initiative „SAVE Britain’s Heritage“ („Rettet Großbritanniens Kulturerbe“), hat Liverpool nicht nur eine weltweite Bühne bereitet, sondern auch Kulturtourismus, Stadterneuerung und manche Besucherattraktionen gebracht. „Es wegen krasser Planungsentscheidungen zu verlieren, wäre eine Schande und ein sehr kostspieliger Fehler.“

In Liverpool selbst, wo man sich längst daran gewöhnt hat, dass die Stadt seit 2012 auf der roten Liste gefährdeter Welterbestätten steht, sieht man das ganze nicht so dramatisch. Die meisten Einwohner, so scheint es, können auch ohne das umstrittene Gütesiegel leben. Ihnen ist wichtiger, dass die Stadt immer wieder neue Attraktionen bietet, welche den Bestand der mehr als 50 000 Jobs im Fremdenverkehr garantieren.

Inzwischen nämlich gehört Liverpool zu den touristischen Top Five im Land, deren Besucher Einkaufsmöglichkeiten und Nachtleben mindestens ebenso zu schätzen wissen wie die Jahrhunderte alten Kulturerbestätten, in denen sich inzwischen nicht nur Restaurants und Hotels, sondern auch manches neue Museum eingenistet haben. So haben im Albert Dock gleich mehrere Musentempel ihr Zuhause gefunden, in den „Drei Grazien“ das modernste Musikmuseum Großbritanniens, das sich der Popkultur verschrieben hat und vor dem jetzt die berühmtesten Söhne der Stadt, besser bekannt als die Beatles, in Bronze posieren.

Mit mehr als 30 Millionen Besuchern jährlich gehört das Einkaufszentrum „Liverpool One“ zu den Besucherattraktionen, ebenso das neue „Museum of Liverpool“ direkt am Pier Head. Liverpools Geschichte ist dort heute virtuell und interaktiv zu erleben. Dass man auch steinerne Zeugen brauchen könnte, um die Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen, ist den jüngeren Besuchern zumeist gar nicht mehr bewusst. (Günter Schenk)

(Panorama des Alberts Docks; am Pier Head mit Kanal un den "Drei Grazien"; ein Wolkenkratzer spiegelt sich in der Glasfassade eines anderen - Fotos: Schenk)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist die geplante Hausarztpflicht sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.