Bauen

Das ehemalige Gefängnis von Leeuwarden ist jetzt total in. (Foto: Wiegand)

22.06.2018

Eine facettenreiche Stadt

Architekturspaziergang durch Leeuwarden, Europas Kulturhauptstadt 2018

Leeuwarden in Hollands Provinz Friesland geht als Kulturhauptstadt Europas 2018 eigene Wege. Vielfach müssen Orte, denen eine solche Ehre zuteil wird, erstmal einiges für ihr Stadtbild tun. Straßen sanieren, Fassaden auffrischen oder gar ein neues Museum bauen – das sind die üblichen Vorbereitungen. In Leeuwarden ist das alles schon geschehen und nicht erst auf den letzten Drücker. Die 108.000-Einwohner-Stadt präsentiert sich als ein architektonisch facettenreiches Ziel. Das neue Gemeindehaus von 2017, geplant von Jeanne Dekkers, gefällt auch drinnen. Andererseits werden Großbauten aus früherer Zeit durch Umnutzung neu belebt. So wurde die Hauptpost stilgerecht zum 4-Sterne-Hotel „Post Plaza“ umgebaut. In der früheren Schalterhalle hat das Grand Café seinen Platz gefunden.

Anderes blieb unverändert, wie das schiefe Häuschen namens Utrecht gegenüber, das kleinste Jugendstiltheater Europas. Ins ehemalige Gefängnis gehen jetzt alle mit Vergnügen. Die vielen Räder vor dem massigen Backsteinbau mit den beiden Türmchen sprechen Bände. Der Ex-Knast ist total in. Alles dran, alles drin – eine Bibliothek, das Café De Bak (= Kittchen), das Restaurant Proefverlof, was „Auf Bewährung“ bedeutet, und das „Hostel Alibi“.

Mit echter Moderne taten sich die Bewohner anfangs jedoch schwer. Strenge Bauten neben traditionellen kleinen und großen Giebelhäusern – das mochten nicht alle. Doch der Friese Abe Bonnema (1926 bis 2001), quasi Leeuwardens Star-Architekt, setzte mit seinem 114 Meter hohen Achmea-Turm im Bahnhofsviertel ein Ausrufezeichen. Die Eröffnung des grau schimmernden Riesen im Jahr 2002 erlebte Bonnema nicht mehr, sorgte aber weitsichtig für ein Highlight.

Vor seinem Tod vermachte er dem Fries Museum 18 Millionen Euro unter der Bedingung, mit diesem Geld einen Neubau auf dem zentralen Wilhelminaplein (Wilhelminaplatz) zu errichten und den Architekten Hubert-Jan Henket mit der Ausführung zu beauftragen. Der hat im Sinne von Bonnema gute Arbeit geleistet. Die zur Hälfte verglaste Fassade mit dem übers Gebäude hinausragenden Flachdach ist seit 2013 das Schmuckstück des Platzes.

Auch Welliges fand anfangs keine Gegenliebe, obwohl Leeuwarden früher direkt am Meer lag. Hollands renommierter Architekt und Urbanist Jo Coenen hat das bei seinem 2012 fertiggestellten Amicitia-Gebäude im Sinn gehabt und den Namen, der Freundschaft bedeutet, wohl mit Bedacht gewählt. „Die Bewohner haben das Bauwerk zunächst als Kreuzfahrtschiff verspottet, inzwischen sind aber alle stolz darauf“, lacht Stadtführer Henk Olij. Allgemeine Begeisterung findet jedoch ein ganz neuer Bau, ein Brunnen, geschaffen vom Spanier Jaume Plensa als Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr 2018. Beim Verlassen des Bahnhofs fällt der Blick gleich auf zwei sieben Meter hohe, schneeweiße Kinderköpfe. „Love“ (Liebe) hat Plensa seinen Brunnen genannt. Mit geschlossenen Augen träumen die beiden jungen Menschen von der Liebe und einer friedvollen Zukunft.

Brunnen erzählen eine Story

Doch damit nicht genug. Die als eigensinnig geltenden Friesen haben sich in insgesamt elf Orten von renommierten internationalen Künstlerinnen und Künstlern neue Brunnen entwerfen und bauen lassen. Vorab wurden sie von den Städten eingeladen und über deren Geschichte informiert. Die anschließend gestalteten Brunnen spenden also nicht nur Wasser, sie erzählen auch eine Story. In Sneek südwestlich von Leeuwarden hat der Deutsche Stephan Balkenhol seinen „Fortuna“ genannten Brunnen in eine Gracht hineingestellt. Im Hintergrund zeigt sich das Wassertor aus dem 16. Jahrhundert, Sneeks Wahrzeichen. Die Glücksgöttin ist hier ein Geschäftsmann in weißem Hemd und schwarzer Hose, der auf einer güldenen, im Grund fest verankerten Kugel balanciert. Sich langsam drehend, schüttet er sein Füllhorn aus, schaut mal zu den Betrachtern und guckt wieder weg. Das Glück kommt, das Glück geht. „Doch es dreht sich immer wieder zu dir“, meint Balkenhol optimistisch.

Romantischer und typisch japanisch wirkt der Brunnen „Unsterbliche Blumen“ von Shinji Ohmaki im nur drei Kilometer entfernten Ort IJlst. „Blumen beruhigen und erfreuen, wenn man traurig ist“, erklärt er. Seine nie verwelkenden Blumen werden auch im Winter erfreuen. In Bolsward, einer früheren Hansestadt, hat Johan Creten seinen Fledermaus-Brunnen direkt vor die als Ruine erhaltene Broeretsjerke platziert, einst die Brüderkirche der Franziskaner aus dem 13. Jahrhundert. Eine Fledermaus, die drinnen herumflog, hat ihn dazu animiert. Die seine ist aus Bronze und hat im Rücken Stufen zum Hinaufklettern. Beim Graben des dazu gehörigen Brunnens stießen die Arbeiter auf einen mittelalterlichen Friedhof und fanden 50 Skelette. Eine Sensation! Ob die Wasser speiende Fledermaus auch eine wird, hängt von den Menschen ab. „Wird sie oft gestreichelt, wird sie golden, wenn nicht, wird sie schwarz“, sagt Creten.

„Wir haben den allerschönsten Brunnen“, behaupten die Bewohner der 1234 gegründeten Hafenstadt Harlingen. Der originellste ist er auf alle Fälle – ein grauschwarzer, Wasserfontänen speiender Wal, entwickelt vom amerikanisch-kubanischem Künstlerpaar Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla. Die Bewohner hatten ihnen von einem gestrandeten und geretteten Wal erzählt und das hat die Künstler inspiriert. 16 Tonnen wiegt sein aus Stahl und Beton gefertigter Nachfolger und ist im Boden fixiert. Wenn die Flut kommt, wird er überspült, nur bei Ebbe speit er Wasser.

Nach soviel tierischer Urgewalt wirkt der zierliche „Oort Cloud“ genannte Brunnen von Jean-Michel Othoniel in Franeker poetisch und neben der um 1421 erbauten Martinikirche sehr grazil. „Die müssen sie sich unbedingt anschauen“, empfiehlt der Franzose. Er hat sich vom „Königlichen Eise Eisinga Planetarium“ anregen lassen, dem weltweit ältesten noch genau funktionierenden Planetarium. Eisinga, ein Wollkämmerer, aber ein Meister in Mathematik und Astronomie, verewigte den Lauf der Gestirne von 1774 bis 1781 an seiner Wohnzimmerdecke, was noch immer Staunen erregt.

Othoniels Brunnen zollt dem in Franeker geborenen Astronomen Jan Oort Tribut, der 1950 mit seiner These einer wolkenartigen Planetenansammlung am Rande unseres Sonnensystems Aufsehen erregte. So entstand der Begriff „Oortsche Wolke“. Leichter „Weltraumnebel“ umhüllt auch Othoniels zarte güldene Variante. „Die Bewohner waren gleich glücklich über diesen Entwurf“, sagt er. Drum herum entsteht gerade eine Grünfläche mit Bänken zum Verweilen.

Hollands eigensinnige Friesen bauen im Kulturhauptstadtjahr anders als andere bauen, originell, witzig und nachhaltig obendrein. (Ursula Wiegand)

(Das Amicitia-Gebäude und das Utrecht-Häuschen. Der Love-Brunnen und dahinter der 114 Meter hohe Achmea-Turm. Johan Creten vor seinem Fledermaus-Brunnen - Fotos: Wiegand)

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