Bauen

„Giordano segreto“ mit Trompe-l’oeil-Malerei vom New Yorker Richard Haas. (Foto: Mayring)

20.01.2012

Meister-Eder-Idylle im Hinterhof

Auf architektonischer Entdeckungstour: Münchens Altstadt birgt zahlreiche unbekannte Oasen

Münchens Sehenswürdigkeiten sind weitgehend bekannt. Dennoch gibt es eine Menge verborgener Ecken und Winkel, die von historischen Episoden erzählen, und wo Kunstwerke fast noch unentdeckt sind. Gemeint sind die Oasen, die es mittendrin in der belebten Altstadt heute noch zu entdecken gilt. Oftmals läuft man durch die Straßen, ohne links und rechts zu schauen, um möglichst schnell sein Ziel zu erreichen. Beim Rückweg drängt dann die Zeit, der nächste Termin liegt an und mit schnellen Schritten geht’s voran.
Wer jedoch mehr über Geschichte(n) der Stadt erfahren will, sollte einfach mal einen Gang herunterschalten und sich extra dafür Zeit und Muße gönnen. Nur so stößt man auf manches (architektonische) Kleinod, das ganz abseits vom Lärm der Straße sich in lauschigen Hinterhöfen präsentiert. Martina Henrici, Stadt- und Gästeführerin in München, begibt sich schon aus beruflichen Gründen gerne auf eine solche Schnuppertour und stößt dabei immer wieder auf Neues wie zum Beispiel die sieben auserwählten Innenhöfe und Atrien, die in der Ludwigs-Isarvorstadt und im Glockenbachviertel zu finden sind.

Ein geheimer Garten
in der Frauenstraße 30


Der Maibaum am Viktualienmarkt ist Ausgangspunkt für die kleine architektonische Entdeckungsreise durch die Isarmetropole. Die erste Etappe ist kurz und führt nur einen Katzensprung weit ins Tal, genauer gesagt in die Westenriederstraße 15. Man durchquert drei Hofanlagen, bis zu einem tageslichthellen Innenraum. Über einem Wandbrunnen befindet sich die Gedenktafel für Maria Anna Lindmayr, die 1657 hier das Licht der Welt erblickte.
„Die spätere Karmeliterin und Mystikerin wurde damals bekannt, da sie den Bau der Heiligen Dreifaltigkeitskirche bewirkte“, erklärt Henrici. „Denn ihre Visionen sagten voraus, dass das göttliche Strafgericht, in dem Fall der Spanische Erbfolgekrieg (1701 bis 1714), München verschone, wenn diese Kirche gebaut würde.“ 1711 erfolgte dann die Grundsteinlegung für das Gotteshaus in der Pacellistraße. Da die Stadt tatsächlich nicht besetzt und die Bevölkerung von der Pest verschont wurde, galt dies für damalige Verhältnisse als Wunder.
Durch ein Friseurgeschäft ist der „Giordano segreto“ in der Frauenstraße 30 zu betreten. „Es handelt sich hier um einen „geheimen Garten“ übersetzt die Führerin, „der zu einem Gebäude gehört und durch Hecken und oder Mauern begrenzt und uneinsehbar ist.“ Entstanden sind diese Privatgärten im 15. und 16. Jahrhundert in der italienischen Renaissance. Sie dienten als Rückzugs- und Erholungsplätze.
Dieser verschwiegene Freiraum, der umschlossen ist wie das Zimmer eines Hauses, dient tatsächlich als eine Oase für alle Mitarbeiter und Hausbewohner, die darin mal ein Stündchen pausieren und relaxen möchten. Ein besonderes Bonmot dabei ist, dass der Betrachter nicht unbedingt auf den ersten Blick eine visuelle Überraschung erlebt. Denn farblich eher unauffällig entdeckt er plötzlich eine offen stehende Garage und einen Oldtimer, die es so in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Dieses trompe-l’oeil, eine täuschend echte Fassadenmalerei, stammt vom New Yorker Künstler Richard Haas, der 1978 die Wand mit der Scheinarchitektur bemalte. Raum, Tiefe und Perspektive sind also reine Täuschung. Die flache Hauswand ist Realität. Doch die Illusion vergrößert das Gärtchen und erheitert den Betrachter. Historische Vorbilder hierzu sind beispielsweise der Kabinettsgarten in der Residenz und im Schloss Nymphenburg. In der Malerei wird das trompe-l’oeil seit Pompeji verwendet. Besonders die Niederländer im 16. Jahrhundert brachten diese Gattung zur besonderen Entfaltung. Bei diesen Gemälden war man stets versucht, das vermeintlich Haptische zu fassen, was tatsächlich nur gemalt und flache Leinwand war.
Noch vor gar nicht langer Zeit, 1993, eröffnete am Isartorplatz der Pelzunternehmer Hertz Rieger seine Rumford Gardens (Rieger City). Der großzügige Geschäfts- und Wohnblock, war die Krönung seines Lebenswerkes. Innerhalb dieses Ensembles wurde nach Riegers Entwürfen auch ein Atriumhof gestaltet, der weitgehend vor der Öffentlichkeit verborgen blieb. Dieser Innenbereich, zugänglich von der Rumfordstraße 41 aus, überrascht wegen seiner Größe und Ausgestaltung. Ein Heckenlabyrinth aus Buchs und ein Wasserlauf bilden sozusagen die Horizontale. Vertikal an einer Hauswand ergänzt eine monumentale Lüftlmalerei vom Mittenwalder Stephan Pfeffer die Darstellung des Kunstobjekts. Somit sollte die Dürre anhand der Buchshecke und die Oase, durch das fließende Gewässer symbolisiert werden. Gemeint sind wohl die sieben fetten und die sieben mageren Jahre.

Kunstensemble
im Innenhof


Die Wandmalerei zeigt eine vergoldete Mosesfigur und das Goldene Kalb, beides Themen aus dem Alten Testament. Der Prophet, der sein Volk durch die Wüste führt und das Goldene Kalb, das den Götzendienst und die Mammonverehrung symbolisiert. Die Platzierung des weitgehend unbekannten Kunstensembles im Innenhof überrascht, macht aufmerksam und nachdenklich.
Dagegen hat man es im Rumfordhof (Rumfordstraße 36) mit ganz handfesten Realitäten zu tun. Hinter hoch gewachsenen Laubbäumen und Büschen verbergen sich diverse Werkstätten, wo traditionell und modern gearbeitet wird. Da werkelt ein Handbuchbinder mit kostbarem Papier, Leder und Leinen. Vasen, Tee- oder Kaffeegeschirr werden in einer Töpferei von Hand hergestellt. Eigenwillige Designs, Formen und Farben geben die künstlerische Note hinzu. Außerdem trifft man dort einen Möbelschreiner, Innenarchitekten und alten Geigenbauer. Sie alle lieben den Werkstatthof, wo tatsächlich nur das Vogelgezwitscher und kein Straßenlärm die „Meister-Eder-Idylle“ stören.
Dass es sich im Glockenbachviertel angenehm wohnen lässt, ist kein Geheimnis. Viele Beispiele könnte man anführen, wo mitten in der Stadt phantasievolle Gärten vor unerwünschten Einblicken schützen und als grüne Oasen lebenswerten Wohnraum schaffen. Das Viertel erfährt Auflockerung, wenn historische Wohnarchitektur und entspanntes, modernes Wohnen sozusagen Tür an Tür aufeinander folgen.
Noch verursacht die riesige Baustelle des Bauprojekts „The Seven“ mit insgesamt 14 000 Quadratmetern Fläche an der Müllerstraße Lärm, Staub und Schutt. Von Oasen der Ruhe kann man noch nicht sprechen. Nur der Blick in die Baupläne lässt erahnen, was da in absehbarer Zeit aus dem Boden wachsen soll. Mit 56 Metern soll an Stelle des ehemaligen Heizkraftwerks das höchste Wohngebäude der Münchner Innenstadt entstehen. Büro- und Geschäftsgebäude sowie ein Atriumkomplex mit Wassergarten und Kolonnaden ergänzen das ehrgeizige Konzept.

Hier lernte
schon Albert Einstein


Bis Ende 2012 will man mit dem Gesamtprojekt fertig sein. Nachdem auf diesem Gelände einst das Bayerische Militärlazarett, später das Luitpold-Gymnasium, in dem schon Albert Einstein lernte und von 1955 bis 2001 sich ein Heizkraftwerk befand, ist der erneute Wechsel doch ziemlich spektakulär.
Nun ist nur zu hoffen, dass sich der Gebäudekomplex „The Seven“ trotz seiner extravaganten und großräumigen Architektur in das Altstadtviertel integriert. Lassen sich die Architekten vom Bebauungsprinzip der Altstadt inspirieren, das vielfach mit Atrien, Oasen und Höfen aufgelockert und gestaltet ist, so werden es genau diese Gemeinsamkeiten sein, die auch in diesem Fall die Verbindung zwischen alter und neuer Architektur schaffen. (Eva-Maria Mayring)

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