Bauen

Die ehemalige Textilfabrik Strykjärnet, auch das Bügeleisen genannt. (Foto: Mayring)

15.03.2019

Früher Papierfabrik, heute Konzerthalle

Das alte Industrieviertel im schwedischen Norrköping präsentiert sich jetzt modern und topaktuell

Im Südosten von Schweden, in der historischen Provinz Östergötland, liegt im flachen, zerklüfteten Schärengarten die Stadt Norrköping. Auf den ersten Blick, wenn man die Stadt erkundet, erscheinen die breiten Straßen mit Geschäftshäusern, Cafés und Restaurants vergleichsweise zeitlos und unauffällig. Ganz anders präsentiert sich jedoch die Altstadt im inneren Kern von Norrköping. Hier kommt man schon ins Staunen. Eine perfekte Industrielandschaft aus vergangenen Tagen hat hier ein ganz neues Leben erhalten. Gebäude, transformiert und neu definiert, haben eine interessante Identität erhalten. Ob Konzerthaus, kreative Unternehmen, moderne Wohnanlagen oder Uni Campus. Hier tut sich was.

Im historischen Viertel trifft man Studenten, Kaufleute, Touristen oder Einwohner von Norrköping. Grund für die Erhaltung des alten Stadtkerns war die lange Geschichte und Tradition von Norrköping, die den Reichtum der Stadt einst begründete und heute mit seiner Architektur und Baugeschichte ein wertvolles Dokument für die nachkommenden Generationen darstellt. Die Bausubstanz bleibt oftmals erhalten und die gesamte Anlage wird transformiert, mit modernen, aktuellen Inhalten versehen, was der Stadt einen besonderen Glanz mit viel Charakter verleiht.

400 Jahre Industriegeschichte

Mit dem Unternehmen Holmens Bruk begann zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Messing-Herstellung der Aufstieg der Stadt. Unter der Leitung des Holländers Louis De Geer konnte sich die Textilproduktion, das Mühlenwesen und die Fischerei entwickeln. Ab 1633 produzierte man Papier. Diese erfolgreiche Ära dauerte bis 1986. Als mit der Verpackungsindustrie weit mehr verdient wurde, schlossen sich die Fabriktore.

Wer heute durch Norrköping geht, spaziert durch 400 Jahre Industriegeschichte. Denn die Innenstadt besteht weitgehend aus ehemaligen Fabriken aus der Zeit von 1850 bis 1920, als Norrköping die zweitgrößte Industriestadt Schwedens war. Ob Textilwerke mit Baumwollspinnerei, wo heute das Museum der Arbeit untergebracht ist, der breite Motala Strömmen noch immer mit seinen tosenden Wasserfällen über die Staustufen braust, da hat man heute mithilfe der Transformation einen Weg gefunden, diesen Teil der Geschichte nicht auszublenden, sondern mit Kreativität neues Leben in alten Mauern entstehen zu lassen.

Louis de Geer, Begründer
des Industrialismus

Heute steht der Name Louis De Geer in großen Lettern über der einstigen Papierfabrik. Der Architekt Ivar Tengbom entwarf 1954 die monumentale Eingangshalle zum Kongress- und Konzertzentrum. Hier hat das städtische Sinfonieorchester jetzt seinen festen Platz gefunden. Die Halle fasst 1300 Besucher. Massive Stahlkonstruktionen, kombiniert mit Holz, erinnern an die ehemaligen Produktionshallen. Hohe Fensterpartien, mal mit, mal ohne Holzsprossen, geben den Blick frei in die imposante Industrielandschaft mit rotem Backsteinmauerwerk, Rohren und Eisenbrücken. „Schaut man aus dem Fenster, so weiß man immer, wo man sich genau befindet“, erklärt Guide Karin Byfalk.

Ganz in der Nähe steht die mächtige Statue des holländischen Unternehmers Louis de Geer, der in Schweden als Begründer des Industrialismus gilt. Die in schwarzem Granit 1945 von Carl Milles geschaffene Figur zeigt den mächtigen Mann aus Amsterdam und zu seinen Füßen symbolisch eine Industrielandschaft mit Wasser und Produktionsstätten wie einst in Norrköping.

Der ausgefallene Begriff Strykjärnet für Bügeleisen wird für die alte Textilfabrik verwendet. Der wuchtige, siebeneckige Bau, auf einer ehemaligen Lachsfanginsel errichtet, ist heute das Museum für Arbeit. Im 1917 vom Architekten Folke Bensow als Weberei konzipierten Gebäude befinden sich in der transformierten Version in seinen sieben Etagen neben einem Restaurant im fünften Stock, Ausstellungsflächen und eben alles, was mit dem Thema Arbeit zu tun hat.

Mitten in der Industrielandschaft am Motala Strömm befindet sich das Stadtmuseum. Hier kann der Besucher noch tiefer einsteigen, um mehr über die Materie der Fabriken und Arbeitsplätze im 19. Jahrhundert zu erfahren.

Zwischen den einzelnen Komplexen liegt das ehemalige Heizkraftwerk, das heute als Entertainment- und Konferenzhalle genutzt wird. Die vier Schornsteine auf dem Dach haben zwar ihre einstige Identität verloren, sind aber heute in der Adventszeit die Attraktion, denn sie leuchten als Kerzen in der weihnachtlichen Formation.

Einen ganz besonderen Kamin, sozusagen eine Ziegelsteinskulptur, schuf Jan Svenungssons. Der schwedische Künstler meint, wenn der praktische Zweck eines Bauwerks nicht mehr vorhanden ist, nur mehr das Ästhetische besteht, dann ist jedes Denkmal Kunst und umgekehrt.

Attraktive Lage
ohne Verkehrslärm

Im historischen Ensemble integriert sind außerdem Räumlichkeiten für 5000 Studenten und Einrichtungen wie Bibliothek, Labore sowie eine Uni Mensa. Und Knäppingsborg, im 18. Jahrhundert eine florierende Tabakfabrik, ist heute ein beliebtes Shoppingviertel mit zahlreichen Einrichtungsgeschäften, charmanten Cafés und Restaurants.

Für Jugendliche ist das Visualisierungszentrum ein magischer Anziehungspunkt, das im großen, kuppelförmigen Domtheater untergebracht ist und über Ausstellungsflächen, ein Kino sowie Forschungs- und Produktionslabore verfügt. Das Visualisierungscenter C, das aus Forschungsaktivitäten der Universität entstanden ist, informiert über Visualisierungen aller Art. Es werden wissenschaftliche Ergebnisse, neue Methoden mit 3D demonstriert und deren technische Umsetzungen gezeigt.

Zwischen den historischen Gebäuden finden auch moderne Wohngebäude und Räumlichkeiten ihren Platz. Sie werden gerne auch von Agenturen und Büros genutzt. Die attraktive Lage ohne Verkehrslärm und mit Blick auf die malerische Flusslandschaft hat ein wenig Ähnlichkeit mit Venedig oder Amsterdam

Ein großer Event auf dem ehemaligen Industriegelände findet jedes Jahr zur Adventszeit statt. Dann tauchen 1000 bunte Lichter die Wasserflächen und den Wasserfall in eine romantische Szenerie. Und kurz vor dem Fest leuchten auch die vier Schornsteine als Riesenkerzen. Dann kann man sich im nostalgischen Café Kuriosa eine Tasse heißen Kakao mit Vaniljbullar, einem leckeren Hefegebäck, genehmigen. Und manch einer erinnert sich vielleicht an die vergangenen Tage, als hier noch die Schlote rauchten. (Eva-Maria Mayring)

(Die heutige Konzerthalle war füher eine Papierfabrik. Das Heizkraftwerk mit den vier Schornsteinen und der Fluss Motala Strömm - Fotos: Mayring)

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