Bauen

Die Villa Planta, beidseitig erweitert von Peter Zumthor. (Foto: Ursula Wiegand)

01.06.2018

Lieber erhalten als abreißen

Ein Architekturspaziergang durchs schweizerische Chur

Chur im Schweizer Kanton Graubünden ist ein wichtiger Eisenbahn-Knotenpunkt und viele steigen dort nur um. Doch das Aussteigen lohnt sich, denn Chur ist die älteste Stadt der Schweiz. Genauer gesagt, die mit den ältesten Siedlungsresten, wie Stadtführerin Claudia Meuli erklärt. Wer auf der Bahnhofstraße Richtung Süden geht, stößt jedoch Ecke Grabenstraße zunächst auf die Moderne und den neuen Stolz der Alpenstadt: das Bündner Kunstmuseum Chur. Das ist neuerdings zweiteilig und besteht aus der neoklassizistischen Villa Planta und dem 2016 eröffneten zeitgemäßen Erweiterungsbau.

Die Villa Planta hatte sich der aus Alexandria heimgekehrte Baumwollindustrielle Jacques Ambrosius von Planta 1874 bis 1876 vom Architekten Johannes Ludwig errichten lassen. Die beiden Sphinxe vor dem Eingang und die Kuppel mit dem Halbmond erinnern an seine Jahre in Ägypten. 1898 verkaufte er Haus und Grundstück an die Rhätische Bahn, ab 1917 wurde dort die Kunstsammlung des Kantons Graubünden gehütet, der die Villa schließlich 1957 erwarb und als Museum nutzte. Der bauliche Zustand ließ aber bald zu wünschen übrig. Sogar über Abbruch und Neubau wurde nachgedacht, bis man sich für den Erhalt der historisch bedeutsamen Villa entschied.

Durch die Architektengemeinschaft Peter Zumthor, Peter Calonder und Hans-Jörg Ruch wurde sie knapp drei Jahre lang restauriert, umgebaut und 1990 wieder als Museum eröffnet. Trotz der Anbauten von Zumthor an beiden Seiten des Säulenportals, die Raum für die Kasse und ein Museumscafé schafften, reichte der Platz für die Kunstwerke nicht mehr aus. Ein Erweiterungsbau musste her. Den Architekturwettbewerb gewannen die bis dahin kaum bekannten Architekten Fabrizio Barozzi/Alberto Veiga aus Barcelona, das die Jury mit seinem klaren und präzisen Gebäudeentwurf – einem turmartigen Kubus – überzeugte. Der entsprach auch der Vorgabe, mehr in die Höhe als in die Breite zu gehen, um Baugrund zu sparen und Platz für einen Garten zu lassen.

Von außen betrachtet lockert eine kassettenartige Hülle aus gleichmäßigen Sichtbetonteilen den geradlinig-strengen Bau deutlich auf, zumal diese Verkleidung je nach Wetter und Tageszeit wechselnde Lichteffekte mit sich bringt. Auf Straßenhöhe hält dieser Erweiterungsbau Abstand zur Villa und wirkt wie ein Solitär. Doch schon der schmale hohe Eingang, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zugang zu einer Pharaonen-Grabkammer aufweist, nimmt Bezug zum Ägypten-Ambiente der Villa Planta.

Oberirdisch bietet der Neubau nur Platz fürs Foyer und die Verwaltung. Durch die wandbreite Glasfront des Foyers schauen die Besucher jedoch auf das historische Haus. Die eigentliche Verbindung erfolgt unterirdisch. Die Ausstellungsräume des Neubaus befinden sich ebenfalls in den beiden Untergeschossen. Dort ist auch der Übergang zur Villa Planta. Per saldo gehen Schlichtheit und Funktionalität beim Erweiterungsbau außen und innen Hand in Hand. In beiden Museumshäusern sorgen nun schlichte Räume mit hellen Wänden dafür, dass die Gemälde und Skulpturen optimal zur Geltung kommen. Der wertvolle Inhalt – darunter zahlreiche Werke der weltbekannten Künstlerfamilie Giacometti – sowie neue Ausstellungskonzepte rechtfertigen sicherlich den Aufwand von 28,5 Millionen Franken für den Erweiterungsbau plus 5,3 Millionen Franken für die Sanierung der Villa Planta.
Wieder auf der Grabenstrasse ist der von 1909 bis 1911 errichtete Hauptsitz der Graubündner Kantonalbank nicht zu übersehen. Das von den Architekten Otto Schäfer und Martin Risch entworfene volumige Gebäude gilt als Ikone des sogenannten Bündner Heimatstils, einer bodenständigen Varian-te des Jugendstils. Als Vorbilder für den farbigen Wandschmuck dienten die Motive der Stickerinnen, erklärt Claudi Meuli. In der Gegenrichtung, schräg gegenüber dem Kunstmuseum, beginnt die Reichsgasse, die einstige Hauptverkehrsader im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In der historischen Stube vom heutigen Romantik Hotel Stern stärkten sich schon vor rund 330 Jahren die Reisenden auf dem Weg von und nach Italien.

In die Höhe gebaut

Andere Sträßchen in der Nähe heißen Vazerol- und Storchengasse. Da sie ähnlich schmal sind, überrascht die Höhe der Steinbauten an beiden Seiten. Nach dem Großbrand von 1464 und weiteren Feuern baute man in der wohlhabend werdenden Stadt in Stein und alsbald möglichst hoch hinauf. Ein Holzhaus ist aber auch erhalten, wurde an ein Wohnhaus angeschlossen und wird weiterhin genutzt.
Erhalt vor Abriss – das ist charakteristisch für Chur. Die Eigentümer nahmen und nehmen Geld in die Hand und sanieren jahrhundertealte Häuser, um sie weiter zu bewohnen. So auch das inzwischen leicht krumme Haus der Familie Schauenstein, errichtet um 1450, das 1920 und 1976 renoviert wurde, wie unterm Dachgiebel zu lesen ist. Die Besitzer eines gelben Hauses von 1575 haben sogar die Jahreszahlen von sechs Renovierungen, die letzte 2014, auf die Wand gepinselt.

Geheimnisvolles historisches Flair besitzt das Bärenloch, wo es zwar nie Bären gab, aber gemütliches Wohnen ganz „in“ ist. Wenn jedoch die Glocken von St. Martin läuten, versteht man das eigene Wort nicht mehr. Diese nach dem erwähnten Stadtbrand bis 1491 erbaute spätgotische Kirche (karolingischen Ursprungs) ist seit der Reformation Churs größtes evangelisches Gotteshaus. Hoch oben am Glockenturm teilt St. Martin seinen Mantel mit einem Bettler, drinnen begeistern drei farbstarke Fenster: Meisterwerke von Augusto Giacometti aus dem Jahr 1919.
Leicht abseits, auf einem kleinen Hügel, erheben sich die 1272 geweihte spätromanische Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt und das Bischöfliche Schloss, umgeben von einer Befestigungsanlage, einst ein abgeschotteter „Mini-Vatikan“. Das Schloss soll nun für 29 Millionen Franken saniert und umgebaut werden.

Den Schönheitspreis gewinnt jedoch der Arcas im Süden der Altstadt, ein 1971 wieder freigelegter mittelalterlicher Marktplatz. Die zur Plessur (einem Fluss) gelegene Häuserzeile lehnt sich rückseitig an die im 13. Jahrhundert errichtete Stadtmauer an. Im Sommer stellen die Restaurants und Cafés Tische und Stühle ins Freie. Also essen und trinken mitten im Mittelalter.

Jenseits der Plessur, im Welschdörfli, wird’s dann uralt. Dort, auf dem Areal Ackermann, fand man bei Grabungen Funde aus der Jungsteinzeit (5000 bis 1800 v. Chr.). Die im Vergleich dazu fast jugendlichen Römerrelikte in der Nähe sind seit 1986 durch Bauten von Peter Zumthor geschützt und können besichtigt werden.

Doch auch Bauten sind Geschmackssache, seien sie alt oder modern. Es kommt – ähnlich wie bei Museen – auch auf das drinnen Gebotene an. Aus diesem Grund ist für viele ein relativ schmales Haus am historischen Ochsenplatz nahe dem Obertor der beste und leckerste aller Bauten. Denn dort handwerkt die 1860 gegründete Zuckerbäckerei. (Ursula Wiegand)

(Die Graubündner Kantonalbank; der Arcas Platz in der Altstadt von Chur und das Haus der Familie Schauenstein - Fotos: Ursula Wiegand)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll Bayern weiter am späten Sommerferienstart festhalten?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.