Was haben ein Marktplatz und eine Schule gemeinsam? Eine ganze Menge – zumindest nach dem Münchner Lernhaus-Konzept. Der Marktplatz ist dort nämlich mittendrin im Schulalltag. Nur, dass dort nichts verkauft wird, Schüler und Lehrer allerdings durchaus handeln.
Neue Wege in der Wissensvermittlung gehen, Ganztagsbetreuung und Unterricht miteinander verweben, althergebrachte Klassenzimmer auflösen und Lernräume in Form von Clustern schaffen: Dies

sind die Ziele des Lernhaus-Konzepts. Cluster bedeutet: kleine Schulen in der Schule bilden, Klassen auch jahrgangsübergreifend näher zusammenrücken lassen, Räume für die Nachmittagsbetreuung, das Lehrerteam und pädagogische Personal – plus eigene Toiletten im Klassenrevier. Und mittendrin eben kein Flur, sondern der Marktplatz: Raum für alle möglichen Nutzungsgelegenheiten, von der Präsentation über die Differenzierung bis zum einfachen Wohlfühlraum in den Pausen.
Eine wegweisende Schule
Klassenreviere schaffen, in denen Kinder einerseits behütet werden, sich andererseits aber auch in einem freien kreativen Umfeld bewegen können: In traditionellen Schulbauten mit langen Fluren und davon abgehenden Klassenzimmern lässt sich solch ein Plan selbst mit erheblichen finanziellen Mitteln kaum umsetzen. Für die Gemeinde Wörthsee im Landkreis Starnberg muss es da geradezu ein Segen gewesen sein, dass nach langer Prüfungszeit klar war: Die Renovierungskosten für die alte Grundschule aus den 1970er Jahren sind zu hoch. Der Weg ist frei für eine neue, eine wegweisende Schule.
Die Grundschule in Wörthsee ist jetzt die erste Schule im Münchner Umland, die in Anlehnung an das Münchner Lernhaus-Konzept als offene Lernlandschaft umgesetzt wurde. Anfang Juli 2016 konnte die Schule im neuen Bau mit viel Vorfreude ihren Betrieb aufnehmen. Das Erstaunen war anfangs groß, eine Schule ohne Türen und das bei 120 Kindern je Klassenrevier. Das Münchner Architekturbüro

Sommersberger Architekten und Ingenieure setzte auf farbenfrohe großflächige Akustikpaneele, die zusammen mit dämpfenden Boden- und Deckenflächen das sehr angenehme Raumgefühl und die ruhige Atmosphäre ausmachen.
Im Klassenrevier bieten sich für jeden Grundschüler vielfältige Möglichkeiten und jeder findet in dem geschützten Lern- und Lebensraum seinen Platz. Die Jüngeren lernen von den Älteren und die Älteren festigen ihre Fertigkeiten und ihr Wissen durch die Jüngeren. Verglaste Sitzfenster schaffen Sichtbeziehungen und Transparenz zwischen den einzelnen Bereichen. Die Schüler fühlen sich zugehörig und verantwortlich in ihrem Klassenrevier. Das Gebäude und die neue Unterrichtssituation wirken so aus sich heraus positiv auf das Verhalten der Kinder. Mit dem neuen Gebäude und der Ausstattung wird sehr sorgsam umgegangen. Die Erwartungen der Gemeinde, der Schulleitung und Elternschaft sind weit übertroffen.
Der Standard-Frontaluntericht ist passé. Handliche und variable Dreieckstische ermöglichen einen zeitgemäßen, abwechslungsreichen Unterricht. Sie sind flexibel und unterstützen die neue Lernstruktur optimal. Spielend leicht lassen sie sich von den Kindern neu anordnen.
Für manchen sicherlich überraschend: Ein solches Leuchtturm-Projekt muss nicht zwingend deutlich teurer sein als ein Standard-Bau. „Wir konnten an zahlreichen Stellschrauben arbeiten und alleine wegen des Raumkonzepts nahezu alle Flächen so planen, dass sie auch wirklich genutzt werden“, erklären die Architekten. Zudem räumte der Bauherr, die Kommune, genügend Vorlauf zwischen Auftragsvergabe und Ausführung ein. So waren gute Preise, Kostensicherheit und ein vorausschauendes Bauen möglich und das Projekt konnte auf solide Füße gestellt werden.
Das Schönste für alle Beteiligten ist jedoch, wenn die eigentlichen Hauptdarsteller – die Schülerinnen und Schüler – mit Leib und Seele hinter ihrer neuen Schule stehen. Die Schulleitung bestätigt, die Kinder haben das alles einfach richtig gern. Beim Einzug in das neue Schulhaus sagte ein Junge, er wisse jetzt, wo er in Zukunft Urlaub machen möchte.
Sage es mir, und ich werde vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können. Einer Pädagogik, die diesem Credo – „Lass es mich tun, und ich werde es können“ – folgt, dieser Pädagogik Räume zu geben, ist farbenfroh gelungen. (
BSZ)
(Verglaste Sitzfenster schaffen Sichtbeziehungen und Transparenz; das erste Obergeschoss - Fotos: Ratajczak/Hitzler Ingenieure)
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