Bauen

Um Überschwemmungen zu vermeiden ist ein nachhaltiges Wassermanagement besonders wichtig. (Foto: Bilderbox)

08.04.2022

Hin zu mehr Eigenverantwortung

Tagung „Katastrophen vor der Haustür: Wie schützen wir uns vor dem Ernstfall?“

Ob Hitze, Regen oder Wind, die nächste Naturkatastrophe wird kommen. Denn durch den Klimawandel treten Extrem- wetterereignisse immer häufiger auf. Kein Grund zur Panik. Wir müssen uns aber frühzeitig überlegen, wie wir uns vor Katastrophen schützen können und uns entsprechend vor- bereiten. Bei der Tagung „Katastrophen vor der Haustür: Wie schützen wir uns vor dem Ernstfall?“ der Akademie für Politische Bildung und der Bayerischen Ingenieurekammer- Bau haben Expert*innen für Katastrophenschutz und Bauen über Lösungsansätze diskutiert.

„Durch den Klimawandel werden uns Katastrophen schneller und öfter heimsuchen, als wir es bisher gewohnt sind“, sagte Sabine Lackner, Vizepräsidentin der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Wasser spielt dabei eine besondere Rolle. Egal ob Hochwasser, Starkregen, Hitzewellen oder Trockenperioden. Entweder ist ein Wassermangel die Ursache für eine Katastrophe oder es gibt zu viel davon – und das ist bereits heute spürbar.

Längst ist klar: Europa und auch Deutschland bleiben von Naturkatastrophen nicht mehr verschont. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands im Sommer 2021. Innerhalb kürzester Zeit ließ Starkregen die Flusspegel ansteigen und drückte Wassermassen in die Ortschaften. Die Katastrophe und deren verheerende Folgen von massiven Infrastrukturschäden bis hin zu Toten und Verletzten werfen viele Fragen auf. Warum waren wir nicht auf solche Szenarien vorbereitet? Hätte die Katastrophe verhindert werden können? Wer ist schuld am Ausmaß des Hochwassers?

Wie wir uns auf Katastrophen vorbereiten und was in den nächsten Jahren auf uns zukommen könnte, waren die Themen der Tagung „Katastrophen vor der Haustür: Wie schützen wir uns vor dem Ernstfall?“ der Akademie für Politische Bildung und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Wie können sich Bürgerinnen und Bürger selbst gegen Katastrophen schützen?

„Es liegt nicht an zu wenigen Konzepten. Was uns fehlt, sind die sozialen Werkzeuge, um Menschen zu bewegen.“ Diesen Satz projizierte Andreas Rimböck, Leiter des Wasserwirtschaftsamts Donauwörth, an die Leinwand. Es muss stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung rücken, dass die Folgen des Klimawandels nicht mehr nur Auswirkungen auf andere Länder der Welt haben.

Eine Erderwärmung um ein bis zwei Grad klingt erst mal nach nicht viel – allerdings handelt es sich dabei um einen Mittelwert. Bereits eine Veränderung um wenige Grad kann extreme Auswirkungen haben, erklärte Ernst Rauch, Chief Climate and Geo Scientist der Munich Re. Die Zahl der wetterbedingten Naturkatastrophen steigt in Deutschland seit 1980 kontinuierlich. Die größten Schadentreiber sind Winterstürme und Sturzfluten, die häufig unterschätzt und zu spät als akute Gefahr wahrgenommen werden.

Fluten oder Dürren machen weder an Landesgrenzen noch am eigenen Gartenzaun Halt. Viele Menschen sind in Extremsituationen jedoch überfordert und wissen nicht, wie sie sich verhalten müssen. Dabei ist es wichtig, dass im Ernstfall jeder Einzelne handelt – weg von der Vollkaskomentalität, hin zu mehr Eigenverantwortung.

Doch was können Menschen bei Hochwasser tun bis Hilfe naht? Das Wichtigste: Keine Angst oder Panik schüren, sondern möglichst ruhig agieren. Betroffene Bürgerinnen und Bürger informieren sich am besten in regelmäßigen Zeitabständen im Rundfunk und im Internet über den Stand des Hochwassers.

Auch spezielle Warn-Apps wie Warnwetter, Nina oder Biwapp klären bei Unwettern über den Schweregrad der Katastrophe auf. Da Strom- und Handynetze ausfallen können, empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, in seiner Vorratsliste ein batteriebetriebenes UKW-Radio für Notfälle bereitzuhalten. Ist das Hochwasser bereits in den Keller oder die Tiefgarage eingedrungen, gilt es, diese nicht mehr zu betreten. Wichtige Dokumente oder technische Geräte sollten auf den Dachboden geräumt und hilfsbedürftige Angehörige, Kinder sowie Haustiere frühzeitig in Sicherheit gebracht werden.

Auch eine realistische Risikoeinschätzung ist wichtig. Nimmt das Hochwasser stetig zu, sollten sich Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr nur ins Dachgeschoss retten, sondern das Gebäude verlassen. Ab welchem Pegel dieser Schritt notwendig ist, hängt von der Region und dem genauen Standort des Gebäudes ab. Spätestens, wenn das Wasser um das Gebäude steht, muss das Haus in jedem Fall verlassen werden. Durch die Kraft der Wassermassen kann es einstürzen.

Nach jeder Katastrophe stellt sich die Frage, wer den Schaden zahlt. Bei Privatpersonen vertritt die Politik den Standpunkt: Wer sich versichern hätte können, möge nicht erwarten, dass Schäden aus öffentlicher Hand bezahlt werden. Doch nur etwa 50 Prozent der Gebäude in Deutschland sind gegen Elementarschäden versichert, obwohl es grundsätzlich bei allen möglich wäre.

Versicherungen teilen das Land dabei in vier Gefährdungszonen. In der höchsten Gefährdungsklasse vier befinden sich nur sehr wenige Gebäude in Deutschland. Dort sind Versicherungen in manchen Fällen ökonomisch nicht sinnvoll. Eigentümerinnen und Eigentümer sollten sich rechtzeitig informieren, welche Arten der Prävention im Falle einer Katastrophe für sie geeignet und in welcher Form notwendig sind. Das kann beispielsweise ein besserer Versicherungsschutz sein oder der Einbau von druckdichten Fenstern und Türen, Rückstausicherungen und andere schützende Elemente.

So schockierend die Katastrophe im Ahrtal für uns in Deutschland war, im internationalen Vergleich sticht sie nicht heraus. In Vietnam oder auf den Philippinen beispielsweise sind die Abstände solcher Katastrophen besonders gering und die Menschen dort haben kaum Zeit, sich zwischen zwei Hochwassern zu erholen. Die Häufung derartiger Katastrophen macht ein nachhaltiges Wassermanagement umso wichtiger, wofür die Resilienz des Wasserhaushalts gestärkt werden muss.

Andreas Rimböck erklärte, dass der Boden dafür eine zentrale Rolle spielt. Durch menschliche Nutzung wurde er überprägt und verändert, was zu einem Landschaftswandel geführt hat. Das Wasser kann nicht mehr so einfach ablaufen, der Boden kann Wasser schwerer aufnehmen und speichern. Als Gegenmaßnahme können Moore wiedervernässt und abflussbremsende Strukturen, zum Beispiel Rückhaltebecken, errichtet werden.

Bisher war das Ziel bei Hochwasser, das Wasser möglichst schnell aus dem Weg zu räumen, statt Vorsorgemaßnahmen zu schaffen, um das Wasser an geeigneten Orten versickern zu lassen. Rimböck empfiehlt der Politik, die Speicherfähigkeit der Landschaft wiederherzustellen und wassersensible Siedlungen zu errichten, sogenannte Schwammstädte. Sie können nach dem Prinzip eines Schwammes Wasser aufnehmen und wieder abgeben und passen sich an das Klima an. Unter anderem achten Planerinnen und Planer auf wasserdurchlässige Beläge sowie Versickerungsmulden und verbauen unterirdische Zisternen. Notabflusswege dienen gleichzeitig der Bewässerung von Bäumen oder Tiefbeeten.

Wichtig beim Bau neuer flussnaher Siedlungen ist auch, dass sich Bewohnerinnen und Bewohner der Risiken der Lage und auch den Restrisiken trotz Schutzanlagen bewusst sind. Kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder Feuerwehren, die im Katastrophenfall eine wichtige Rolle spielen, sollten möglichst nicht in direkten Risikogebieten gebaut werden. In besonders gefährdeten Ortsteilen können bestimmte Bauvorsorgen vorgeschrieben werden. Verschiedene Szenarien zu durchdenken und auch unkonventionelle Lösungen in Betracht ziehen, ist besonders wichtig. „All das wird keine Sicherheit geben können, aber eine größere Widerstandsfähigkeit“, ist Rimböck überzeugt.

„Krisen lassen sich zukünftig nicht mehr verhindern und müssen deshalb als Chance gesehen werden“, sagte Sabine Lackner von der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Dafür werde eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Organisationen und konkrete Maßnahmen notwendig sein. Genügend Kräfte müssen rechtzeitig vor Ort sein und das richtige Equipment mitbringen. Das bringt logistische Herausforderungen mit sich. Eine gute Ausbildung von Einsatzkräften, auch der vielen Ehrenamtlichen, und eine professionelle Ausstattung sind die Grundvoraussetzung.

Der Aufbau von Logistikzentren macht die Lagerung von Materialien möglich, um schneller handeln zu können und eine frühzeitige Beschaffung von Einsatzfahrzeugen und Helikoptern kann im Ernstfall einen Unterschied machen. Moderne Technik vereinfacht dabei vieles, stellt aber auch eine zusätzliche Vulnerabilität dar. Unter anderem müssen Alternativen geschaffen werden für den Fall, dass Digital- und Mobilfunk ausfallen.

Immer wieder kam während der Tagung die Frage auf, warum es erst ein Hochwasser wie im Ahrtal gebraucht hat, um sich stärker mit dem Katastrophenschutz in Deutschland auseinanderzusetzen.

Die Antwort zog sich ebenfalls wie ein roter Faden durch die Aussagen der Expertinnen und Experten: Hochwasserdemenz. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, aber auch Bürgerinnen und Bürger vergessen viel zu schnell, dass solche Katastrophen keine Einzelfälle sind und wir aus unseren Fehlern lernen können und müssen. (Sarah Bures)

 

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