Die Bayerische Staatszeitung und der Bayerische Staatsanzeiger verlassen im Oktober ihre angestammten Büroräume in der Arnulfstraße 122 und ziehen um. Ihr neues Quartier befindet sich im vierten Stock des bereits 1929 bis auf seine Grundstruktur entblößten, ursprünglich für die Allgemeine Zeitung 1901 errichteten Jugendstilgebäudes an der Bayerstraße 57/59. Das seinerzeit hypermoderne Gebäude mit Rückflügel und Rückgebäude des Münchner Architekten Martin Dülfer bildet gemeinsam mit dem ebenfalls fünfgeschossigen Erweiterungsbau von 1912 für den Münchner Zeitungsverlag mit der Adresse Paul-Heyse-Straße 4 den Gebäudekomplex Pressehaus Bayerstraße.
Seit 1947 firmiert unter der Adresse Paul-Heyse-Straße 2-4 der heute zum Ippen Media Netzwerk gehörende Münchner Merkur, Nachfolger der von 1892 bis 1943 vom Münchener Zeitungsverlag herausgegebenen, bürgerlich-konservativen Tageszeitung Münchener Zeitung. Der 1948 nachfolgenden Tageszeitung Münchner Merkur voraus ging der Münchner Mittag (MM), dessen erste Nummer am 13. November 1946 erschien.
Unter Denkmalschutz
Der Erweiterungsbau an der Paul-Heyse-Straße, ursprünglich Heustraße genannt, der zufälligerweise genauso alt ist wie die Bayerische Staatszeitung, wurde von der Münchner Baufirma Jakob Heilmann und Max Littmann ausgeführt; die Planung des Stahlbetonskelettbaus nach dem Vorbild moderner Warenhäuser oder Fabrikbauten stammt hingegen von dem Architekten Emil Ludwig. Beide Häuser, Dülferbau und der elf Jahre spätere Anbau von Ludwig/Heilmann und Littmann, stehen heute unter Denkmalschutz. Sie sind beispielhaft für die Entstehung von Gebäuden großen Maßstabs im vormals kleinteilig strukturierten Schwanthalerquartier der Ludwigvorstadt in der Zeit der zu Ende gehenden Belle Epoque.
Dem Erweiterungsbau zum Opfer fielen 1912 drei klassizistische dreistöckige Häuser aus dem 19. Jahrhundert. Die noch heute original erhaltene, reich verzierte Natursteinfassade wurde in der Ära vor der Verabschiedung des Denkmalschutzgesetzes marktschreierisch überformt mit den Neonleuchtschriften „Pressehaus Bayerstraße“, „Münchner Merkur“ und „TZ“.
Baukünstlerisch herausgehoben ist insbesondere das vierte Obergeschoss unter der Attikazone durch eine Reihe vor den Pfeilern stehender, monumentaler Figuren. Durch die aus der Achse verschobene breite Tordurchfahrt gelangt man in einen Innenhof mit rückwärtigem Zugang zum Dülfergebäude an der Bayerstraße 57/59, einst Aushängeschild des Jugendstils in der Münchner Architekturlandschaft.
Was ist von dem ehemals aufsehenerregenden Jugendstilgebäude erhalten geblieben? Wir begeben uns auf Spurensuche in den Archiven und vor Ort in Begleitung von Bauingenieur Florian Lehmair, der als Projektleiter der Hausverwaltung Pressehaus auch verantwortlich zeichnet für die Renovierungsarbeiten der Räumlichkeiten für die Bayerische Staatszeitung und der als erfahrener Guide durch ein Labyrinth aus Fluren, Räumen, Treppenhäusern, Innenhöfen und Anbauten unterschiedlichster Epochen führt. Historische Details, wie Möbel, Kunstwerke, Lüster, Stuck, Türen, Fenster, Fußböden, haben sich teilweise erhalten.
Die 1882 von Augsburg nach München verlegte Allgemeine Zeitung hatte sich von April 1900 bis Mai 1901 in der Bayerstraße 57/59 in München ein neues Geschäftshaus bauen lassen, dessen Gesamtkosten einschließlich Architektenhonorar 550 000 Mark betrugen.
Bereits am 13. Mai 1901 brachte die Allgemeine Zeitung eine sechsseitige, mit Schwarz-Weiß-Fotos reich bebilderte Sonderbeilage heraus. Die erste Seite präsentierte die Schaufassade sowie darüber, umrahmt von Text zum Thema „Aus den Wander- und Lehrjahren der Allgemeinen Zeitung“, das Bildnis des Verlagsgründers: Johann Friedrich Cotta, dessen Neueste Weltkunde am 1. Januar 1798 in Tübingen erschienen war, welche nach wenigen Monaten die Bezeichnung Allgemeine Zeitung erhielt.
In einschlägigen Fachzeitschriften wie der Süddeutschen Bauzeitung und der Deutschen Bauzeitung wurde der Bau gewürdigt. Ein Zeitgenosse urteilte über das neue Geschäftshaus in der Münchner Bayerstraße: „Wer einstmals eine Baugeschichte des modernen München schreibt, wird dieses Gebäude mit an den Beginn einer neuen Periode setzen müssen.“
Der hier begeisterte Autor „H“ (wahrscheinlich der Redakteur Albert Hofmann) ließ in seinem 1901 in der Deutsche Bauzeitung erschienenen Artikel ein schmückendes wie humorvolles Detail in der plastischen Fassadengestaltung über dem attikaähnlichen Obergeschoss, in das jetzt als neuer Mieter die Bayerische Staatszeitung einzieht, nicht unerwähnt: „Das grosse Ornament des Mitteltheiles, in welchem man vielleicht wird das „grosse Maul der Presse“ erkennen dürfen, und welches in den Seitentheilen wieder wuchert, ist filigranartig aufgelöst und in seinen Tiefen mit der blauschwarzen Farbe aufgefasst, welche die geschlossenen Fenster zeigen.“
Ein Schelm, wer einst Böses über Martin Dülfers eyecatchendes Fassadenungeheuer mit weit aufgesperrtem Rachen dachte, über welchem seine geplante St. Georgsfigur nicht mehr zur Ausführung kam. Man kann wohl davon ausgehen, dass August Endells drei Jahre zuvor entstandenes legendäres Peitschenhieb-Ornament an der Fassade des Fotoateliers Elvira inspirierend auf Dülfers Horror vacui Giebelmotiv gewirkt hat. Mit dem Unterschied, dass es nur Dülfer gelang, das Decorum kongenial mit Konstruktion und Funktion des Gebäudes zu verbinden.
Zurückgesetzte Fassade
Fest steht: Der gebürtige Breslauer Dülfer, dem für „ die Baugeschichte Münchens eine einschneidende Rolle zugesprochen wurde“, so das Urteil der Deutschen Bauzeitung 1901, lotete die Grenzen der sprechenden Architektur bauplastisch wie -technisch neu aus und schuf zugleich sein eigenes Markenzeichen. Dülfer, der „Wegbereiter der Moderne“, hatte in Hannover und Stuttgart studiert, bevor er an der Münchner TH seine Studien bei Friedrich von Thiersch abschloss, mit dem er gemeinsam das Geschäftshaus Bernheimer im Stil des Historismus errichtete. Wie beim Bau der Allgemeinen Zeitung waren auch bei dem zwölf Jahre früheren Bernheimer-Gebäude am Lenbachplatz die Eisenkonstruktionen im Laden- und Erdgeschoss frei sichtbar.
Bei Dülfers Haus für die Allgemeine Zeitung setzte der Architekt die Fassade der oberen drei Wohngeschosse um einen halben Meter zurück und bewirkte eine optische Entlastung der sichtbaren dünnen Eisenpfeiler. Die drei oberen Stockwerke modellierte Dülfer plastisch mit gelb-grünem Rankenwerk vor blau-schwarzem Hintergrund.
Ornament bedeutete damals noch kein Verbrechen. Es war aber ein Verbrechen, im Zuge des Purismus der Neuen Sachlichkeit in der Zwischenkriegszeit die gesamte Schaufassade dem Zeitgeschmack zu opfern und gleichsam vandalistisch zu glätten. 1929 wurden sämtliche Bauornamente des Gebäudes, das Architekturgeschichte geschrieben hat und noch im Entstehungsjahr in Haidhausen (in der Gallmayerstraße Nr. 4 von Baumeister Johann Lang) in verkleinertem Maßstab kopiert wurde, beseitigt. Lediglich die an den hofseitigen Fassaden erhalten geblieben Relikte des Originalstucks geben noch heute eine Vorstellung von Farbenpracht und Detailreichtum der nach Norden ausgerichteten Schaufassade des vertikal wie horizontal dreigeteilten Vorderhauses.
Vom Hauptgebäude mit rotem Ziegeldach, bekrönt von einem kupfernen Rundturm, diente im Erdgeschoss einst nur der linksseitige doppelstöckige Laden den Zwecken der Allgemeinen Zeitung; die übrigen Läden waren vermietet. Heute belegen Geschäfte die gesamte untere Ladenzeile.
Das Zwischengeschoss, über dem der Hirmer Verlag sich niedergelassen hat, war einst für die Redaktion und Büroräume der Allgemeinen Zeitung bestimmt; die Obergeschosse enthielten ursprünglich je zwei geräumige Mietwohnungen; heute belegt die Bayerische Staatszeitung die gesamte Etage des vierten Stockes. Das vormals darüber liegende Okulifenster als Anspielung auf das „Schandmaul der Presse“, ist unwiederbringlich verloren.
In den 1960er-Jahren wurde im Dachgeschoss eine weitere Etage dem Gebäude hinzugefügt und das Durchfahrtstor zu den in den 1950er- und 1960er-Jahren hinzugekommenen Betriebsgebäuden im Hof (geplant von den Architekten Herbert Landauer und Ernst Hürliman) baulich verändert. (Angelika Irgens-Defregger)
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