Bauen

Das in klassischer Moderne erbaute Festspielhaus Hellerau. (Foto: Christel Sperlich)

15.05.2019

Eine Kathedrale für die Kunst

Das Festspielhaus Hellerau gehört zu den bedeutendsten Theaterbauten der klassischen Moderne

Das Festspielhaus Hellerau in der ersten deutschen Gartenstadt in Dresden gilt als ein Hauptwerk der Architektur und des Theaters des 20. Jahrhunderts. Es wurde als Ausbildungsstätte für rhythmische Gymnastik erbaut und zum Treffpunkt der europäischen Avantgarde.

In den Regenpfützen auf dem offenen Vorplatz des Festspielhauses spiegeln sich glatte Flächen, klare Linien, geometrische Grundformen. Steinerne Säulen stützen den hellgelben Fassadengiebel, dessen Mitte ein Yin-Yang-Symbol schmückt. Hinter der klassischen Fassade schuf der Schweizer Architekt und Bühnenbildner Adol-phe Appia einen Saal von gleicher formaler Strenge. Die Bühne ganz in Weiß mit unterschiedlich angeordneten Stufen, Quadern und Säulen, die den Raum mehrdimensional aufteilen.

Man sprach vom „Theaterwunder von Hellerau“, als vor mehr als 100 Jahren die spektakuläre Bühne des Festspielhauses auf sich aufmerksam machte. Appia verzichtete auf überladene dekorative Verspieltheit. Er rückte den Darsteller in das Zentrum der Aufmerksamkeit des Zuschauers. Das beeindruckt auch die Intendantin des Festspielhauses, Carena Schlewitt. Sie schwärmt von dem campusartigen Charakter, der sich für die Kunstszene in Hellerau eröffnet. Ein riesiges Areal mit großem Vorplatz, Festspielhaus, Nancy Spero Saal und Dalcroze Saal, Studios, Residenzappartments und dem Garten. Ein Haus, einst für die Kunst gebaut und seit den 1990er Jahren wieder für die Kunst genutzt.

Architekten, Künstler und Tänzer aus vielen Ländern kamen zwischen 1912 und 1914 in die kleine Gartenstadt. Angefangen hatte alles mit dem Möbelfabrikanten Karl Schmidt und dem Neubau seiner „Deutschen Werkstätten“, in denen formschöne Holzmöbel zu einem bezahlbaren Preis produziert wurden.
Schmidt stand den Folgen der sich ausbreitenden Industrialisierung skeptisch gegenüber und wollte dem etwas entgegensetzen. Als Anhänger der Lebensreformbewegung gründete er im Jahre 1908 die erste deutsche Gartenstadt-Siedlung als eine Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung. Die Arbeiter sollten im Grünen wohnen und kurze Fußwege zur Fabrik haben, die Kinder in den ortsansässigen Schulen unterrichtet werden. Der Sozialreformer brachte bedeutende Architekten wie den Münchner Jugendstil-architekten Richard Riemerschmid oder den Rostocker Architekten Heinrich Tessenow nach Hellerau.

Hoher, offener Saal

Tessenow war 34, als er das Festspielhaus im Format einer Kathedrale bauen sollte. Junge Menschen sollten hier freiheitlich ausgebildet werden, nicht unter wilhelminischem Drill, sondern im Geiste emanzipatorischer Ideen. Im Spannungsfeld der beginnenden Moderne wurde die zeitgemäße Umsetzung der Gartenstadt abgewogen. Flachdach gegen Spitzgiebeldach, Historismus gegen Funktionalismus, handwerkliche Tradition gegen industrielle Fertigteilproduktion. Noch heute stehen in der Hellerau-Siedlung die unterschiedlichsten Haustypen, einfache Reihenhäuser, Holzhäuser oder kleine Villen.

Das neoklassizistische, von Pavillons umgebene Festspielhaus setzte den entscheidenden kulturellen Akzent. Die berühmte Theaterbühne in ihrer Art damals einmalig, lockte Künstler aus aller Welt nach Hellerau und wurde prägend für die moderne Theaterästhetik. Die legendäre, puristische Bühne mit dem hohen, offenen Saal war Bestandteil des Theatersaals. Der Lichtkünstler Alexander von Salzmann schuf einen schattenfreien Bühnenraum, in dem Darsteller wie Zuschauer gleichermaßen beleuchtet werden.

Reduzierte, einfache Klarheit stellte den Prunk seiner Zeit infrage. Ein Quader aus weißen Leinentüchern. Boden, Decke, Wände und Bühne, alles weiß. „Das indirekte Licht ist hier das Besondere, man spricht auch vom nordischen Licht“, erklärt Carena Schlewitt. „Es läßt eine weiche und durchlässige Atmosphäre entstehen. Der Raum gewinnt eine Poesie und Anmut, die neue Sehweisen eröffnen. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Zuschauer und Künstler, sondern eine harmonische Einheit, in der gemeinsame Erfahrungen und Begegnungen stattfinden können.“

Inzwischen wurde nach über 100 Jahren die historische Appia-Bühnenkonstruktion mit ihrem ursprünglichen Beleuchtungskonzept nachgebaut. 5500 dimmbare Glühlampen mit ihren Fassungen und Verkabelungen wurden wie einst hinter der Bühne angebracht. Dieses Licht beleuchtet den ganzen Raum in den kleinsten Winkel hinein und wirft keine Schatten. Damals wie heute für die Theaterleute ideale Voraussetzungen für die große Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes und Theater weltweit.

Das vielversprechende sozialreformerische Experiment, die Utopie Hellerau endete abrupt. Der Kunst- und Tanztraum währte nur zwei Jahre. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verließen Richard Riemerschmid, der Chefarchitekt der Gartensiedlung, und auch Heinrich Tessenow Hellerau. Die Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus wurde geschlossen. Im NS-Regime galten alle kulturellen Strömungen, die mit der Kunstauffassung und dem Schönheitsideal der Nationalsozialisten, der sogenannten Deutschen Kunst, nicht in Einklang standen, als entartet. Die Deutschen Werkstätten Hellerau wurden in die Kriegswirtschaft eingegliedert.

In den 1930er Jahren wurde das Festspielhaus Hellerau als Militärlager genutzt. Die Nazis beschlagnahmten das Areal. In die Kulturkathedrale zog eine Polizeischule ein. Im Foyer des Hauses hängen großformatige heroische Wandgemälde, Hinterlassenschaften der Sowjetarmee, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Haus als Kaserne und Lazarett nutzten. Das Yin und Yang-Zeichen ersetzten damals die Soldaten gegen den Sowjetstern. Der berühmte Bühnenraum diente als Sporthalle. Und doch, wenn auch nur für kurze Zeit, hatten die Gründerjahre von Hellerau eine weitreichende Strahlkraft. 1992 ging das Festspielhaus in den Besitz des Freistaats Sachsen über und gehört seitdem zu einem der wichtigsten Theaterbauten der klassischen Moderne für zeitgenössische Künste Deutschlands und Europas. (Christel Sperlich)

(Die Bühnenkonstruktion und das Foyer des Theaters. Die Choreografin und Tänzerin Katja Erfurth probt auf der Theaterbühne - Fotos: Christel Sperlich)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.